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Eine Ohrfeige für die Kommissarin

Der Hannover-„Tatort“ über eine negierte Schwangerschaft geht an die Nieren.

Von Rainer Kasselt
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Ein spezielles Team: Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler, 2. v. l.) ermittelt erstmals mit ihrer neuen Kollegin Anaïs Schmitz (Florence Kasumba (2. v. r.) in Göttingen.
Ein spezielles Team: Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler, 2. v. l.) ermittelt erstmals mit ihrer neuen Kollegin Anaïs Schmitz (Florence Kasumba (2. v. r.) in Göttingen. © NDR

Kalte Dusche für Charlotte Lindholm, gespielt von Maria Furtwängler. Sie wird in die Provinz strafversetzt, muss das LKA in Hannover nach einem schweren Patzer verlassen. „Du wirst in Göttingen verschimmeln“, prophezeit ihre Mutter. So schlimm kommt es nicht. Aber für die kühle Blonde verändert sich alles. Die Zeit der Alleingänge in den bisherigen 25 „Tatort“-Episoden ist vorüber. Die neue Kollegin Anais Schmitz denkt nicht daran, sich ihr unterzuordnen. Sie agiert als Ko-Ermittlerin künftig mit Lindholm im Niedersachsen-„Tatort“. Die Rolle ist mit der aus Uganda stammenden, in Deutschland aufgewachsenen und international erprobten Florence Kasumba attraktiv besetzt. Sie ist die erste schwarze „Tatort“-Kommissarin. Da hat sich die ARD viel Zeit gelassen.

Beim Kennenlernen kracht es gleich zwischen den beiden Alpha-Geschöpfen. Lindholm zieht die arrogante Karte: „Ich habe ein Problem mit Kollegen, die nicht auf meinem Niveau ermitteln.“ Sie raunzt, Schmitz solle ihren Hintern ein bisschen schneller hochkriegen. Kaum ist ihr die Beleidigung entfahren, fängt sich die Kommissarin eine saftige Ohrfeige ein. „Es geht manchmal mit mir durch – mangelnde Impulskontrolle“, erklärt Schmitz den Ausraster. Freundinnen werden die zwei wohl nicht. Gut so, die Konstellation hat ihren Reiz. Ihr erster gemeinsamer Fall „Das verschwundene Kind“ geht an die Nieren. Die 15-jährige Julija bringt in einer verdreckten Umkleidekabine heimlich ein Baby zur Welt. Sie und ihre Umwelt haben die Schwangerschaft nicht bemerkt. Schwer nachvollziehbar, doch hierzulande gibt es etwa 1 600 ähnliche Fälle pro Jahr. Was die junge Mutter während und nach der Geburt an Blutverlust, Angst und Schmerz erleidet, ist schwer mit anzusehen. Bittere, realistische Bilder. Lilly Barshy als gepeinigte Julija spielt Not und Verzweiflung ihrer Figur physisch und psychisch überzeugend. Eine preiswürdige Leistung.

Das Baby wird tot in einer Müllkippe gefunden. Wer ist der Vater? Drei Drehbuchautoren (!) legen falsche Fährten, überbieten sich mit einer Vielzahl von Verdächtigen, drücken auf die dramatische Tube. Den netten Boxtrainer hatte wohl keiner auf dem Zettel. Regisseurin Franziska Buch legt mit ihrem ersten „Tatort“ einen Film vor, der Alltagsrassismus, religiösen Wahn und Intoleranz geißelt. Vor allem aber weckt sie feinfühliges Verständnis für den Leidensweg der unglücklichen Julija.