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Ein Sessel im Wald

62 Tonnen illegalen Müll musste der Landkreis Bautzen in diesem Jahr schon entsorgen. Das Problem wächst. Aber warum?

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© René Plaul

Von Jana Ulbrich

Bautzen. Wer schleppt einen ausrangierten Sessel 150 Meter weit in den Wald hinein? Und vor allem warum? Rita Thieme schüttelt den Kopf. „Es ist nicht zu fassen“, seufzt die Leiterin des Sachgebiets Abfallwirtschaft im Landratsamt. „Was sind das bloß für Leute, die ihren Dreck einfach in den Wald schaffen?“ Rita Thieme hält den Ausdruck einer topographischen Karte in den Händen, auf der die Kollegen mit einem blauen Kreuz markiert haben, wo der Sessel liegt. So machen sie das immer, wenn Anwohner, Waldbesucher, Jäger oder Forstmitarbeiter irgendwo einen illegalen Müllhaufen entdeckt haben und das dem Abfallwirtschaftsamt melden.

Windeln, Katzenstreu, Tierkadaver

Auf der Karte, die ihr die Kollegen mitgegeben haben, sind noch zwei weitere blaue Kreuze eingezeichnet – alle drei im Umkreis von nur wenigen Metern in einem Waldstück bei Deutschbaselitz. Kollege Sandro Benad-Hambach vom Serviceteam muss nicht lange suchen: ein Haufen Hausmüll an einem Waldweg, gebrauchte Windeln, Säcke mit gebrauchtem Katzenstreu, eine große Hundefuttertüte mit irgendeinem toten Tier drin. Ekelhaft! Sandro Benad-Hambach verzieht das Gesicht. Dann holt er die große Restmülltonne vom Entsorgungsfahrzeug. Einer muss es ja machen. „Sonst wären die Wälder im Kreis längst vollständig zugemüllt“, murmelt er.

Er muss es wissen: Er und seine Kollegen vom Service-Team haben auch schon alte Sofas, Schränke, Teppiche, Kühlschränke, Bauschutt, Altreifen, Fernseher und Fahrräder aus dem Wald geholt. Dazu jede Menge Sondermüll wie Farben, Lacke und Chemikalien, die obendrein noch den Boden verseuchen. Erst vor Kurzem hatten Anwohner in einem Waldstück bei Laußnitz einen Haufen entsorgter Wellplatten entdeckt – mehr als zwei Kubikmeter Sondermüll, mit Asbest verseucht. Mit dem Abtransport musste Rita Thieme extra eine Spezialfirma beauftragen. Es ist so viel Müll in den Wäldern, dass zwei Kollegen von der Abfallwirtschaft das ganze Jahr über mit der Entsorgung beschäftigt sind. Sie hätten weiß Gott Besseres zu tun.

Hunderte Autoreifen

Sage und schreibe 62 Tonnen Müll haben die Mitarbeiter des Landratsamts allein in diesem Jahr schon aus den Wäldern geholt, dazu noch 316 alte Autoreifen mit und ohne Felgen. Im ganzen letzten Jahr waren es 134 Tonnen Müll und 523 Autoreifen. 35 000 Euro hat das gekostet. Geld, das der Steuerzahler aufbringen muss.

Dabei ist die Müllentsorgung im Kreis Bautzen komfortabel geregelt – einschließlich Schadstoffmobil, Sondermüllannahmestellen, sechs pauschalen Restmüllentleerungen und einer kostenlosen Sperrmüllabholung im Jahr. Aber die wilden Müllhaufen im Wald werden nicht weniger. Im Gegenteil. Die Mengen und die Zahl der Einzelfälle steigen stetig: 2014 waren es rund 90 Tonnen illegale Abfälle, die vom Landkreis aus den Wäldern geholt werden mussten, zwei Jahre später schon 110, voriges Jahr 134 Tonnen.

Wer seinen Unrat heimlich in den Wald schafft, der macht sich strafbar und muss mit einem Bußgeld von bis zu 25 000 Euro rechnen. Doch den Verursacher solcher illegalen Müllkippen ausfindig zu machen, ist meistens mehr als schwierig, wenn nicht unmöglich. Selbst wenn sich im Abgelagerten eine Spur finden würde, ließe es sich am Ende nur schwer beweisen, wer den Müll tatsächlich in den Wald gebracht hat. „Die einzige Chance wäre es wohl, wenn jemand auf frischer Tat gestellt werden würde“, sagt Rita Thieme. Sie kann sich allerdings nicht erinnern, dass das schon vorgekommen wäre. Deshalb würde sie sich freuen, wenn jemand, der solches Tun beobachtet, gleich die Polizei informieren würde, sagt sie.

Polizei ermittelt wegen Wellasbest

Im Falle der Wellasbest-Platten im Wald bei Laußnitz ermittelt die Polizei. Diesmal könnte der Verursacher sogar gefunden werden. Es seien bereits mehrere Hinweise zu dem Fall eingegangen, sagt Polizeisprecher Thomas Knaup. Ihnen wird jetzt nachgegangen.

Rita Thieme hat sich die Arbeitshandschuhe angezogen und hilft ihrem Kollegen, den blau-weiß gemusterten Sessel aus dem Wald zu tragen und auf das Entsorgungsfahrzeug zu hieven. „Es ist unglaublich, was wir hier alles schon erlebt haben“. sagt Sandro Benad-Hambach. „Es ist richtig schlimm.“ Einmal, erzählt er, sei ihm sogar das Frühstück wieder hochgekommen, als er einen Sack mit halbverwesten Kaninchen entsorgen musste. Auf dem Weg zum Entsorgungsfahrzeug hebt er eine weggeworfene Glasflasche aus dem trockenen Laub, auf die die Sonne brennt. „Das ist ja bei der Waldbrandgefahr auch noch richtig gefährlich“, sagt er. Die Flasche fliegt in die schwarze Tonne. Die drei blauen Kreuze sind abgearbeitet. Die Tonne ist voll.