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Stimme gegen Armenien-Resolution

Nahezu einmütig haben die Bundestagsabgeordneten trotz Warnungen aus Ankara abgestimmt: Mit einer Gegenstimme aus Sachsen beschließen sie eine umstrittene Armenier-Resolution. Diplomatischer Ärger folgt prompt.

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© CDU/Laurence Chaperon

Berlin. Ungeachtet scharfer Proteste der Türkei hat der Bundestag die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich vor rund 100 Jahren als Völkermord verurteilt. Ein von Union, SPD und Grünen eingebrachter Antrag wurde am Donnerstag bei nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen.

Nach Worten von Grünen-Chef Cem Özdemir (am Rednerpult) ist es eine „historische Verpflichtung“ Deutschlands, Armenier und Türken zur Versöhnung zu ermuntern.
Nach Worten von Grünen-Chef Cem Özdemir (am Rednerpult) ist es eine „historische Verpflichtung“ Deutschlands, Armenier und Türken zur Versöhnung zu ermuntern. © Reuters

Die einzige Nein-Stimme kommt von einer Abgeordneten aus Sachsen. Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte die Stimme zunächst übersehen. Aber Bettina Kudla, CDU-Abgeordnete aus Leipzig, machte winkend und rufend auf sich aufmerksam. Und so verzeichnet das Protokoll des Bundestages nun eine einzige Stimme gegen die Erklärung zum Völkermord an den Armeniern vor einhundert Jahren.

Kudla gab dazu eine schriftliche Erklärung ab, in der sie dem Parlament das Recht abspricht, sich in die Geschichtsfragen anderer Länder einzumischen. „Es ist nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages, historische Bewertungen von Ereignissen in anderen Staaten vorzunehmen“, schrieb sie. In diesem Fall sei das Sache der Türkei. Sie kritisierte außerdem, dass die Resolution keine wissenschaftlichen Belege für den Völkermord und eine mögliche deutsche Mitverantwortung anführe. „Die Beziehungen zur Republik Türkei werden durch diesen Beschluss belastet“, so Kudla. Und dadurch werde der Vollzug des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei erschwert.

Türkei ruft Botschafter zurück

Die wichtigsten Passagen der Resolution

Der Bundestag hat eine Resolution verabschiedet mit dem Titel „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“. Die wichtigsten Textpassagen:

VÖLKERMORD: „Im Auftrag des damaligen jungtürkischen Regimes begann am 24. April 1915 im osmanischen Konstantinopel die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million ethnischer Armenier. Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt.“

DEUTSCHE MITSCHULD: „Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen.“

DIMENSION VON VERTREIBUNG UND MASSAKERN: „Den Deportationen und Massenmorden fielen nach unabhängigen Berechnungen über eine Million Armenier zum Opfer.“ (Begründungstext der Resolution)

ZUR TÜRKISCHEN LESART: „Bis heute bestreitet die Türkei entgegen der Faktenlage, dass der Vertreibung, Verfolgung und Ermordung der Armenier eine Planmäßigkeit zugrunde gelegen hätte bzw. dass das Massensterben während der Umsiedlungstrecks und die verübten Massaker von der osmanischen Regierung gewollt waren.“ (Begründungstext)

EINWIRKEN AUF DIE TÜRKEI: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf (...) die türkische Seite zu ermutigen, sich mit den damaligen Vertreibungen und Massakern offen auseinanderzusetzen, um damit den notwendigen Grundstein zu einer Versöhnung mit dem armenischen Volk zu legen, (...)“ (dpa)

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Auf den dennoch gefassten Bundestagsbeschluss reagierte die türkische Regierung empört und rief ihren Botschafter aus Berlin zurück. In der Türkei wurde der deutsche Geschäftsträger ins Außenministerium einbestellt. Ankara hatte bereits zuvor vor einer Belastung der Beziehungen gewarnt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte bei einem Argentinienbesuch die Hoffnung, dass das Verhältnis zur Türkei nicht dauerhaft belastet werde.

In der Debatte betonten Redner aller Fraktionen, die Resolution solle die Türkei nicht an den Pranger stellen und hoben eine historische Mitschuld Deutschlands hervor. Bundestagpräsident Norbert Lammert sagte: „Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht verantwortlich für das, was vor 100 Jahren geschah, aber sie ist mitverantwortlich für das, was daraus in Zukunft wird.“ Bei Tötungen und Deportationen von Armeniern waren 1915 nach Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit ums Leben gekommen. Die Türkei bedauert dies, lehnt die Einstufung als Völkermord aber strikt ab.

Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte bei einem Besuch in Nairobi: „Die Entscheidung, die das deutsche Parlament soeben getroffen hat, ist eine Entscheidung, die die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei ernsthaft beeinflussen wird.“ Ministerpräsident Binali Yildirim betonte laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu, die Türken hätten sich ihrer Vergangenheit nicht zu schämen. Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf Deutschland auf Twitter vor, mit der „verantwortungslosen und haltlosen“ Parlamentsentscheidung von den „dunklen Seiten der eigenen Geschichte“ ablenken zu wollen.

Armenien begrüßte die Resolution dagegen. „Während Deutschland und Österreich als frühere Verbündete des Osmanischen Reiches ihren Teil der Verantwortung anerkennen, leugnen die türkischen Behörden den unwiderlegbaren Fakt des Völkermordes beharrlich“, sagte der Außenminister der Südkaukasusrepublik, Edward Nalbandian.

Im Bundestag sagte Grünen-Chef Cem Özdemir, bei der Aufarbeitung gehe es auch um ein Stück deutscher Geschichte. Es sei eine „historische Verpflichtung“, Armenier und Türken aus Freundschaft zur Versöhnung zu ermuntern, betonte er mit Blick auf das Deutsche Reich als Partner des Osmanischen Reiches. Unionsfraktionsvize Franz Josef Jung (CDU) sagte, die Türkei solle nicht auf die Anklagebank gesetzt werden.

Gysi: Merkel biedert sich an

Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sagte: „Gegenstand der Debatte ist der Völkermord an den Armeniern und nicht die Beurteilung Präsident Erdogans.“ Gregor Gysi von der Linken sagte aber mit Blick auf den Flüchtlingskurs der Regierung: „Es demütigt uns alle, dass die Bundeskanzlerin zu all diesen Menschenrechtsverletzungen mehr schweigt als spricht, sich bei Präsident Erdogan eher anbiedert.“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Unterstützung für den Antrag erkennen lassen, nahm aber nicht an der Debatte teil. Bei einer späteren Pressekonferenz hob sie die freundschaftlichen Beziehungen zur Türkei hervor. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) war ebenfalls nicht im Plenarsaal. Steinmeier betonte in Buenos Aires: „Ich hoffe, dass es uns gelingt, die nächsten Tage und Wochen miteinander so zu gestalten, dass es zu keinen Überreaktionen kommt.“

Mit Nein stimmte die sächsische CDU-Abgeordnete Bettina Kudla. In einer Erklärung begründet sie dies unter anderem damit, es sei nicht Aufgabe des Bundestages, historische Bewertungen von Ereignissen in anderen Staaten vorzunehmen. Der CDU-Abgeordnete Oliver Wittke aus Nordrhein-Westfalen enthielt sich.

Lammert betonte, der Bundestag wolle unbequemen Fragen nicht aus dem Weg gehen. Drohungen vor allem gegen türkischstämmige Abgeordnete vor der Abstimmung verurteilte er scharf. Solche Versuche, die freie Meinungsbildung des Parlaments zu verhindern, seien inakzeptabel. „Wir werden sie nicht hinnehmen und uns ganz gewiss von ihnen nicht einschüchtern lassen.“ (dpa)