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Eine Frau und ihre alte „Kanone“

Eine Wahlberlinerin rettet in Seifhennersdorf die alte „Kanone“. Das ehemalige Gasthaus steckt voller Überraschungen.

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© Rafael Sampedro

Von Holger Gutte

Seifhennersdorf. Mühsam haucht Clothilde Wildner der alten Gastwirtschaft „Kanone“ in der Dr.-Külz-Straße 2 in Seifhennersdorf wieder Leben ein. Im August 2015 hatte sie das Haus gekauft. Durch Zufall ist die Wahlberlinerin damals im Internet auf die „Kanone“ aufmerksam geworden. Für sie war es Liebe auf den ersten Blick – und die hält bis heute an. So oft sie es einrichten kann, arbeitet sie im Haus, dass seit 1990 leer stand. Viel Arbeit und vor allem Geld muss sie noch hineinstecken, bis alles so wird, wie sie es sich ausmalt.

Die Vorderseite des um 1860 gebauten Hauses.
Die Vorderseite des um 1860 gebauten Hauses. © Rafael Sampedro
Selbst das Treppengeländer war verkleidet.
Selbst das Treppengeländer war verkleidet. © Rafael Sampedro
Hinterm Haus wurden ein Schuppen und der Toilettenanbau abgerissen.
Hinterm Haus wurden ein Schuppen und der Toilettenanbau abgerissen. © Rafael Sampedro

Wenn die 50-Jährige ein Jahr zurückblickt, staunt sie, was sie erreicht hat. Wenigstens warmes Wasser und eine Abwasserleitung im Haus zu haben, war damals ihr größter Wunsch. Inzwischen hat sie warmes Wasser und kann duschen. Erstmals hängt die „Kanone“ am Abwassernetz der Stadt. Die alte Klärgrube ist Geschichte. Weg sind hinterm Haus auch der baufällige Schuppen und der Toilettenanbau.

Jetzt steckt sich Clothilde Wildner für 2017 neue Ziele. Das Dach muss repariert werden. Zwei Schornsteine will sie abreißen und einen wieder aufbauen lassen. Für das Dach hat sie Fördermittel beantragt. „Vielleicht bekomme ich welche, das würde sehr helfen“, sagt sie. Denn sonst bekommt sie das Geld nur schwer dafür zusammen. Schließlich soll es ja auch im Haus vorangehen. Stolz öffnet Clothilde Wildner die Tür zu ihrer Schlafstube. Sie ist noch nicht ganz fertig. Aber man sieht, worauf sie Wert legt. Die 50-Jährige hat ein Auge für schöne Details. So viel wie möglich will sie von der historischen Bausubstanz erhalten. Vieles ist in dem um 1860 gebauten Gasthaus noch im Originalzustand. Oft muss sie es aber erst freilegen und entdecken. So ist sie vor einem Jahr beim Abreißen der alten Tapete und dem Abwaschen der Wände in der Schlafstube auf ein altes Rollmuster an den Wänden gestoßen. Eine Wand will sie so erhalten.

Immer öfter schläft sie schon im Haus. Mittlerweile ist sie dabei aber sehr hellhörig geworden. Schuld daran ist ein Einbrecher, den sie im Sommer erwischt hat. „Ich war mir sicher, dass alle Fenster geschlossen sind und hörte frühmorgens plötzlich, wie eines geöffnet wurde“, erzählt sie. Als sie die Tür öffnete, erwischte sie im Nebenraum einen Mann, der eine Arbeitshose von ihr in der Hand hielt. „Ich war so erschrocken und wütend, da blieb keine Zeit, Angst zu haben“, sagt sie. Der Mann flüchtete durch das geöffnete Fenster. „Außer Arbeit gibt es hier nichts zu holen“, scherzt Clothilde Wildner. Aber sie ärgert sich, weil sich seitdem im Haus etwas verändert hat. Sie hört jetzt buchstäblich jeden Regentropfen, der aufs Haus fällt. Umso mehr ist sie deshalb froh, dass sich nun die alten Fensterläden im Haus wieder zuschieben lassen. Zu DDR-Zeiten sind sie einfach festgenagelt worden.

Nach dem Entrümpeln der Zimmer macht sie sich nun ans Aufarbeiten einiger schöner Details. Mühsam hat sie schon von fast allen Kastentüren die Farbschichten entfernt. Auch die unzähligen Verkleidungen der Wände und Decken sind abgerissen. Beim Saal wurden dabei zwei Fenster freigelegt. „Das ganze Haus war zugebaut. Scheinbar wollten die Besitzer früher alles glatt haben“, erzählt sie. Manchmal bekommt sie spontan Hilfe von Leuten, die sie gar nicht kennt. Auf ihrer Internetseite hat sie mal jemanden gesucht, der eine alte Tür mit einem Dietrich öffnen kann. Es kam auch jemand. Und einmal sagte eine 19-Jährige, die sich mit ihren Großeltern beim Tag des Umgebindehauses die „Kanone“ ansah: „Hier hätte ich Lust mal mitzu- helfen.“ Zur Überraschung von Clothilde Wildner stand sie tatsächlich eines Tages vorm Haus. Gemeinsam haben sie beim Treppenaufgang Ölfarbe von den Wänden entfernt. „Zu zweit macht so was viel mehr Spaß“, sagt Clothilde Wildner.

Wer ihr beim Retten der alten „Kanone“ helfen will, kann das mit Spenden tun. Über www.stiftung-umgebindehaus.de/spenden.htm ist das möglich. Unter dem Kennwort „Kanone Seifhennersdorf“ wird das Geld dann zu ihr weitergeleitet.