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Ein Vierteljahrhundert Chef

Der Sebnitzer Oberbürgermeister Mike Ruckh lenkt seit 25 Jahren die Geschicke der Stadt. Eine Bilanz.

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© Steffen Unger

Von Dirk Schulze

Sebnitz. Am 1. Februar 1993 um 8.30 Uhr übernimmt ein junger Mann das Sebnitzer Rathaus: Mike Ruckh, 28 Jahre alt, geboren in Baden-Württemberg. Er fordere 100 Prozent Leistung, sagt der neue Bürgermeister laut SZ-Bericht von damals zu seinen Mitarbeitern. Das war vor genau 25 Jahren. Wenn Ruckh heute zeigen will, was sich seitdem verändert hat, dann wirft er bei den Einwohnerversammlungen ein Schwarz-Weiß-Foto von 1990 an die Wand. Es zeigt die komplett heruntergekommene Hertigswalder Straße, auf der einsam zwei Trabis parken. Die nächste Folie zeigt das Gegenstück: der rappelvolle Sebnitzer Markt während des Deutschen Wandertags 2016. Die Botschaft lautet: Seht her, wir haben was geschafft.

Verstecken muss sich die Große Kreisstadt tatsächlich nicht. Das Zentrum ist weitgehend saniert, die meisten Brachen am Rand sind weggerissen. Nur die Lange Straße bleibt ein Sorgenkind. Klar, es fehlt an Leben und an jungen Leuten in der Stadt. Da ist viel Luft nach oben. Doch Landflucht und Überalterung sind ein generelles Problem des ländlichen Raums. Seine größte Bewährungsprobe hatte der damals 36-jährige OB im Spätherbst 2000 zu bestehen, als Sebnitz mit dem Fall Jospeh monatelang im medialen Kreuzfeuer stand. Ruckh wurde bislang viermal wiedergewählt, zuletzt 2015 mit 92,6 Prozent der abgegebenen Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 42,7 Prozent.

Als Ende 2015 immer mehr Flüchtlinge kamen, nahm Sebnitz mehr auf, als es der Verteilungsschlüssel forderte – und das in einer Stadt, in der bei der letzten Kommunalwahl 15 Prozent NPD wählten. Nach einem dezentralen Konzept verteilte Sebnitz die Geflüchteten auf leer stehende Wohnungen, sorgte damit für Mieteinnahmen bei den Wohnungsgesellschaften und verhinderte gleichzeitig eine große Sammelunterkunft in der Stadt. Ruckh wehrt sich bis heute gegen den Begriff Flüchtlingskrise. „Eine Krise hatten wir beim Hochwasser, als die halbe Stadt unter Wasser stand“, sagt er. Wenn Menschen kommen, die untergebracht werden müssen, dann sei das Arbeit für die Verwaltung, aber keine Krise. Im Rathaus hält „der Chef“, wie ihn die Mitarbeiter nennen, die Zügel straff. Keine Mitteilung an die Presse verlässt das Haus, die nicht über seinen Tisch gegangen ist. Stadtratsentscheidungen fallen in Sebnitz in der Regeln einstimmig, kontroverse Diskussionen finden zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auf Bürgerfragen reagiert Ruckh oft gereizt. Kritiker werfen ihm Unnahbarkeit vor. Wie geht es weiter? Mit der 10 000-Euro-Prämie für Geschäftseröffnungen hat die Stadt ganz aktuell einen Akzent für den Handel gesetzt, mit der Villa am Burggässchen ein lange verfallendes Kleinod aus dem Winterschlaf erweckt. Die Präsentation eines Investors sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Der Umbau des VEB Kunstblume zum Pflegeheim ist angeschoben, wird aber noch einiges an Ausdauer und Verhandlungsgeschick kosten.

25 Jahre Chef in Sebnitz

Alle Schularten erhalten

Sebnitz verfügt 2018 noch über alle Schularten – ein Gymnasium, eine Oberschule und zwei Grundschulen. Als es 2004 um den Standort des Gymnasiums ging, konnte sich die Stadt gegen den Rivalen Neustadt durchsetzen – eine politische Entscheidung, für die Ruckh vehement kämpfte. Zuvor stand das Gymnasium beim Kultusministerium auf der Abschussliste, denn zur Wahrheit gehört auch, dass Sebnitz aufgrund der Grenzlage der geografisch ungünstigere Standort für die Schule ist.

Tourismus im Aufwind

In Sachen Tourismus zeigt die Kurve für Sebnitz seit 25 Jahren nach oben. Für 1992 weist die Statistik des sächsischen Landesamts noch knapp 80000 Übernachtungen pro Jahr aus. Seitdem hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Ende 2016 waren es 164000 Übernachtungen im Gemeindegebiet. Auch die Anzahl der großen Häuser – erfasst werden Hotels und Gasthöfe ab zehn Betten – ist von 22 auf 37 gewachsen. In ihrem eigenen Tourismusfahrplan stellt die Stadt die Rechnung auf, dass mittlerweile 18 Prozent der Jobs in Sebnitz direkt mit dem Fremdenverkehr zu tun haben, weitere neun Prozent als Dienstleister oder Handwerker davon profitieren. Großereignisse wie der Tag der Sachsen, das Landeserntedankfest und zuletzt der Deutsche Wandertag dürften dazu beigetragen haben.

In der Freizeit könnte mehr los sein

Mit dem Solivital leistet sich Sebnitz ein eigenes Sportzentrum, doch gerade die Jugend beklagt einen Mangel an Events. Der neue Jugendklub ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Einwohnerzahl sinkt weiter

Seit der Wende gehen die Einwohnerzahlen kontinuierlich zurück. 1991 lebten in Sebnitz und seinen Ortsteilen noch 13643 Menschen. (Die später eingemeindeten Kommunen Hinterhermsdorf und Kirnitzschtal sind hier zur Vergleichbarkeit schon eingerechnet.) Zum Jahresende 2016 waren es laut Statistischem Landesamt Sachsen noch 9817. Der allgemeinen Abwanderung konnte Sebnitz etwas entgegensetzen. Im Jahr 2014 gab es erstmals mehr Zuzüge in die Stadt als Wegzüge. Es sterben jedoch weiterhin mehr Alte, als Babys zur Welt kommen.

Erreichbarkeit mäßig

1994 war die Öffnung des Grenzübergangs für Pkw ein großes Thema. Die Fahrt nach Tschechien gilt heute längst als selbstverständlich. 2014 kam der Lückenschluss bei der Bahn, die Einstellung der Linie durchs Sebnitztal wurde damit abgewendet. Zuletzt hat Ruckh die Forderung zum dreispurigen Ausbau der Staatsstraße über den Unger initiiert. Ob der Freistaat darauf eingeht, ist bislang offen.

Stadtsanierung schreitet voran

Schon kurz nach der Wende hat sich Sebnitz Förderprogrammen für die Stadtsanierung angeschlossen. Zahlreiche kommunale und private Häuser konnten mit den Zuschüssen saniert werden. Die verbleibenden Brachen hat die Stadt im Blick, Bröckelhäuser werden über Zwangsversteigerungen angekauft und weggerissen. Das dauert oft lange, aber die Fortschritte sind sichtbar. Verantwortlich sind eigentlich die Eigentümer.

Stabile Finanzen

Als Ruckh im Februar 1993 antrat, besaß Sebnitz keinen gültigen Haushalt für das Vorjahr. Der neue Bürgermeister ordnete einen strikten Sparkurs an, übergab städtische Kindergärten an freie Träger, kürzte das Personal in der Verwaltung zusammen, zog Fördermittel an Land. Im Oktober 1993 wird der Haushaltsplan genehmigt. Im SZ-Interview sagt Ruckh damals: „Es ist keine Euphorie angebracht.“ Ein Satz, den er im Januar 2018 fast wortwörtlich wiederholt. Dabei ist die Lage so gut wie nie in den vergangen 25 Jahren. Die Stadt hat über zwei Millionen Euro auf der hohen Kante. Das Ergebnis „strikter Ausgabendisziplin.“

Wirtschaft wächst, aber oft nebenan

Die Zahlen sprechen für sich. Nach dem Zusammenbruch der Kunstblumenindustrie lag die Arbeitslosenquote in Sebnitz Anfang der 1990er-Jahre jenseits der 20 Prozent. Im Oktober 2017 vermeldete die Arbeitsagentur mit 5,1 Prozent den besten Wert der Nachwendezeit. Der Gesamtumsatz der acht größten Betriebe in Sebnitz hat sich mehr als verdreifacht. 2016 lag er bei über 200 Millionen Euro, 1992 waren es nur knapp 65 Millionen. Neuansiedlungen von Unternehmen kann die Stadt aber kaum noch verkünden. Es sind keine Gewerbeflächen mehr da. Hier hat Nachbar Neustadt mit der Kirschallee die Nase vorn.

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Ruckh wird seinen Weg weitergehen.