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„Eine abscheuliche Tat“

An einer Wurzener Schule werden zwei Mädchen aus Mazedonien von sächsischen Mitschülern verletzt.

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© Frank Schmidt

Susanne Sodan und Carola lauterbach

Wurzen. Roman Schulz ist am Freitagvormittag bereits heiser. Der Pressesprecher der Regionalstelle Leipzig der Sächsischen Bildungsagentur muss ein Interview nach dem anderen geben. Auch überregionale Medien rufen an. Alle wegen eines Themas: der Angriff sächsischer Schüler auf Mädchen aus Flüchtlingsfamilien an der Pestalozzi-Oberschule in Wurzen. Sachsen steht damit einmal mehr im Zentrum Dunkeldeutschlands. Noch muss aber das Puzzle über das Geschehen in der Schule am Mittwoch ein Ganzes werden.

Nach Darstellung der Sächsischen Bildungsagentur begann wohl alles wie etwas, das schon immer Schulalltag ist: Hofpause, hier ein Grüppchen, da ein Grüppchen, es fallen Worte. Nur: In Wurzen endete das mit einer Knochenabsplitterung bei einer Elfjährigen und Quetschungen bei einer 14-Jährigen. Zunächst sollen Eicheln, Steinchen, Münzen in Richtung der Mädchen geworfen worden sein. Auch von Spuckerei ist die Rede. Den Mädchen wird es zu viel, sie laufen ins Schulgebäude, wollen sich in einen Klassenraum flüchten. Die andere Gruppe läuft ihnen nach. An einer Tür kommt es zum Gerangel. Schließlich wird dem 11-jährigen Mädchen der Arm so stark eingeklemmt, dass ein Knochen splittert. Das andere erleidet eine Verletzung an der Schulter. Beide müssen notärztlich versorgt werden.

„Soweit wir bis jetzt wissen, wurden die Mädchen von ihren Mitschülern drangsaliert“, sagt Andreas Loepki, Sprecher der Polizeidirektion Leipzig. Vor allem zwei Jungen – die nach Informationen der SBA und des Wurzener Oberbürgermeisters die siebte Klasse besuchen – sollen an dem Angriff beteiligt gewesen sein. „Die beiden sind uns namentlich bekannt“, so Loepki. Gegen sie laufe jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung. Ob die Angreifer strafmündig sind, hängt von ihrem Alter ab. Dazu wurden unterschiedliche Angaben gemacht. Ein ausländerfeindliches Motiv wollte Loepki am Freitag weder bestätigen noch dementieren. SZ-Recherchen zufolge soll der Vater eines der beteiligten Jungen ein führender Protagonist der Initiative „Wurzen gegen Asylmissbrauch“ sein.

Die Schule reagiert mit Betroffenheit. Die angegriffenen Mädchen sollen erst seit vier bis fünf Wochen an der Pestalozzi-Schule in einer sogenannten Vorbereitungsklasse lernen. Auf Konsequenzen für die Angreifer befragt, erklärt Schulleiter Steffen Rößler der SZ, darüber könne erst nach den anstehenden Anhörungen der Schüler und ihrer Eltern befunden werden. Das Strafmaß kann von Ermahnung bis Schulausschluss reichen. „Welche Entscheidung die Schulleitung auch immer trifft – wir werden sie unterstützen“, sagt Oberbürgermeister Jörg Röglin (parteilos). Die Stadt ist der Träger der Schule. „Für mich steht im Vordergrund, dass zwei Mädchen verletzt worden sind“, so der OB. „Das ist in keinster Weise zu entschuldigen.“ Er bedauert auch, dass mit diesem Vorfall das Engagement der Stadt und ihrer Einwohner für Flüchtlinge in Wurzen überschattet wird. Viele Ehrenamtliche kümmern sich hier zum Beispiel um Deutschunterricht und eine Kleiderkammer für Flüchtlinge.

Indes gibt es Informationen, wonach es an der Pestalozzi-Oberschule schon einen anderen Zwischenfall gegeben haben soll. Demnach ist es bereits vor den Herbstferien zu einem Übergriff zweier Schüler aus dem Kosovo auf eine Lehrerin gekommen. Das habe das Klima an der Schule und maßgeblich bei Teilen der Elternschaft verschlechtert, wird erzählt. Diese Schüler seien von der Schule verwiesen worden.

Was sich am Mittwoch hier ereignete, ist nach Worten von Pressesprecher Roman Schulz eine abscheuliche Tat und das schwerste Vergehen im Verantwortungsbereich der Bildungsagentur in Bezug auf Flüchtlinge. „Wir haben aber zunehmend damit zu tun, dass Kinder undemokratische, fremdenfeindliche und rassistische Einstellungen, die in der Gesellschaft vorhanden sind, in die Schulen hineintragen.“

Während die beiden Angreifer an der Wurzener Pestalozzi-Oberschule auch nach der Tat am Unterricht teilgenommen haben, weil sie nicht als „akute Gefahr“ eingeschätzt wurden, werden die aus Mazedonien stammenden verletzten Mädchen voraussichtlich ab Montag wieder in die Schule gehen, sagt Roman Schulz. Ihnen soll ein besonders freundlicher Empfang bereitet werden, darüber habe man sich in der Schule bereits verständigt.