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Eine Stadt auf dem Pulverfass

Vier Jahre lagerten in Bischofswerda Atomsprengköpfe. Ein Bürger kämpft dafür, die letzte Erinnerungsstätte zu erhalten.

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Von Ingolf Reinsch

Was hat US-Präsident Donald Trump mit Bischofswerda zu tun? Nichts! Und trotzdem gibt es eine Verbindung. Trump will den INF-Vertrag aufkündigen. Es ist jener Abrüstungsvertrag zum Abbau von Mittelstreckenraketen in Europa, den die Präsidenten der USA und der Sowjetunion, Ronald Reagan und Michail Gorbatschow, im Dezember 1987 in Washington schlossen und auf dessen Grundlage im Februar 1988 die Atomraketen auch aus Bischofswerda und dem Taucherwald abgezogen wurden.

„Bischofswerda war einer der heißesten Orte im Kalten Krieg“, sagt Falk Nützsche, während er die SZ-Reporter zu jenem Bunker auf dem früheren Kasernengelände führt, in dem von 1984 bis 88 ständig vier einsatzbereite Atomsprengköpfe gelagert worden waren. Der Platz vor dem Bunker ist inzwischen zugewachsen mit Bäumen. Die Zufahrt wurde verfüllt. Ein kleiner Schlitz, vergleichbar mit einer Schießscharte, ermöglicht einen Blick ins Innere. Wer eine Taschenlampe dabei hat, erkennt das mächtige Tonnengewölbe. Rund um den Bunker sind noch heute Reste von Tarnnetzen zu finden. Früher war das Tor des Bunkers vier Meter hoch, sodass die schweren, gepanzerten Raketenfahrzeuge direkt heranfahren konnten. Es war üblich, Raketen und Sprengköpfe getrennt voneinander zu lagern.

Zwei Batterien, die jeweils über vier Atomraketen verfügten, waren in der Region stationiert – jeweils eine im Taucherwald, die andere in Bischofswerda. Monatlich wurde gewechselt. Verlegt wurden dabei nicht nur die Mannschaften, sondern auch die hochexplosive Technik. Jeder einzelne Sprengkopf hatte die vielfache Wirkung der Hiroshima-Bombe. „Der Ort war dem gegnerischen Militärbündnis, der Nato, bekannt und galt damit als vorrangiges Angriffsziel für große Kernwaffenschläge, die zur vollständigen Auslöschung eines riesigen Gebietes geführt hätten“, sagt Falk Nützsche. Zu den acht Atomraketen in Bischofswerda und dem Taucherwald kamen weitere 16 in Königsbrück hinzu.

Der Bunker nahe der stillgelegten Bahnstrecke Bischofswerda – Kamenz ist das letze Zeugnis im Bischofswerdaer Stadtbild, das an die Zeit erinnert, als die Weltpolitik die ostsächsische Kleinstadt streifte. Falk Nützsche möchte, dass der Bunker erhalten bleibt – als Stätte der Erinnerung, Mahnung und Verpflichtung, sich für Frieden, Verständigung und Abrüstung einzusetzen. Er beantragte deshalb im Bautzener Landratsamt, den Bunker unter Denkmalschutz zu stellen. „Viel, was an unsere Geschichte erinnert, haben wir nicht mehr in Bischofswerda. Der Bunker ist ein Zeugnis der Stadtgeschichte, das weit über die Grenzen Bischofswerdas hinaus Bedeutung hat. Durch den Raketenabzug 1988 wurde weltweit die atomare Abrüstung eingeleitet“, sagt er.

Und er denkt noch weiter. Der Zugang zum Bunker sollte zugänglich gemacht und ausgeschildert werden. Wenige Hundert Meter davon entfernt verläuft der gut ausgebaute Radweg entlang der Straße zwischen Bischofswerda und Bautzen. Von dort wäre die Erinnerungsstätte über den früheren Bahndamm leicht zu erreichen.

Zu Beginn dieses Jahres wandte sich Falk Nützsche mit seinem Anliegen ans Landratsamt Bautzen – und hörte monatelang gar nichts. Auf Nachfrage in der Kreisbehörde wurde er auf Mitte September vertröstet. Auch dieser Termin verstrich, ohne dass der Bischofswerdaer eine Mitteilung bekam. Gegenüber der SZ erklärte nun das Landratsamt, man habe „die Überprüfung der Unterschutzstellung bzw. der Denkmaleigenschaften in die Wege geleitet“. Dafür müsse das Landesamt für Denkmalpflege die sogenannten Denkmaleigenschaften überprüfen. „Das Landesamt für Denkmalpflege Sachsen ist für die Unterschutzstellung der Objekte zuständig. Sobald wir auf unsere Anforderung vom Landesamt für Denkmalpflege eine Antwort bekommen, werden wir auch die Familie Nützsche informieren“, sagte Pressesprecherin Dunja Reichelt.

Angesichts erneuter weltweiter Kriegstreiberei und Drohungen, Atomwaffen einzusetzen, sei es geboten, noch vorhandene Zeugnisse des Kalten Krieges zu Denkmalen zu erklären, fordert Falk Nützsche. Unterstützung bekommt er von Bürgern wie dem Burkauer Mathias Hüsni, der unter anderem als Herausgeber der Jahreszeitung „Schiebocker Landstreicher“ Stadt- und Regionalgeschichte erforscht und bewahrt. Er sieht noch einen weiteren, weitaus publikumsträchtigeren Ort, an dem Bischofswerda an diese Zeit erinnern sollte. „Auch auf den Bahnhof gehört eine Gedenktafel“ sagt Mathias Hüsni. Gerade dorthin, wo, beobachtet von der internationalen Presse und weltweit gefeiert, der Raketenabzug am 24. Februar 1988 begann. Die sowjetischen, später dann russischen Truppen blieben allerdings noch über vier Jahre in Bischofswerda stationiert. Im Juni 1992 wurden die Garnison aufgelöst und das Militär aus der Stadt abgezogen.