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Eine Kerze für Mama

Vor zwei Jahren tötete Terrorist Anis Amri in Berlin auch eine junge Mutter. Für ihre Familie begann ein anderes Leben - in Dresden.

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Petr Cizmar wird mit seinem Sohn am Mittwoch in Berlin eine Kerze für dessen Mama anzünden.
Petr Cizmar wird mit seinem Sohn am Mittwoch in Berlin eine Kerze für dessen Mama anzünden. © dpa/Sebastian Kahnert

Von Ulrike von Leszczynski

Berlin/Dresden. Vielleicht wird es kaum jemand merken, wenn ein kleiner Junge am 19. Dezember nahe der Berliner Gedächtniskirche eine Kerze anzündet. Es wird David sein, sieben Jahre alt, der beim Terroranschlag in Berlin vor zwei Jahren seine Mutter verlor. Es war bisher der schwerste islamistische Anschlag in Deutschland. Davids Mutter Nada Cizmar, die damals mit Kollegen den Weihnachtsmarkt besuchte, war unter den zwölf Toten. Sie starb mit 34 Jahren.

David zünde gern Kerzen für seine Mutter an, sagt sein Vater Petr Cizmar. Sie sei in der Erinnerung seines Kindes sehr präsent, manchmal verschöben sich dabei die Zeitebenen. David sage zum Beispiel heute noch oft, mit seiner Mutter an einem bestimmten Ort gewesen zu sein. Auch, wenn das gar nicht stimme. "Er besteht dann darauf."

Zur Gedächtniskirche zu kommen, am Tag des Anschlags, ganz privat, das ist Petr Cizmar ein Bedürfnis. Seine Frau blieb nach der Trennung vor mehr als drei Jahren eine gute Freundin. Er will Blumen niederlegen an dem Ort, an dem sie starb, als der Tunesier Anis Amri mit einem Lkw auf den Weihnachtsmarkt fuhr und insgesamt 12 Menschen tötete.

Der 40-jährige Tscheche arbeitet heute als Ingenieur in der Dresdner Halbleiterindustrie. Als alleinerziehender Vater brauchte er einen festen Job. Leiharbeit wie früher, das ging nicht mehr ohne Davids Mutter. Mehr als ein Jahr ist dieser Neustart jetzt her, doch noch immer sind nicht alle Umzugskisten ausgepackt. Keine Zeit.

Das größte Problem

Zeit zu haben - das sei für ihn das größte Problem, sagt Cizmar. David, sein Vollzeit-Job und der Haushalt mit Kochen, Putzen und Waschen - für ihn selbst bleibe da kaum eine Minute. Doch für den Moment will er das so. "Eine Tagesmutter würde schon helfen. Aber ich finde, dass ein Kind ein Recht auf seine Eltern hat." Und David habe jetzt nur noch einen Vater.

Petr Cizmar ist Physiker, ein Mann, der es gewohnt ist, Dinge zu berechnen und in Wahrscheinlichkeiten zu denken. "Im Rahmen der Möglichkeiten geht es uns gut", sagt er. David sei jetzt in der zweiten Klasse. Er könne schon allein zur Schule gehen, aber er habe einige Probleme dort. "Ich weiß nicht, ob das mit dem Tod seiner Mutter zusammenhängt. Seine Lehrerin vermutet das schon", sagt der Vater. Der Junge gehe jetzt zu einem Kinderpsychologen.

Geld aus den Entschädigungszahlungen nach dem Anschlag ändert an Petr Cizmars Lage im Moment nicht viel. Mehr Vater-Zeit kann er sich nicht kaufen. "Ich bin froh über meinen Beruf. Ich könnte mir ein Leben ohne meine Arbeit nicht vorstellen. Das wäre nicht gut für mich."

3,8 Millionen Euro sind bisher an mehr als 170 Hinterbliebene von Todesopfern und verletzte Menschen ausgezahlt worden. Ehepartner, Kinder und Eltern eines Toten erhalten 30.000 Euro. Daneben wurden Witwer-, Waisen- und Halbwaisenrenten bewilligt. Es sind Summen zwischen 124 und 443 Euro pro Monat. Manche Terror-Opfer halten das nicht für ausreichend.

"Das Geld ist in jedem Fall eine Hilfe im Alltag", sagt Cizmar. Ob es genug sei, sei schwer zu berechnen. "Wer würde seine Frau gegen einen halben Jahreslohn eintauschen?", fragt er.

Zur Zeit habe er einen guten Job und mache fast alles selbst. "Das ist aber langfristig nicht möglich, dass ich so weitermache." Von guter Kinderbetreuung bis hin zu einer Putzfrau - er hat noch nicht ausgerechnet, was das alles kosten würde. Wahrscheinlich mehr als die Opferrenten bringen. "Aber ich habe weder Zeit noch Kraft für die deutsche Bürokratie - oder für einen Kampf um mehr Entschädigung." Viel wichtiger sei für ihn im Moment, einen Kinderarzt für David zu finden.

Zweimal bei der Bundeskanzlerin

Wichtig wäre für Cizmar auch, die Akten über den Anschlag zu lesen. Keine Zeit. Er würde gern in einem der Untersuchungsausschüsse sitzen. "Aber die sind in Berlin. Und ich sortiere Kindersocken in Dresden." Doch er erwarte, dass in den Ausschüssen alles restlos aufgeklärt werde. Und dass es Schlussfolgerungen gibt. Damit so etwas nicht wieder passieren kann.

"Wir haben ja gerade in Straßburg gesehen, dass Betonpoller nicht ausreichen. So einfach ist das nicht", sagt Cizmar. "Die Gefahr von Terroranschlägen wird unterschätzt. Dieses Problem ist nicht gelöst." Vieles hat für Cizmar nach dem Berliner Anschlag auf ein Versagen des Staates hingedeutet. Und noch vor einem Jahr hatte er den Eindruck, dass die Politik die Opfer ignoriert.

"Inzwischen hat uns die Bundeskanzlerin zweimal empfangen", sagt Cizmar. "Obwohl das ein bisschen zu spät kam, finde ich das eine positive Entwicklung. Ich habe das Gefühl, dass wir jetzt ernst genommen werden." Nur eines ändert sich auch damit nicht. Für David wird es das dritte Weihnachten ohne Mama. (dpa)