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Eine endlose Geschichte

Von Riesa zur A 14 sollte der Verkehr längst auf der neuen B 169 rollen. Tatsächlich ist das Verfahren auf dem Stand, auf dem es 2009 schon einmal war. Auch wegen eines fiktiven Fisches.

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© Archivfoto: Klaus-Dieter Brühl

Von Christoph Scharf

Riesa. Der Bemessungsfisch ist gewachsen. Das Tier gibt es zwar gar nicht. Es sorgt aber trotzdem dafür, dass die Planer beim Ausbau der B 169 zur Autobahn an einer Stelle noch einmal von vorn beginnen dürfen. Das ist nur ein winziges Detail der endlosen Geschichte um den geplanten Autobahnzubringer – aber ein typisches.

Diese elf Aktenordner betreffen nur einen der beiden noch fehlenden Bauabschnitte der B169. Ein Ordner beschäftigt sich beispielsweise ausschließlich mit Tierarten, die nahe der Trasse vorkommen könnten.
Diese elf Aktenordner betreffen nur einen der beiden noch fehlenden Bauabschnitte der B169. Ein Ordner beschäftigt sich beispielsweise ausschließlich mit Tierarten, die nahe der Trasse vorkommen könnten. © Christoph Scharf

„Ständig bekommen wir es mit neuen Regelungen zu tun“, sagt Markus Heier vom Landesamt für Straßenbau und Verkehr (Lasuv). Und bei einer dieser Neuerungen ist auch der Bemessungsfisch gewachsen. Dieser fiktive Fisch gibt an, wie lang, hoch und breit die größte anzunehmende Fischart ist, die in einem Gewässer vorkommt. Mit diesen Werten hatten die Planer bereits eine Fischtreppe für ein Bächlein im Umfeld der geplanten Trasse konzipiert. Das ist als eine der vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen gedacht – weil für den Bau der Trasse Bäume gefällt werden.

Normalerweise würde man für jeden gefällten Baum einfach zwei neue pflanzen. Dafür aber braucht man Platz – und der ist im Umfeld der B 169 rar. Denn die Landwirte wollen ungern Ackerflächen für Ausgleichspflanzungen abtreten, da sie ohnehin Boden für die Trasse opfern sollen. Also plant man beim Freistaat möglichst solche Ausgleichsmaßnahmen, die keinen Ackerboden kosten – wie etwa die ökologische Aufwertung von Bächen. Und an dieser Stelle kommt der Bemessungsfisch ins Spiel: Die Fischtreppe für ihn war auf dem Papier längst fertig. Nun ist der Bemessungsfisch zwischenzeitlich aber gewachsen – die Planungen für die Maßnahme dürfen von vorn beginnen.

So etwas kommt vor, wenn sich ein Verfahren über Jahre hinzieht. In Riesa wird über die Dauer längst gemurrt – schließlich steht das Bauprojekt seit Langem im Vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans. Beim zuständigen Landesamt verweist man darauf, längst mit Hochdruck an dem Projekt zu arbeiten. „Nachdem es 2009 im Planfeststellungsverfahren massive Einwendungen gab, mussten wir quasi auf null zurück“, sagt Markus Heier, Chef der Lasuv-Niederlassung Leipzig, die für den dritten Bauabschnitt zuständig ist. Dieser erstreckt sich von Seerhausen bis Salbitz. Der Bau der 7,8 Kilometer soll insgesamt 29,9 Millionen Euro kosten. Nur: Wann wird denn gebaut? Eine Antwort auf diese Frage wäre unseriös, heißt es beim Lasuv. Zuerst brauche man vollziehbares Baurecht. Immerhin: Man stehe kurz vor dem Erörterungstermin – wie schon 2009.

Zwei komplette Ordner mit Einwendungen habe man geprüft, bearbeitet, beantwortet. Manche betrafen einfache Dinge wie Zufahrten zu künftig neu geschnittenen landwirtschaftlichen Nutzflächen. Manche werden grundsätzlicher – und beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Bauvorhabens auf die Anwohner, das Trinkwasser, die Natur. So muss nach den neuesten Vorschriften etwa nachgewiesen werden, wie viel Stickstoff der künftige Autoverkehr auf die benachbarten Flächen eintragen wird. „Bei 15 000 prognostizierten Autos pro Tag hätten wir einen zusätzlichen Stickstoffeintrag von 0,6 Gramm pro Quadratmeter Fläche“, sagt Markus Heier. Ist das viel? Ist das wenig? „Hebt man einen Quadratmeter Ackerboden bis in 30 Zentimeter Tiefe aus, finden sich darin ohnehin mindestens 800 Gramm Stickstoff, im Schnitt aber fünf bis sieben Kilogramm“, sagt der Lasuv-Niederlassungsleiter. Bei der Düngung gelten eben andere Regeln.

Auch wenn es nur um ein 10 000stel dieser Menge geht: Die neue Vorschrift macht ein neues Gutachten nötig. Ob das Lasuv damit durchkommt, ist ohnehin noch unklar – es gäbe zu vergleichbaren Fällen noch keine Gerichtsurteile. Bei der Anzahl und Art der Einwendungen geht man beim Freistaat ohnehin davon aus, mit dem Projekt noch vor Gericht zu landen. Deshalb plane man in diesem Fall besonders gründlich und exakt, sagt Steffi Schön, Abteilungsleiterin Planung und Straßenbau in der Lasuv-Zentrale. „Alles, was wir jetzt nicht hieb- und stichfest machen, fällt uns später vor die Füße.“

In Riesa fürchtet man, dass die Gegner der neuen Trasse noch einen bislang unbekannten Joker in der Hinterhand halten. „Das können wir nicht ausschließen“, sagt Markus Heier. Früher sei es nicht zulässig gewesen, beim Erörterungstermin Einwendungen zu einem Thema aufzustellen, das vorher noch gar nicht auf dem Tisch war. Seit einem Jahr aber sei das erlaubt. Der gewachsene Bemessungsfisch dürfte das geringste Problem der neuen Trasse sein.