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Ein Waldmensch muss vors Amtsgericht

Bei Löbau haust ein 44-Jähriger, der sich „Öff! Öff!“ nennt und erfolglos die Welt zuändernversucht. Aber Unterhalt für sein Kind will er nicht zahlen.

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Von Jana Ulbrich

Der fehlende Schneidezahn hat eine hässliche Lücke hinterlassen in dem von wettergebräunter Männlichkeit strotzenden Gesicht. Öff!Öff! ist das sichtlich peinlich. Auch ein Waldmensch achtet auf gepflegtes Äußeres, auf saubere Hosen und einen ordentlich gestutzten Bart. Den Zahn habe er sich mit einer Kneifzange selber gezogen, erzählt der 44-Jährige, der früher mal Jürgen Wagner hieß und Theologie und Philosophie studiert hat.

Ein Zahnarztbesuch kommt schließlich nicht infrage für jemanden, der der Zivilisation ade gesagt, seinen Personalausweis abgegeben und dem Bundespräsidenten ganz offiziell seinen „Ausstieg“ aus dem Staat erklärt hat. Aber wenn ein Zahnarzt ihm nun eine Behandlung schenken würde? „Ja, dann...“

Schenken ist schließlich das, was Öff!Öff! seit 17Jahren unverdrossen predigt. Nur, dass sich seine Philosophie der „Schenker-Bewegung“ nach wie vor keiner allzu großen Anhängerschaft erfreut. Öff!Öff! sieht das dennoch optimistisch. Zwar konnte er bisher in ganz Deutschland keinen weiteren derart konsequenten „Schenker“ für seine Bewegung gewinnen, aber „zwei, drei Verbündete“, sagt er, die habe er immer. Stolz erzählt er von Iri, seiner 23-jährigen gegenwärtigen Freundin, oder von Florian, der immerhin schon „ganz nah dran ist, ein Schenker zu werden“.

Ein festes Haus für den Winter

Florian hat auch das „Projekt Nächstenliebe und Lebensfreude“ in Wendisch-Paulsdorf bei Löbau beschafft, eine verfallene Bruchbude, die an kalten Herbst- und Wintertagen allemal besser ist als „Biotopia“. So nennt Öff!Öff! seinen Verschlag aus Brettern und Planen im Wald. In seiner Jurte in der malerischen Idylle der Georgewitzer Skala, vor der er sich immer wieder und gerne fotografieren lässt, haust er schon seit einiger Zeit nicht mehr. „Er kommt nur ab und zu gucken und seine Post abholen“, erzählt der Nachbar, der für Öffis Korrespondenzen seinen Briefkasten zur Verfügung stellt.

In den flatterte vor einigen Wochen auch ein amtliches Schreiben aus dem hessischen Eschwege. Jürgen Wagner ist dort am morgigen Mittwoch als Angeklagter vor das Amtsgericht geladen. Dort wird er die Mutter seiner dreijährigen Tochter Johanna wiedersehen, die das Leben an seiner Seite als Waldmensch-Frau Tüt!Tüt! irgendwann satt hatte. Monika, wie sie mit richtigem Namen heißt, „verfiel leider wieder den kleinen Reizen des bürgerlichen Lebens“, wie Öff!Öff! es nennt. Seine frühere Lebensgefährtin also fordert nun die schriftliche Anerkennung der Vaterschaft und regelmäßigen Unterhalt für das Kind. „Aber wie soll ich denn das machen?“, fragt Öff!Öff! mit unschuldigem Blick aus seinen stahlblauen Augen. Natürlich ist er der Vater. Das erkenne er ja an. Aber wie kann er denn eine staatliche Urkunde unterschreiben, wenn er doch gar kein Staatsbürger ist? Und wie erst soll er Geld zahlen, wenn er doch Geld in seiner Lebensphilosophie bewusst ablehnt?

Diesem Gericht wird er was erzählen. Öff!Öff! will die Verhandlung als „Demonstrations-Gelegenheit für wahre menschliche Freiheit“ nutzen. Er könne sehr gut für Johanna sorgen, sagt er – allerdings nicht in Eschwege, sondern in seinem speziellen Lebenssystem.

Wenn nur alle anderen auch so wollten. Doch statt sich mit Liebe und Essbarem beschenken zu lassen, muss Öff!Öff! sich mit den Tücken der Zivilgesellschaft plagen. Ganz ohne die Gesellschaft käme aber auch er nicht aus. Er weiß das wohl. Keiner würde ihn kennen und ihm die Äpfel aus dem Garten anbieten, wenn er sich nicht von den Medien immer wieder bereitwillig filmen und fotografieren ließe. Und wie sollte er am Mittwoch von Löbau nach Eschwege kommen, wenn er nicht einen Journalisten wüsste, der ihm für eine Story die Autofahrt schenkt? Warum sollte er für seine Schenker-Bewegung nicht das Internet nutzen? Der Waldmensch ist kein Technik-Feind, er besitzt zwei Handys und ein Laptop, die er reichlich nutzt. Wenn er das wollte, müsste er auch nicht barfuß laufen. Erst recht keine Waldameisen essen.

Die meisten Leute in Wendisch-Paulsdorf winken ab, wenn die Rede auf Öff!Öff! kommt. Keiner stört sich daran, wenn er mit seinem klapprigen Fahrrad und dem alten Anhänger auf Geschenke-Tour ist. Skeptisch sind sie dennoch. „Das ist doch ein Scharlatan“, sagt ein älterer Mann und warnt hinter vorgehaltener Hand, dass vor allem junge Mädchen aufpassen müssten, diesem Waldmenschen nicht hörig zu werden. Und wieder einmal fühlt sich Öff!Öff!, der so gerne Liebe und Frieden verschenken möchte, völlig missverstanden.

Nur ganz selten kommen Jürgen Wagner Zweifel am bescheidenen Leben als Öff!Öff!. Etwa, wenn er gefragt wird, ob er nicht Angst davor habe, ernsthaft krank zu werden. Ob er in so einem Falle ärztliche Hilfe oder ein Bett im Krankenhaus geschenkt bekäme? Oder wäre er bereit, für seine Ideale zur Not auch zu sterben? Öff!Öff! lächelt. Er ist ja abgehärtet und gesund. Nun ja, der Schneidezahn. Ein paar Opfer fordert die Freiheit schon.