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Ein tragischer Kita-Ausflug

Das in den Stausee gefallene Kind schwebt noch immer in Lebensgefahr. Wurde die Aufsichtspflicht verletzt?

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© Steffen Unger

Von Madeleine Arndt & Jana Ulbrich

Bautzen. Es ist ein stiller Flecken, der Vorstau der Bautzener Talsperre. Regentropfen lassen das Wasser kräuseln. Nichts erinnert daran, dass sich in dem Teil der Spree zwischen der Autobahnbrücke und dem Damm nach Oehna am Donnerstag Tragisches ereignet hat. Bei einem Kita-Ausflug ist hier ein dreijähriges Mädchen ins Wasser gefallen. Zwar ist es gelungen, das bewusstlose Kind aus dem Wasser zu retten, doch es liegt im Koma und sein Schicksal ist weiter ungewiss.

Ein Mann kommt über den Damm gelaufen. Er hat von dem Unfall gehört, wie vielen geht es ihm nahe. Der Bautzener, der im Stadtteil Gesundbrunnen wohnt, sieht die Sache jedoch kritisch. Schon vor Jahren, als das Kind seiner damaligen Freundin in die Kita ging, seien die Ausflüge ein Thema gewesen. „Meine Ex-Freundin hatte bemängelt, dass die Kitas aus dem Gesundbrunnen mit den Kindern nicht auf die Spielplätze gehen, sondern hierher in den Wald“, sagt Denny Grundmann. „Aber es muss ja erst was passieren.“ Während ein Hagelschauer einsetzt, steigt der Mann die groben Treppen am Hang hinauf.

Unbemerkt hinabgeklettert

Es sind die steilen Stufen, die zwei Dreijährige unbemerkt von den Erzieherinnen am Gründonnerstag hinabklettern. An jenem Vormittag machen sich drei Erzieherinnen der DRK-Kindertagesstätte Findikus in Gesundbrunnen mit 40 Jungen und Mädchen zu einem Osterspaziergang in das hoch über dem Vorstau gelegene Wäldchen auf. Als sich die Gruppe kurz vor 11 Uhr auf den Rückweg begibt, fehlen zwei Kinder. Eine 59-jährige Erzieherin sucht das Gelände ab. Ein Radfahrer begegnet ihr. Er sagt, dass er die Kinder an der langen Treppe zum Vorstau gesehen hat. Als die Betreuerin unten am Treppenende ankommt, treibt das Mädchen bereits leblos im Wasser, der Junge steht aufgeregt am Ufer. Die Erzieherin springt sofort in den See, holt das Kind heraus und reanimiert es, bis der Rettungsdienst eintrifft.

Zwei Rettungswagen, Polizei und die Mannschaft der Berufsfeuerwehr fahren zum Unglücksort. Bautzens Feuerwehr kommt mit Rettungsbooten. „Wir haben dann den Rettungsdienst beim Transport des Kindes unterstützt, weil das Gelände sehr unwegsam ist“, sagt Feuerwehrchef Markus Bergander. Ein Hubschrauber bringt das Mädchen in die Dresdner Uniklinik. Dort kämpft es noch immer um sein Leben. Auch fünf Tage nach dem schrecklichen Unglück ist der Zustand der Dreijährigen unverändert kritisch, sagt Polizeisprecher Thomas Knaup.

Zeuge hat sich gemeldet

Die DRK-Kita Findikus gehört mit über 200 Plätzen zu den größeren in Bautzen. Kreisverbands-Geschäftsführer Peter Mark zeigt sich tief betroffen: „Es ist schlimm. Wir sind alle bestürzt und in Gedanken bei den Eltern, dem Kind und den betroffenen Erzieherinnen“, sagt er am Dienstag. Details über die aktuelle Situation in der Kindertagesstätte will Mark zum Schutz der Beteiligten nicht nennen. Der Vorfall werde im Moment intern analysiert, um daraus Maßnahmen abzuleiten. „Wir arbeiten hier mit allen Institutionen zusammen“, betont der DRK-Kreischef.

Nach SZ-Informationen steht die Erzieherin, die das Kind gerettet hat, noch unter Schock und ist nicht arbeitsfähig. Auch der Junge, der das Drama miterlebt hat, wird derzeit zu Hause betreut. Die Polizei ermittelt. Vor allem geht es um die Frage, ob die drei Erzieherinnen, die mit 40 Kindern unterwegs waren, ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Inzwischen hat sich auch der Radfahrer bei der Polizei gemeldet, der die beiden Kinder gesehen hatte. „Seine Aussagen sind für uns sehr wichtig“, sagt Knaup.

Seit dem vergangenen September darf in Sachsen eine Erzieherin für maximal zwölf Kindergartenkinder zuständig sein, zuvor waren es 13. Laut sächsischem Kultusministerium wäre auf der einen Seite der Schlüssel auch bei Ausflügen einzuhalten, „weil der gesetzlich geregelte Personalschlüssel eine Mindestgröße darstellt“, sagt Sprecherin Manja Kelch. Auf der anderen Seite befinden sich die Erzieher in einer rechtlichen Grauzone. „Es gibt für Ausflüge keine eindeutige gesetzliche Grundlage“, sagt Kelch. Erzieher müssten abhängig von Kinderzahl und Ausflugsort selbst entscheiden. So könnten sie sich auch Eltern oder Praktikanten zur Unterstützung heranziehen. Nach Informationen der SZ waren die Kinder am Donnerstag ausschließlich mit den drei Erzieherinnen unterwegs.