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„Eine typisch deutsche Diskussion“

Die WM in Katar kommt und danach bald China und Indien – sagen Vermarktungsexperten. Kritik daran sei überflüssig.

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© action press

Bei der Weltmeisterschaft gehört Octagon zu den Big Playern unter den Consulting- und Full-Service-Agenturen, die im Auftrag der Partner und Sponsoren des Weltverbandes Fifa agieren: Geschäftsführer Karsten Petry und Vizepräsident Dennis Trautwein sprechen im Interview über eines der beherrschendsten Themen in der Welt des Fußballs: die Kommerzialisierung.

Herr Petry, Herr Trautwein, Octagon betreut bei der WM auf unterschiedlichsten Spielfeldern einen Großteil der Fifa-Partner und -Sponsoren. Provokant gefragt: Stehen Sie als Dienstleister auf der dunklen Seite der Macht?

Petry: Wie bitte sollen wir das verstehen?

In Deutschland ist die Debatte allgegenwärtig, ob der Sport sich nicht längst verkauft und seine Identität aufgegeben hat, und Sie zählen zu den Protagonisten des Sportbusiness.

Petry: Und nun wollen Sie darauf hinaus, dass Sport nur noch Sport-Business ist? Nein, das ist es nicht! Der Sport hat sehr wohl noch ein Herz und eine Seele. Sport-Business muss auch Herz und Seele haben. Sportliche Ziele stehen heutzutage sicherlich in einem Bezug zu kommerziellen Zielen, aber dass sie sich diesen unterwerfen müssen – das geht nicht. Dann würden die Methoden, sportlichen Erfolg zu erlangen, zwangsläufig unlauter.

Stichwort Doping. Stichwort Manipulation …

Petry: So negativ sehe ich die Sportwelt aber nicht. Klar: Es geht im Spitzensport schon lange nicht mehr nur um Ruhm und Ehre, aber die Sponsoren, Unternehmen und Marken, ohne die Spitzensport global längst nicht mehr möglich wäre, folgen schon einem Wertekompass. Da geht es in den meisten Fällen sehr wohl um Verantwortung für den Sport, nicht nur aus Selbstschutz und wirtschaftlichem Interesse. Denen geht es um Botschaften und Werte, die letztlich die Firmenkultur abbilden. Die wirken ins Innere der Unternehmen.

Mutet eine WM nicht zunehmend an wie eine riesige Marketing-Plattform?

Trautwein: Ich erlaube mir den Hinweis, dass diese Diskussion, auf die Sie sich beziehen, eine typisch und primär deutsche ist. Es gibt natürlich kritisch zu hinterfragende Tendenzen und Entwicklungen, aber hierzulande werden die Dinge – auch medial – gern zu eindimensional betrachtet. Ich wünschte mir, es würde mehr differenziert. Auch wenn das derzeit nicht besonders populär ist.

Aber der Fußball ist längst Milliarden-Geschäft fernab seiner Basis. Die nächste WM ist in Katar. Irgendwann wird die neue Wirtschaftsmacht China Ausrichter sein. Geht die Fankultur bei all dieser Kommerzialisierung nicht verloren? Bleibt die Tradition nicht auf der Strecke?

Trautwein: Genau das meine ich: Hierzulande lösen solche Perspektiven sofort Argwohn aus. Ich empfehle aber, die deutsche Brille mal kurz abzunehmen und durch die der Fifa zu blicken. Denn: Die Kommerzialisierungsdebatte existiert in dieser Vehemenz und Form nur in den Märkten, die eine lange Historie haben und in denen der Fußball konkurrenzlos Sportart Nummer eins ist – die Mature Football Markets.

Also klassische Fußballmärkte wie Deutschland und England …

Trautwein: Selbstverständlich sind das sehr wichtige Fußball-Nationen mit riesigen Fan-Potenzialen und großer Fankultur. Da wird die Entwicklung ganz anders wahrgenommen als in vielen anderen Teilen der Welt und seitens der Fifa. Dort gibt es die Thematik nicht. Zumindest ist sie nicht derart problembehaftet wie besonders bei uns. Denn: Dass Deutschland und England für die Fifa entscheidende Märkte sind auf der Suche nach Wachstumschancen für ihre Produkte, darf hinterfragt werden.

Petry: Wir drehen die Uhr nicht mehr zurück. Dennoch: Vorbehalte wie sie klassische Fußballnationen vorbringen, gibt es in Asien, Afrika, Nordamerika oder in der arabischen Welt tatsächlich nicht.

Trautwein: Deswegen wird die Fifa sie in Europa und Südamerika – wo nötig – auch dezent abmoderieren. Für sie und ihre globalen Partner ist das auch nicht so eine große Herausforderung. Im Gegenteil: Für sie geht die Reise in eine andere Richtung, denn das Business-Potenzial in den WM-Märkten der Zukunft, allen voran China, ist gigantisch und noch lange nicht ausgeschöpft. China ist heißer Kandidat auf die WM 2030.

Und darauf wird die Fifa den Fokus richten?

Trautwein: Ja. Allein eine chinesische WM-Teilnahme hätte nach jüngsten Erhebungen immense globale Folgen, beispielsweise weltweit drei Prozent mehr Fernsehzuschauer. China ist für die Fifa bereits jetzt ein wichtiger Player, und auch wenn es wie Zukunftsmusik klingt und noch ist: Der nächste spannende Markt könnte Indien sein, auch wenn WM-Turniere in diesen Ländern organisatorisch riesige Herausforderungen wären.

Neben der Standortfrage nervt, dass die Turniere immer größer, immer länger werden. Wenn künftig 48 statt 32 Teams dabei sind, kann das dem Niveau nicht zuträglich sein.

Trautwein: Eine Diskussion, die ich aus sportlicher Sicht absolut nachvollziehen kann, aber das bewertet die Fifa mit Sicherheit weniger kritisch. Die Ausweitung wäre aus ihrer Warte sogar logisch: Wenn das Turnier größer wird, steigen auch die Möglichkeiten der Vermarktung, auch wenn das sportlich fragwürdig ist. Aber die Fifa hat längst verstanden, dass sie eine WM entsprechend promoten muss: als globale Party. Und wenn diese länger dauert und mehr Gäste daran teilnehmen, profitieren viele davon.

Das heißt, Sie fordern, die Debatten rund um das Thema Kommerzialisierung viel differenzierter zu führen?

Petry: Richtig. Zwischen der globalen Entwicklung und dem, was hierzulande geschieht, gibt es ja durchaus Unterschiede.

Trautwein: Die DFL und ihre Sponsoren müssen sich schon des schmalen Grats zwischen ursprünglicher Identität und Kommerzialisierung des Fußballs bewusst sein, auch die Premier League. Der Schulterschluss mit den Fans dort ist extrem wichtig, zumal die negative Stimmung in den Medien schon stark vernehmbar ist.

Petry: Die Entscheider im und rund um den deutschen Fußball – DFL, DFB, Klubs, Sponsoren, Vermarkter – sollten sensibel genug dafür sein, die Meinung der Fans zu hören und ernst zu nehmen, unbedingt sogar. Also, deutsche Brille wieder auf: Die Sinnhaftigkeit des Montagsspiels zum Beispiel muss angesichts des eindeutigen Medien-Echos und der Stimmung an der Basis überdacht werden. Dieser Diskussion müssen sich die Verantwortlichen stellen. Denn dabei ging es wirklich nur um eine Steigerung der TV-Einnahmen, und die Bedürfnisse der Fans und Stadionbesucher wurden außer acht gelassen.

Wann ist für Sie in Sachen Kommerzialisierung eine rote Linie überschritten?

Petry: Wenn Sport sich zu sehr verbiegen lässt, seine ursprüngliche Identität auf der Strecke bleibt, hört es für mich auf. Würden Fußballspiele etwa in drei Drittel unterteilt, damit man in den Pausen mehr Werbung schalten kann, wäre das fatal. Das gehört nicht zur DNA des Fußballs.

Das Gespräch führte Frank Schneller. (sid)