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Eine Hochzeit und der Zwischenfall

Plötzlich hat Bastian Roscheck keine Zeit mehr fürs Standesamt, er muss zur Handball-EM – ein unglaublicher Aufstieg.

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© Fotostand

Von Tino Meyer, Zagreb

Der kleine Basti hat einen Traum. Viele Jungs in seinem Alter wollen Fußballprofi werden, auch Feuerwehrmann steht immer noch weit oben in der Wunschliste. Bastian Roscheck aber träumt von einem Leben als Handballspieler. Als Fünf- oder Sechsjähriger hat er das jedenfalls in eines dieser Freundschaftsbücher geschrieben, die offensichtlich nie an Bedeutung verlieren – und ihn gut 20 Jahre später daran erinnern, dass er es tatsächlich geschafft hat.

Es wird laut. Aber schreien kann Philipp Weber auch.
Es wird laut. Aber schreien kann Philipp Weber auch. © Fotostand

Wirklich begreifen kann Roscheck das nicht. Wie auch? „Ich lebe wie in einer Blase, alles geht so schnell. Vor einer Woche habe ich gerade mein erstes Länderspiel gemacht, und jetzt bin ich bei der EM“, sagt der bald 27-Jährige nach seinem Debüt, das mit dem 32:19 gegen Montenegro überaus erfolgreich ist. Nun ist er nicht nur Nationalspieler, sondern auch gleich Abwehrorganisator beim Europameister – hat dafür aber seine Hochzeit absagen müssen.

Roschecks Geschichte ist die des ersten Wochenendes dieser Handball-EM, und die geplatzte Trauung sozusagen das mediale Bonbon, das den gebürtigen Krefelder noch interessanter macht. Dabei gäbe es genug anderes über ihn, den großen Unbekannten in der deutschen Mannschaft, zu sagen.

Doch die Sache mit der Hochzeit muss er immer und immer wieder erzählen, das hat Roscheck inzwischen auch festgestellt. „Wir wollten eigentlich kein großes Ding draus machen, aber jetzt hat sich das natürlich rumgesprochen. Und stimmt, am 5. Januar wollten wir heiraten“, sagt Roscheck. Statt seiner Freundin Linda hat er dann jedoch Bundestrainer Christian Prokop das Ja-Wort gegeben. „Linda hat es sehr sportlich genommen, für sie war das überhaupt kein Problem“, betont der verhinderte Ehemann, der künftig sehr wahrscheinlich öfter noch persönliche Planungen nicht nur mit seinem Verein SC DHfK Leipzig abstimmen muss.

Zumindest ein Termin steht unumstößlich fest: Im April wird Roscheck erstmals Vater, ein neues Hochzeitsdatum gibt es indes noch nicht. „Wir haben gesagt, wir verschieben das eine, damit ich meinen Fokus auf das andere legen kann. Trotzdem ist das hier nur Handball, das nimmt mir ein bisschen Druck – obwohl es eine EM ist und für mich eine große Ehre, dabei zu sein“, sagt Roscheck, der eine fast schon unglaubliche wie vorbildliche Karriere hingelegt hat.

Prototyp für den Bundestrainer

Nach der zweiten schweren Schulter-Operation vor viereinhalb Jahren entwickelt sich der damalige Drittligaspieler des OSC Rheinhausen zum Defensivspezialisten. Und er beginnt – für ihn rückblickend entscheidend – als erster Handballer überhaupt die Zusammenarbeit mit dem Neuroathletiktrainer Lars Lienhard.

Dessen Methode, Muskeln und Gelenke durch das Ansprechen von Gehirnarealen anzusteuern, lässt den Traum weiterleben. „Man tut, was man kann“, sagt Roscheck. Die Beweglichkeit der Schulter bleibt zwar eingeschränkt und macht Würfe im Angriff zur absoluten Ausnahme. Seine Defensivqualitäten sind dagegen längst herausragend und die Abwehrwerte die besten aller Bundesliga-Spieler.

Roscheck ist überhaupt der Prototyp eines Nationalspielers, wie ihn sich der Bundestrainer wünscht: taktisch klug, athletisch top, charakterlich tadellos – und frei von jeglichen Starallüren. Diesem ganzen Rummel, der bereits nach dem unerwartet klaren Auftaktsieg herrscht, steht er staunend gegenüber – und ist doch mittendrin. ZDF-Interview, Fragen von der Handballwoche, der Süddeutschen und noch ein Hintergrundgespräch mit dem ARD-Mann, der am Montagabend das zweite Vorrundenspiel gegen Slowenien kommentiert. Von der Hochzeit wird also weiter die Rede sein und auch davon, dass sie zu Hause in Krefeld und in Leipzig beim SC DHfK „stolz wie Bolle sind und mitfiebern“.

Alle wollen möglichst alles wissen. Auffällig dabei: Der Name von Finn Lemke fällt nicht mehr. Dabei war die Aufregung noch vor ein paar Tagen riesig, als Prokop sich für Roscheck statt des 2,10-Meter-Hünen bei der Nominierung entscheidet. Von Vetternwirtschaft ist die Rede, weil der Unbekannte wie international Unerfahrene für Prokops Ex-Verein spielt.

Roscheck hat auch mit dem Thema keine Probleme. Menschlich tue es ihm leid für Lemke. „Das ist einfach so, da ist man als Sportler auch kollegial“, sagt er kurz vor EM-Beginn, und damit hat es sich aber. Am Tag nach dem Auftaktsieg spricht Roscheck nur noch indirekt über die viel diskutierte Personalie – als es um seine eigene Spielweise geht und die gemeinsame Vergangenheit mit dem Bundestrainer.

Er sei nicht der klassische Zwei-Meter-Mann in der Abwehr, der nur die Arme hochnehmen muss. „Ich muss versuchen, viel mit Schnelligkeit und taktischem Verständnis zu arbeiten. Das passt ganz gut“, sagt Roscheck, und die aus Leipziger Zeiten bekannten Abläufe, Spielsysteme und Mechanismen erleichtern die Eingewöhnung. Prokop bezeichnet ihn nicht umsonst als seinen Mann für die Sonderaufgaben, zum Beispiel Unterzahlsituationen in der Defensive. „Das liegt mir, ich kann gut beobachten“, erklärt Roscheck, und gut einschätzen kann er sich offenbar ebenfalls.

Das erste Bundesliga-Spiel mit Leipzig sei unfassbar gewesen, die zweite Liga bereits etwas Besonderes – doch was jetzt kommt, sowieso nur noch Bonus. Und Roscheck meint entwaffnend ehrlich: „Ich war auf nichts vorbereitet.“