Bautzen
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Eine Frau gegen alle

Die Amateurtheatergruppe „Bühnenvolk“ aus Bautzen zeigt das Stück „Gnadenlos“. Die SZ war bei der Premiere der dörflichen Tragödie dabei.

Von Rainer Könen
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Im Stück „Gnadenlos“ von Melanie Gieschen wird Wirtin Gerlinde (Anna Lehmann) von Dorfvorsteher Georg (Albrecht Heindel) bedrängt.
Im Stück „Gnadenlos“ von Melanie Gieschen wird Wirtin Gerlinde (Anna Lehmann) von Dorfvorsteher Georg (Albrecht Heindel) bedrängt. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Es ist eine dieser Szenen, die das Publikum an diesem Premierenabend im Bautzener Burgtheater schockt. Da rammt Martha aus lauter Verzweiflung dem Ortsvorsteher Georg ein riesiges Fleischermesser in die Brust. Blutend steht er vor ihr. „Des wirst bereuen“, keucht der. Und Martha weiß nun, dass ihr so gut bewahrtes Geheimnis keines mehr im Dorf sein wird.

In der neuen Inszenierung „Gnadenlos“ der Bautzener Amateurtheatergruppe „Bühnenvolk“ setzen sich Regisseur Michael Linke und sein Ensemble mit klischeebehafteten Rollenbildern in einem abgelegenen Dorf auseinander. Im Mittelpunkt dieses Werkes, für das die Autorin Melanie Gieschen 2000 mit dem Anna-Seghers-Preis ausgezeichnet wurde, steht Magda, eine 34-jährige Frau, die seit dem Tod ihres Vaters und dem Schlaganfall ihrer Mutter den heruntergekommenen Hof bewirtschaftet. Magda arbeitet die Schulden ab, und um der medizinischen Versorgung der Mutter und den Ansprüchen ihres geistig zurückgebliebenen Bruders Karl gerecht zu werden, verdingt sie sich auch als Dorfhure. Auf der kleinen karg-eingerichteten Bühnenfläche wechselt die Szenerie rasch zwischen Hof, Dorfschenke und Stall, dem Dreiklang dieses dörflichen Lebens. Regisseur Linke variiert mit der Inszenierung das uralte Tragödienmuster vom Einzelnen und der Gruppe, die sich gegen ihn stellt. In diesem Fall ist das eine Frau, eine Heroine. Eine gegen alle, alle gegen eine. Die mit ihrem naiven Beharren auf persönlichem Glück zum Fremden in dieser Stammesgesellschaft wird.

Grauenhafte, bäuerliche Enge

Das siebenköpfige Bühnenvolk-Ensemble gibt sich engagiert, um den Figuren Haltung zu geben. Es ist vor allem Christiane Pötzsch, die ihre Martha mit viel Kontur und Nachhaltigkeit spielt. Magda Hoffnung ist der Hof, doch die von Conny Müller dargestellte Mutter will nicht ihr, sondern ihrem vermeintlichen Bruder Karl (Chris Bernich) den Hof vererben. Der – ohne dass er es weiß – ihr Sohn ist, gezeugt von ihrem Vater. Der väterliche Missbrauch, die nicht öffentlich gelebte Liebe zu ihrem Kind Karl, zerreißt Martha innerlich. So entwickelt sich eine dieser Dorfgeschichten, die zwischen Geilheit, Neid, Inzest und Sodomie angesiedelt sind. Anderthalb Stunden nehmen die Laiendarsteller die Zuschauer mit in diese grauenvolle bäuerliche Enge, die von Aussichtslosigkeit und Leere geprägt ist und die einem zeitweise den Atem raubt. Regisseur Linke schafft dramatische Fallhöhen, die Auswege aller Figuren sind in diesem dörflichen Kosmos verstellt.

Rohe Gewalt auf der Bühne

Am Ende bleibt der Protagonistin jedoch kein Ausweg mehr, sie geht, sie muss gehen. Was folgt, ist unerwartet. Linkes Inszenierung ist alles andere als theatrale Schonkost, es ist die gnadenlose Beschreibung einer dörflichen Lebensgemeinschaft, die sich mit Vehemenz und roher Gewalt gegen das Aufbrechen von tradierten Werten in der heutigen Zeit wehrt.

Weitere Aufführungstermine von „Gnadenlos“ stehen derzeit noch nicht fest. Infos unter Telefon:  03591 584225.

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