Von Sven Geisler
Er sei froh, sagt Uwe Neuhaus, und das kann er nach dem „absolut verdienten Sieg“ in seinem ersten Pflichtspiel als Dynamo-Trainer natürlich sein. Aber sein Fazit nimmt eine überraschende Wendung. „Ich bin vielleicht sogar froh, dass er nicht ein, zwei Tore höher ausgefallen ist.“ Und das liegt nicht etwa daran, dass sich der 55-Jährige schon bei seinem Luftsprung nach dem 3:0 die Wade gezerrt hatte. „Ich war ungefähr auf 1,50 Meter Höhe – da ist es passiert“, sagt er danach im MDR-Fernsehen. „Besser ich, als die Spieler.“

Impressionen vom Spiel am Sonnabend
Was Neuhaus nach dem 4:1 gegen die U23 des VfB Stuttgart meint, sind die in Dresden traditionell zu starken Ausschläge auf der Gefühlsskala. Es ist ein gelungener Start in die neue Saison, den die Mannschaft zu Recht in der Fankurve feiert. Aber ein rauschendes Fußballfest war es nicht. „Ich weiß nicht, ob Stuttgart der Gradmesser war“, zweifelt Marco Hartmann an der Aussagekraft des klaren Ergebnisses.
Tatsächlich sind die jungen Burschen aus dem Ländle sichtlich überfordert von der „Wucht im Stadion“, wie ihr Trainer Jürgen Kramny sagt: „Die Fans in Verbindung mit neuer Mannschaft und neuem Trainer – das war einfach zu stark für uns.“ Trotz der Unterstützung von 25 530 Zuschauern braucht Dynamo eine Viertelstunde bis zur ersten Chance, die sich dann aber in einer Szene gleich dreimal ergibt: VfB-Torwart Marius Funk pariert den Schuss von Justin Eilers, den Nachschuss von Nils Teixeira und ist auch beim Nachsetzen von Andreas Lambertz am Ball.
Das Dynamo-Zeugnis: Mannschaftlich stark
Wenig später fällt das 1:0 – und ein Traum geht in Erfüllung. Denn dass er ein Tor für Dynamo schießt, hatte sich Aias Aosman schon ausgemalt, als er in Dresden noch für Jahn Regensburg getroffen hatte. Das war vor gut einem Jahr beim 1:1. Er habe diese Atmosphäre sehr genossen und sich vorgestellt, wie sich das anfühlen mag, wenn die Massen ihm zujubeln. „Dass es so schnell geht, hätte ich nicht gedacht“, sagt der 22 Jahre alte Strahlemann, „umso größer ist die Freude.“
Auch bei Neuhaus. „Aias hat seinen Torriecher unter Beweis gestellt“, sagt der Chefcoach, und das ist nicht nur so eine typische Fußballfloskel. Aosman ahnt die Chance, bevor sie entsteht. Nach der Flanke von Marvin Stefaniak verlängert Lumpi Lambertz den Ball per Kopf zu Tim Väyrynen. „Ich glaube, er wollte aufs Tor schießen, aber dann ist der Ball unglücklich zu mir gekommen“, meint der glückliche Schütze. Weil Aosman weiterläuft, steht er nun am langen Pfosten und drückt die Kugel über die Linie. Seine simple Erklärung: „Ich will halt immer ein Tor machen.“
Väyrynen profitiert beim 2:0 von einem Torwartfehler, aber auch von Lambertz’ Einsatz, der den Keeper attackiert, und von seinem Instinkt, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein. „Wenn er eine Chance bekommt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er sie nutzt“, meint Neuhaus über den Finnen. Und grinsend fügt er hinzu: „Am besten war, dass wir ,Eile‘ damit ein bisschen gekitzelt haben. Der wurde ja schon ganz nervös, wollte sich nicht lumpen lassen.“
Tatsächlich trifft Justin Eilers in Hälfte zwei zweimal; unterbrochen allerdings vom Gegentor durch Matthias Zimmermann. Dieser Schönheitsfleck ist ein klitzekleines Ärgernis, weil „jedes zu null Sicherheit und Selbstvertrauen gibt“, wie Neuhaus sagt. „Wir hatten eigentlich Überzahl, da müssen wir uns einen Tick cleverer verhalten“, meint Michael Hefele. Es sei okay, das erste Spiel gewonnen zu haben, meint der Kapitän. „Aber das darf man nicht zu sehr in die Höhe jubeln.“
Von Anfang an Flagge gezeigt
Die Analyse dieses Spieles gleicht beinahe der Frage, wer zuerst da war, Ei oder Henne: War Dynamo stark oder Stuttgart schwach? Neuhaus spricht von „ein bisschen Unerfahrenheit“ der VfB-Talente, die in einigen Situationen „ein bisschen Naivität“ zeigten. Doch das ist eben auch nur die halbe Wahrheit. „Wir haben genug dafür getan, eine gute Präsenz in den Zweikämpfen gehabt“, erklärt der Trainer. „Wenn man sie spielen lässt, bekommt man Probleme. Man muss von Anfang an Flagge zeigen mit beherzten Aktionen.“
Hefele drückt es etwas drastischer aus: „Sie wollten es technisch lösen, aber wir haben ihnen gezeigt, dass hier Männerfußball gespielt wird.“ Im Rahmen des Erlaubten, versteht sich. Schiedsrichter Robert Schröder musste in dieser fairen Partie keine Karte zeigen. Es wirkt phasenweise so, als mieden die Stuttgarter jeglichen Körperkontakt.
Wie aber ordnet man diesen Start ein, der ein Auftakt nach Maß ist, ohne Gefahr zu laufen, ihn überzubewerten? „Wir müssen nix bremsen“, sagt Lambertz, „wir sind nicht euphorisch. Wir haben unseren Job erledigt, so gut es ging. Und so müssen wir weitermachen.“ Die echten Herausforderungen kommen erst, wahrscheinlich wird Dynamo schon im zweiten Spiel ganz anders gefordert sein. „Würzburg ist zu Hause eine Macht, eine Festung. Außerdem nehmen sie den Schwung vom Aufstieg mit“, mahnt Hefele vor dem nächsten Gegner. „Die sind körperlich eine andere Mannschaft, spielen härter.“
Dynamos zweite Reihe gewann gestern einen Test beim Landesliga-Aufsteiger VfL Pirna-Copitz mit 7:2 (4:1). Die Tore für Dynamo erzielten Sinan Tekerci (37., 64., 72.), Luca Dürholtz (14./Foulelfmeter, 45.) und Pascal Testroet (35.) sowie Eric Richter (53./Eigentor).