Von Alexander Schneider
Man könnte meinen, das Landgericht Dresden organisiert nun selbst eine Spurenkonferenz. Schon vor dem Verhandlungsbeginn am Mittwoch hat Hauptkommissar Thomas Redmer, Brandsachverständiger im Landeskriminalamt Sachsen (LKA), fünf Umzugskisten mit Dutzenden Tüten und Umschlägen auf einer langen Anklagebank aufgebaut. So muss es auch im Januar und im April 2017 im LKA ausgesehen haben, als Ermittler des damals zuständigen Operativen Abwehrzentrums (OAZ) mit Kriminaltechnikern die Spurenlage im Verfahren gegen den sogenannten Moscheebomber analysierten.
Bei diesen Spurenkonferenzen stellen die Beamten fest, was sie bislang haben und was sie als Nächstes zu untersuchen haben. Manch harte Entscheidung muss dabei getroffen werden. Das Sichern von DNA-Spuren könnte etwa Fingerabdrücke zerstören – es geht also immer auch um eine sinnvolle Strategie, um Ermittlungen nicht zu gefährden. Es gab viele, viele Spuren. Der mutmaßliche Bomber Nino K. war bereits im Dezember 2016 verhaftet worden. In seiner Wohnung fand sich reichlich Material bis hin zu einem intakten 4,6-Kilo-Brandsatz, der gleich mit zwei Zeitschaltuhren ausgestattet war. Da wollte wohl jemand auf Nummer sicher gehen.
Gedeckter Gabentisch?
Der gedeckte Gabentisch im LKA täuschte jedoch offensichtlich die Ermittler darüber hinweg, dass die Tatortarbeit nach den spektakulären Anschlägen im September 2016 alles andere als professionell war. Mit den Pannen jenes „ersten Angriffs“, wie Ermittler die beginnende Tatortarbeit nennen, muss sich nun das Landgericht Dresden herumschlagen. Schon seit Januar läuft der Prozess vor dem Schwurgericht.
Nino K. soll am Montag, 26. September 2016 um 21.48 Uhr eine Rohrbombe vor dem Eingang der Fatih Camiine-Moschee in der Hühndorfer Straße gezündet haben. Dabei nahm er laut Anklage in Kauf, dass der Imam, seine Frau und deren beiden Söhne in ihrer Wohnung ums Leben kommen. Sie wurden glücklicherweise nicht verletzt. Wenige Minuten nach der Explosion zündete K. auf der Dachterrasse des Kongresszentrums noch einen selbstgebastelten Brandsatz. K., der bis dahin lediglich als Pegida-Redner Mitte 2015 aufgefallen war, soll aus einem fremdenfeindlichen Motiv heraus die Anschläge verübt haben, aus Hass auf Muslime und Linke. Er habe auch ein Zeichen gegen die Politik der Bundesregierung setzen wollen. Der 31-jährige Deutsche räumte die Vorwürfe zwar ein. Er habe jedoch jemanden weder töten noch verletzen wollen. K.s Anschläge fanden nur wenige Tage vor der bundesweiten Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden statt – und setzte die Terrorabwehr der Polizei massiv unter Druck.
Seit Februar kommen immer neue Ermittlungspannen ans Licht. So wurden Zeugen wie die Frau des Imam oder ein Türke, der im Hinterhaus der Moschee wohnte, gar nicht erst befragt. Nachbarn, Augenzeugen der Explosion, machten ihre Aussagen erst im Februar 2017. Die beschädigte Wohnungstür sicherte die Polizei ebenfalls erst nach fünf Monaten auf einer Müllhalde im Hof. Eine weitere Frage ist, warum Brandermittler Redmer erst am 19. April 2017 einen Metallsplitter in einer Beweismitteltüte fand. Bei den Spurenkonferenzen im Januar und am 12. April wusste niemand von den Kehrschutt-Tüten. Der Splitter, zwei mal zweieinhalb Zentimeter, 4,5 Gramm leicht – gab den Ermittlungen eine völlig neue Richtung: Er war für die Polizei der Beweis, dass vor der Moschee eine Rohrbombe explodierte. Bis dahin ging man „nur“ von einem Brandsatz aus – obwohl zwei weitere, intakte und zündfähige Rohrbomben am Tatort gefunden worden waren – und obwohl Augenzeugen von einer lauten Detonation und einem „ großen Feuerball“ berichtet hatten.
Kompetenz-Probleme
Kaum ein Prozessbeteiligter kann nachvollziehen, warum beim ersten Angriff kein Splitter entdeckt worden war. Nachts hatte die Polizei mit Hunden gesucht, dann den abgesperrten Tatort freigegeben. Im Laufe des Vormittags wurde plötzlich wieder gesperrt – aber bei Tageslicht wurde nicht mehr nach Splittern gesucht.
Diese Kompetenz-Probleme zwischen OAZ und LKA vor Ort wurden später durch personelle Wechsel verschlimmert. Hauptermittler Marco R. war erst ab 10. Oktober im Team – ihm fehlten zwei Wochen. Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz als ermittelnder Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft stieß noch später dazu.
Nachdem jedoch der Hauptsachbearbeiter R. als Zeuge so gut wie keine Frage des Gerichts schlüssig beantworten konnte, sich als abhängig von anderen Experten darstellte und Ermittlungen etwa zu Motiv und Hintergrund der Anschläge K.s offenbar gar nicht stattfanden, versuchte Staatsanwalt Schulz mit seinen Fragen an Marco R. auch noch die Ermittlungen in ein positives Licht zu rücken. Mehrfach wurde Schulz vom Vorsitzenden Richter Herbert Pröls unterbrochen: „Wir sind hier nicht in einem Untersuchungsausschuss.“ Der Prozess wird fortgesetzt.