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Der Mann, der Pechstein zum Star machte

Die Amerikaner wollten den Trainer aus Weißwasser, die Russen verehrten ihn. Doch Joachim Franke krönte seine Karriere in Berlin. An diesem Montag wird er 80.

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Joachim Franke ist der erfolgreichste deutsche Eisschnelllauf-Trainer. Angefangen hat seine Laufbahn in Weißwasser, natürlich mit Eishockey.
Joachim Franke ist der erfolgreichste deutsche Eisschnelllauf-Trainer. Angefangen hat seine Laufbahn in Weißwasser, natürlich mit Eishockey. © dpa

Berlin. Alles hatte sich Joachim Franke für diesen Montag so schön ausgemalt: Erst ein Dresden-Trip mit seiner Frau Ingrid samt eines Besuchs des Balletts „Carmen“ in der Semperoper. Später eine Party mit Familie, Freunden und einigen Olympiasiegern, bei der mit einem gepflegten Gläschen auf den 80. Geburtstag angestoßen werden sollte. 

Doch die Corona-Krise machte alle Planungen zunichte. „Jetzt werde ich auf dem Ergometer sitzen und mich fit halten. Wenn das Wetter mitspielt, auf dem Balkon“, sagte Franke. Ergometer statt Carmen - die bittere Realität zum Geburtstag in Zeiten der weltweiten Corona-Pandemie.

Zu seiner „zweiten Sportart“ war der passionierte Eishockeyspieler und bis heute erfolgreichste deutsche Eisschnelllauf-Trainer durch einen Geheiß von ganz oben gekommen. „DDR-Sportchef Manfred Ewald hatte nach der WM 1970 in Stockholm und vor der Berufung der DDR-Olympia-Mannschaft erklärt, dass sich die Eishockey-Spieler den Traum von Olympia 1972 abschminken können“, erinnerte sich Franke. 

Das sei ein Schock gewesen, auch für ihn. Franke hatte seine Karriere nach 127 Länderspielen zwar 1968 beendet. Doch mit 28 Jahren arbeitete er als jüngster Eishockey-Coach der DDR-Oberliga in seiner Heimat Weißwasser, wo er am 30. März 1940 geboren wurde, und holte mit Dynamo dann vier Titel in Serie.

Eine Drei-Zimmer-Wohnung lockt ihn nach Berlin

Das Ende der Förderung der nicht „medaillenintensiven Sportart“ durch die DDR-Führung bedeutete auch für ihn die erzwungene Veränderung. „Viele Trainer mussten in andere Sportarten wechseln. Mich überredete man mit einer Drei-Zimmer-Wohnung in Berlin, zum Eisschnelllauf zu gehen. Heute ist das kaum noch vorstellbar“, sagte der Jubilar.

Was dann begann, war eine unvergleichliche Trainer-Karriere. Dank methodischen Geschicks, dem Lernen von starken sowjetischen Konkurrenten und neuen Denkansätzen brachten es Frankes Schützlinge auf neun Olympiasiege, 66 WM-Medaillen (darunter 23 Titel) und 21 Gesamt-Weltcups. 

Besonders gern erinnert er sich an den Coup von Claudia Pechstein bei den Olympischen Winterspielen 2002. „Nach den glänzenden Trainingsleistungen von Claudia auf dem schnellen Eis in Utah habe ich gewusst: Hier können wir etwas Großes schaffen“, sind dem Goldschmied die Triumphe von Salt Lake City in bester Erinnerung. Pechstein holte dort zwei Olympiasiege mit Weltrekorden.

Ein sportliches Traumpaar: Claudia Pechstein und ihr Trainer Joachim Franke. Dabei fing es beim ersten gemeinsamen Training gar nicht gut an.
Ein sportliches Traumpaar: Claudia Pechstein und ihr Trainer Joachim Franke. Dabei fing es beim ersten gemeinsamen Training gar nicht gut an. © dpa

Besonders freute er sich über seine Spürnase: „Von Anfang an wollte ich, dass wir drei Wochen vorher die Anpassung in Utah machen, der Verband war dagegen. Aber der damalige NOK-Chef Walther Tröger hat uns den Weg geebnet“, berichtete er und war verwundert, „dass wir fast allein im Utah Olympic Oval waren. Alle anderen Top-Athleten hatten sich in Calgary auf Olympia vorbereitet.“

Nicht vergessen hat Franke auch die Episode, als seine spätere Vorzeigeathletin Pechstein 1991 um Aufnahme in seine Trainingsgruppe bat. „Beim ersten Lauftraining spürte ich sie sehr schnell nicht mehr hinter mir und dachte: Was ist denn nun los? Sie war konditionell schwach, eine ganz schlechte Läuferin“, sagte er schmunzelnd. „Da werden wir nicht weit kommen“, schoss es ihm durch den Kopf.

Die aktuelle Situation macht ihn wütend

Aber schon im ersten Höhentrainingslager in Bulgarien hatte sie ihn überzeugt und gewann 1992 mit Bronze ihre erste von neun Olympia-Medaillen. „Er hatte die einmalige Gabe, den Trainingsaufbau einer Saison so zu gestalten, dass man zum Saisonhöhepunkt seine absolute Topleistung abrufen konnte. Man konnte sich auf seine Vorgaben zu 100 Prozent verlassen“, lobte ihn Pechstein. 

In Turin krönte sie sich 2006 mit dem fünften Gold zur bis heute erfolgreichsten deutschen Winterolympionikin. Auch Uwe-Jens Mey (1988, 1992/jeweils 500 Meter), André Hoffmann (1988/1500 Meter) und Olaf Zinke (1992/1000 Meter) führte Franke auf den Olymp.

Traurig, ja auch wütend wird Franke, wenn er die heutige Situation im deutschen Eisschnelllauf beurteilt. „Es ist ein Skandal, wie diese Sportart in Deutschland heruntergewirtschaftet wurde“, sagte er. „Im internationalen Sport sind wir nur noch ein Lacher. Wir werden geduldet, nicht mehr respektiert“, empört er sich. „Die Trainer sind sehr von sich überzeugt“, sagte Franke mit einem Seitenhieb auf den Niederländer Erik Bouwman. Der betreut die Mehrkämpfer, lehnte es aber ab, Pechstein zu trainieren. „Wenn er, wie er sagt, „null Bock“ auf Claudia hat, dann sollte er die Konsequenzen ziehen und sich aus Deutschland zurückziehen“, forderte Franke. (dpa)