Von Stefan Lehmann
Riesa. So einen Hund hat auch Uwe Brestel noch nicht erlebt. „Der geht mit jedem mit, hat ein absolutes Vertrauen – als würde er jeden kennen“, erzählt der Tierheim-Chef, während er den Kopf des Altdeutschen Schäferhunds tätschelt. „Aber wer weiß – vielleicht freut er sich auch einfach, dass er hier ist.“ Sultan haben die Tierheim-Mitarbeiter den Rüden getauft. „Weil er so eine imposante Erscheinung ist“, erklärt Brestel. Warum ein freundlicher Hund wie Sultan ins Tierheim kommt, diese Frage gibt auch Brestel Rätsel auf.
Unbekannte hatten ihn Ende August mitten in der Nacht auf dem Gelände des Tierheims angebunden. Von dort war Sultan aber offenbar wieder ausgebüxt. Jedenfalls vermutet Brestel das. „Ich erhielt kurz nach Mitternacht einen Anruf von einem Anwohner.“ Der Mann hatte den Hund wohl an der Hauptstraße gefunden und zunächst die Polizei gerufen. Eine Sprecherin der Polizeidirektion bestätigt das. „Das Revier Riesa hat die Meldung zur Kenntnis genommen, war aber nicht aktiv darin involviert.“ Gegenüber den Beamten sagte der Anwohner, er wolle den Hund am nächsten Tag im Tierheim abgeben. Sultan hatte aber offenbar anderes im Sinn, als die Nacht in einer fremden Wohnung zu verbringen. „An der Tür weigerte er sich, in die Wohnung zu gehen“, sagt Uwe Brestel.
Es geht noch schlimmer
Also rief der Finder beim Tierheim-Chef an. „Ich habe ihm dann dazu geraten, die Feuerwehr anzurufen.“ Die wiederum brachte den Hund dann gegen ein Uhr nachts ins Tierheim. Am nächsten Morgen fanden die Tierheim-Mitarbeiter auf dem Gelände eine Leine und ein Halsband. „Vermutlich hat sich Sultan aus dem Halsband herausgewunden.“ Es wäre jedenfalls ein seltsamer Zufall, wenn in derselben Nacht noch ein weiterer Hund dieser Größe vor dem Tierheim angeleint wird, sagt Brestel. „Dem Besitzer halte ich noch zugute, dass er den Hund wenigstens hierhergebracht hat“, erklärt der Tierheim-Chef.
Auch wenn sich der Halter damit um die Abgabegebühr von 100 Euro gedrückt hat: Es hat auch in Riesa schon schlimmere Fälle gegeben. Erst Anfang 2015 hatte jemand einen Hund in Mautitz angekettet und im Wald zurückgelassen. Das Tier überlebte damals nur, weil es für Januar ungewöhnlich warm war und ein Passant den Hund bemerkte. – Was der Grund für diese Nacht- und Nebelaktion des Herrchens gewesen sein könnte, darüber lässt sich nur spekulieren. Meist stehe noch irgendeine Geschichte dahinter, sagt Brestel. Die in Mautitz angekettete Hündin hatte beispielsweise einen Tumor und musste später operiert werden. Es sei nicht ganz ausgeschlossen, dass eine Krankheit auch bei Sultan eine Rolle gespielt haben könnte. „Nach außen macht er nicht den Eindruck, aber ich kann ja nicht in das Tier hineinschauen“, sagt Uwe Brestel. Demnächst soll der Hund beim Tierarzt vorgestellt werden. Dann sind die Tierheim-Mitarbeiter schlauer.
Wie es danach für Sultan weitergeht, das steht noch in den Sternen. Bisher hat sich niemand im Tierheim gemeldet, der ihn vermisst. Dass das in den nächsten Wochen noch passiert, hält Brestel für eher unwahrscheinlich. Das Ziel ist also klar: den Hund so zügig wie eben möglich vermitteln. Sorgen, dass sich kein Herrchen findet, muss sich Brestel wohl nicht machen. Schließlich ist der Altdeutsche Schäferhund alles andere als ein Problemtier.