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Sorgentelefon hat jetzt selbst Sorgen

7 000 Mal haben Kinder und Jugendliche voriges Jahr diese Nummer gewählt. Für das wichtige Ehrenamt werden dringend Mitarbeiter gesucht.

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© Matthias Weber

Von Jana Ulbrich

Ich gehe nie mehr in diese Schule, weint das Mädchen am anderen Ende der Leitung. „Willst du mir erzählen, was passiert ist?“, fragt die fremde Frau am Telefon. Ihre Mitschüler würden sie immer hänseln, weil sie so dick ist, erzählt das Mädchen. Und dann redet sie sich ihren ganzen Kummer von der Seele, erzählt vom Mobbing im Sportunterricht und auf der Klassenfahrt. Die Frau am Telefon, nennen wir sie Gabi, hört aufmerksam zu. Zuhören ist erst einmal das Wichtigste. „Du musst dir das nicht gefallen lassen“, sagt sie dann. „An deiner Stelle würde ich deine Lehrer einschalten. Erzähle ihnen das alles, was du mir jetzt gerade erzählt hast.“

Es ist der fünfte Anruf an diesem Abend. Seit Gabis Schichtbeginn klingelt das Telefon fast ununterbrochen. Sie hat heute schon versucht, einem 17-Jährigen die Angst vor einem Vorstellungsgespräch zu nehmen. Eine 13-Jährige hat ihr erzählt, sie habe am letzten Wochenende zum ersten Mal Sex gehabt und nun Angst, es könnte etwas passiert sein. Es sind meistens keine einfachen Gespräche. Gabi muss die richtigen Worte finden, sie muss die Anrufer beruhigen, ihnen helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Denn handeln müssen die jugendlichen Anrufer am Ende selber. Gabi kann ihnen nur Ratschläge geben. Sie fragt auch nicht: Wo wohnst du denn? Oder: An welche Schule gehst du? Das Sorgentelefon für Kinder und Jugendliche basiert auf strikter Anonymität. Auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter am Telefon bleiben anonym.

Seit über zehn Jahren arbeitet Gabi schon ehrenamtlich mit. Weil es immer weniger freiwillige Mitstreiter gibt, übernimmt die 42-jährige im Moment bis zu drei Dienste pro Woche – und das neben ihrem Vollzeitjob als Krankenschwester. Jeweils für drei Sunden fährt sie dafür in ein kleines Hinterhaus-Büro in Löbau, dem zentralen Arbeitsplatz der Ehrenamtlichen vom Kinder- und Jugendsorgentelefon in der Oberlausitz, kurz KJT. Es ist ihr wichtig, sagt sie, dass das Angebot bestehen bleibt.

Das hofft auch Irena Knüpfer von der Bautzener Diakonie, dem Träger des KJT. „Wir suchen dringend neue ehrenamtliche Mitarbeiter“, sagt sie. Im vorigen Jahr hat das Telefon rund 7 000 Mal geklingelt. Anrufe aus der ganzen Oberlausitz werden von der Telekom automatisch in das kleine Büro nach Löbau geschaltet. Es sind – leider – auch Scherzanrufe darunter, bei denen sich Jugendliche einen Spaß erlauben. Das ärgert die Mitarbeiter. Etwa aus jedem dritten Anruf aber entwickelt sich ein ernsthaftes Gespräch, sagt Irena Knüpfer. „Viele Jugendliche, die hier anrufen, brauchen wirklich Hilfe und jemanden, mit dem sie reden können.“

Bei jedem dritten Anruf geht es um Sexualität, bei jedem fünften um familiäre Probleme, bei jedem sechsten um Liebe und Partnerschaft. Häufig sind Probleme in der Schule, Ausgrenzung und Mobbing der Anrufgrund. Es geht aber auch um Gewalt und Missbrauch, um Sucht, um Trauer und Tod. „Man muss da sehr aufmerksam und sensibel reagieren“, weiß Gabi aus ihrer langen Erfahrung. Wer das Sorgentelefon anruft, erhofft sich Hilfe, braucht einen Rat, will ernst genommen werden mit seinem Problem. „Ich merke immer, wie sehr die Jugendlichen im Zwiespalt leben, wie unsicher sie in vielen Dingen sind“, sagt die Mitarbeiterin. Lösen kann sie die Probleme ihrer jungen Anrufer nicht. Aber sie kann ihnen Anregungen und Denkanstöße geben. „Ich möchte sie motivieren, selber aktiv zu werden in ihrer Situation“, sagt sie. Der 13-Jährigen, die ungeschützt Sex hatte, rät sie zum Besuch beim Frauenarzt. Wie die Geschichten ausgehen, weiß Gabi am Ende nicht. Sobald sie den Hörer wieder auflegt, ist der Fall für sie erledigt. Es sei denn, der- oder diejenige ruft wieder an. Auch das gibt es.

Drei Stunden dauert eine Schicht am Telefon, immer wochentags von 14 bis 17 oder 17 bis 20 Uhr. „Ich empfinde das als eine sehr dankbare Aufgabe, die ich nicht mehr missen möchte“, sagt Gabi. Sie geht auch an diesem Abend mit einem guten Gefühl nach Hause.

Ehrenamtliche gesucht

Für den Telefondienst werden ehrenamtliche Mitarbeiter gesucht. Besondere Vorkenntnisse sind nicht nötig. Interessenten können sich telefonisch bei der Diakonie Bautzen melden: 03591 481660.

Ein Anruf beim Sorgentelefon ist für Kinder und Jugendliche kostenlos: Zu erreichen sind die Mitarbeiter montags bis freitags von 14 bis 20 Uhr: 0800-1110333.