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Eine Werkhalle für 700 Flüchtlinge

Der Freistaat will in Großröhrsdorf ein Erstaufnahmelager einrichten. Der Ort fühlt sich übergangen.

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© Uwe Soeder

Von Jana Ulbrich und Reiner Hanke

Großröhrsdorf. Es ist ein riesengroßes Fabrikgelände dort im Großröhrsdorfer Gewerbegebiet. Man könnte Flugzeuge bauen oder riesige Maschinen, so groß sind die ehemaligen Produktionshallen des Solarherstellers Schüco. Supermodern sind sie, fast schon futuristisch und vor allem auch: gut und stabil eingezäunt. Aber produziert wird hier schon lange nicht mehr. Stattdessen sollen jetzt Menschen hier einziehen.

Das ist nur ein kleiner Teil der riesigen Werkhalle, die der Freistaat jetzt als Erstaufnahmelager für Flüchtlinge nutzen will.
Das ist nur ein kleiner Teil der riesigen Werkhalle, die der Freistaat jetzt als Erstaufnahmelager für Flüchtlinge nutzen will. © Kristin Richter

Polizisten stehen im Hof und die Fahrzeuge von Baufirmen. Das DRK war auch schon da. Eine sehr beschäftigte Mitarbeiterin des Staatsbetriebs Sächsisches Immobilien- und Baumanagement, kurz SIB, bespricht mit den Bauleuten, was auf die Schnelle gebaut werden muss. Denn schnell muss es offenbar gehen. Die Kollegin vom SIB ist auch tunlichst darauf bedacht, dass hier niemand etwas sagt und kein Foto gemacht wird. Dabei ist die Geheimniskrämerei völlig überflüssig.

Die Nachricht, dass der Freistaat in Großröhrsdorf ein Erstaufnahmelager für Asylbewerber einrichten will, hat sich in dem kleinen Städtchen längst wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Bis zu 700 Menschen sollen in der größeren der beiden Fabrikhallen untergebracht werden – nicht 3 000, wie es in der Gerüchteküche schon gebrodelt hatte.

Erst am Montagnachmittag haben die Bürgermeisterin und der Stadtrat von den Plänen erfahren. Und womöglich schon am Freitag, so munkelt man, könnten die ersten Feldbetten in der Halle belegt sein. Holm Felber, der Sprecher der Landesdirektion Sachsen, will den eiligen Zeitplan nicht bestätigen: Es sind noch eine Reihe von Baumaßnahmen nötig, sagt er. Es geht da zum Beispiel noch um Brandschutzfragen und Fluchtwege, um die Essenausgabe und die Sanitäreinrichtungen. Aber dass die ersten der maximal 700 Flüchtlinge hier so schnell wie möglich unterkommen sollen, das scheint festzustehen.

Zaun an Zaun mit dem künftigen Erstaufnahmelager

Drüben in der zweiten Werkhalle sitzt noch Dietmar Metzner in seinem leer geräumten Büro. Der Geschäftsführer der Maschinenbau-Firma Portatec sieht alles andere als glücklich aus. Als er voriges Jahr mit seiner Firma die Schüco-Hallen übernahm, hatte er eine ganz andere Zukunft vor Augen: In der kleineren Halle wollte er seine Produktion vom Firmensitz im Neukircher Ortsteil Schmorkau erweitern, die große Halle sollte als Forschungs- und Wirtschaftsstandort an andere vermietet werden. Das eine aber hat genauso wenig funktioniert wie das andere. Jetzt zieht sich die Portatec GmbH wieder ganz nach Schmorkau zurück. „Wir haben dem SIB die Hallen überlassen“, sagt Metzner zerknirscht. Er weiß, dass er jetzt der Buhmann ist.

Vor dem Netto-Markt und auf den Gartenbänken in der Nachbarschaft wird diskutiert. Genauso wie die Bürgermeisterin und die Stadträte fühlen sich auch die Einwohner völlig übergangen. „Und ja, wir haben Angst“, sagt Wolfgang König, der hier quasi Zaun an Zaun mit dem künftigen Erstaufnahmelager wohnt.

Großröhrsdorf hat ja auch schon eine kreisliche Notunterkunft für Asylbewerber in der ehemaligen Turnhalle gleich neben der Oberschule. Am Anfang, als hier lauter junge Männer aus Nordafrika ankamen, hat es großen Ärger gegeben, erzählt Wolfgang König. Jetzt sind hier Familien aus dem Kosovo untergebracht: 62 Männer, Frauen und Kinder – alle zusammen in der Turnhalle. Es gibt keine Probleme mehr. Aber wer weiß denn, wer jetzt in das Erstaufnahmelager kommt?

Man sehe keine Alternativen, sagt der Sprecher der Landesdirektion, es sei denn, die Obdachlosigkeit. „Deshalb müssen wir alle zur Verfügung stehenden Gebäude nutzen, die sich kurzfristig herrichten lassen“, sagt Holm Felber. Die Fabrikhallen seien als geeignet eingeschätzt worden.

Einwohner mit der Anzahl der aufzunehmenden Flüchtlinge überfordert

Großröhrsdorfs Bürgermeisterin Kerstin Ternes, der Stadtrat und Pfarrer Stefan Schwarzenberg haben sich gestern in einem gemeinsamen Brief gegen die Erstaufnahmeeinrichtung ausgesprochen. Die Stadt will das Vorhaben auch rechtlich prüfen. Die 6 600 Einwohner seien mit der Anzahl der aufzunehmenden Flüchtlinge weit überfordert, heißt es. Die Verhältnismäßigkeit sei nicht mehr gewahrt.

„Auch wir sind überrascht worden“, sagt Lutz Berthold vom Bündnis „Bunte Westlausitz“, das sich um die Asylbewerber in der Turnhalle kümmert. „Wir haben mit den Flüchtlingen in der Stadt bisher gute Erfahrungen gemacht und wollen auch jetzt aktiv werden“, kündigt er an. Die Freien Wähler Gegenwind werfen unterdessen dem Freistaat planloses Handeln und der Portatec GmbH Gewinnstreben auf Kosten der Bürger vor. Der Freistaat hätte früher beginnen müssen, für menschenwürdige Unterkünfte zu sorgen.

Das wird bei der Flut an Flüchtlingen offenbar auch für den Freistaat immer schwieriger. Die Prognose der in diesem Jahr aufzunehmenden Asylbewerberzahlen musste diese Woche deutlich nach oben korrigiert werden: Insgesamt werden es fast 50 000 sein. Die müssen ja alle irgendwo hin. Bisher gibt es noch kein Erstaufnahmelager im Landkreis Bautzen. Dafür ist auch hier die Zahl der Zuweisungen deutlich gestiegen: Auch der Landkreis sucht deswegen händeringend nach Unterkünften. 1 616 Asylbewerber sind hier seit Jahresbeginn schon in Heimen und Wohnungen untergebracht – mehr als doppelt so viele als im gesamten Vorjahr. Und noch einmal so viele sollen noch kommen.

„Wo soll den das alles hinführen?“, fragen die Männer auf der Gartenbank. Eine Antwort bekommen sie nicht.