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Endlich ein Dach über dem Kopf

Mit Mut zum Risiko hat eine Meißner Mutter das Ruinenhaus in der Görnischen Gasse saniert. Dass die Rechnung aufgehen könnte, hatte niemand geglaubt.

Von Daniel Krüger
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Minimalistisch, stilvoll und doch gemütlich: Bettina und Martin Freydank in ihrem Wohnzimmer. Die einzig erhaltene Fachwerkwand in der ehemaligen Fleischerei hat das Ehepaar mit einem Bild der Meißner Altstadt geschmückt. Die Renaissancebögen wurden neu v
Minimalistisch, stilvoll und doch gemütlich: Bettina und Martin Freydank in ihrem Wohnzimmer. Die einzig erhaltene Fachwerkwand in der ehemaligen Fleischerei hat das Ehepaar mit einem Bild der Meißner Altstadt geschmückt. Die Renaissancebögen wurden neu v © Claudia Hübschmann

Meißen. Nein, schön sah das Haus wirklich nicht aus, weder auf den Bildern des Immobilienportals noch in der Realität, sanierungsbedürftig war da noch ein klarer Euphemismus im Anzeigetext, den Bettina und Martin Freydank Anfang 2014 immer und immer wieder lasen. Die junge Familie lebte zu dieser Zeit in einer 100 Quadratmeter großen Mietwohnung am Hahnemannsplatz, drei Kinder, eine Tochter, die beiden Söhne mussten sich ein Zimmer teilen. „Das war auf Dauer kein Zustand“, sagt Bettina Freydank, die aus Frankfurt stammt und 2011 mit ihrem Mann nach Meißen zog.

Sie absolvierte ihr zweites juristisches Staatsexamen in Halle, er sein Referendariat. Jobs für Geschichts- und Lateinlehrer gab es in der Gegend aber nicht. Bettina jedoch schätzte die große Kulturlandschaft im Osten, die Bescheidenheit, obwohl ihre Eltern sich wünschten, dass sie eines Tages wieder zurückkehren würde ins Rhein-Main-Gebiet, das sie aber immer als „schnöselig und oberflächlich“ empfunden hatte. Dann ergab sich die Chance für Martin, Meißen, das St. Afra-Gymnasium.

Die Familie richtete sich in der Altstadt ein, knüpfte Kontakte, nur der Stauraum und die Enge störte, auch weil sie mit der jüngsten Tochter Caroline mittlerweile zu fünft waren. So war es keine Option für die Freydanks, als der Vermieter ihnen im Winter 2013 die Wohnung am Hahnemann zum Verkauf anbot. Weg aus der Altstadt wollten sie aber auch nicht, hatten die Vorzüge ihres Wohnorts immer zu schätzen gewusst. 

„Die zentrale Lage ist optimal, man hat alles um die Ecke. Mein Mann ist schnell bei der Arbeit und die Kinder kann man einfach mal allein rausschicken“, sagt Bettina Freydank. Das Ehepaar begann, sich umzusehen, machte sich zum ersten Mal mit dem Thema Eigenheim vertraut. Schnell mussten beide feststellen, dass die Angebote knapp waren. „Klar hätten wir im Grünen bauen können, aber der alte Baustil hier im Zentrum hat uns einfach besser gefallen“, sagt die 45-Jährige.

Nicht überall dominiert das Alte im Haus der Freydanks. Von der topmodernen Küche aus, soll bald der Blick auf einen sanierten Innenhof möglich sein.
Nicht überall dominiert das Alte im Haus der Freydanks. Von der topmodernen Küche aus, soll bald der Blick auf einen sanierten Innenhof möglich sein. © Claudia Hübschmann

So kam es, dass sie bei ihrer Suche im Internet immer wieder auf das Haus in der Görnischen Gasse 35 stießen. Monatelang stand das Inserat des ältesten Gebäudes der unteren Altstadt online, niemand interessierte sich für das Objekt aus dem 15. Jahrhundert. 

Das lag vor allem an dessen Zustand. 2007 war der Dachstuhl ausgebrannt, überall hatte sich die Feuchtigkeit durch die Holzdecken ausgebreitet, Wände fehlten, der Boden war teilweise komplett morsch. „In die Zimmer im zweiten Obergeschoss haben wir uns nicht getraut, weil wir Angst hatten, durchzubrechen“, erzählt Bettina Freydank.

Trotz oder gerade wegen dieser unlösbar wirkenden Probleme entschieden sich die Freydanks am 31. Juli 2014 für die Görnische Gasse 35 und unterschrieben den Kaufvertrag. „Wir haben einfach einen Knall“, sagt Bettina Freydank und lacht. Zwei Eigentümer hatten sich schon zuvor am Objekt versucht, waren aber letztlich gescheitert. 

Der Vorteil für das Ehepaar: Architektenentwürfe gab es bereits, ebenso wie eine alte Baugenehmigung. Trotzdem bestand ein hohes Risiko für die Familie, denn die Sanierungskosten waren deutlich zu hoch, um sie alleine zu stemmen, ein Zuschuss der Stadt war Grundbedingung für jegliche Bankkredite.

Im Dezember 2014 schließlich willigte die Stadtverwaltung ein – und machte Druck: 40 Prozent Förderung, Fertigstellung Ende Juni 2016, 17 Monate Zeit, ein Mammutprojekt. Dann lief aus Sicht von Bettina Freydank alles schief: Der Baubeginn verzögerte sich auf den Spätsommer, der Architekt fing statt mit dem Rohbau mit dem Innenausbau an, im Winter waren kaum Handwerker zu sehen, nur Planen bedeckten die ehemalige Fleischerei.

Dazu ein persönlicher Schock: Diagnose Brustkrebs bei Bettina Freydank. Fluch, aber das Hausprojekt ein Segen, denn es lenkte sie ab, gab der 45-Jährigen ein Ziel, wie sie sagt. Die Freydanks kündigten ihren Architekten, beauftragten stattdessen Dombaumeister Knut Hauswald. Ein Glücksfall, denn der kannte die Tücken des Gebäudes ganz genau, schrieb einst seine Doktorarbeit über das alte Handwerkerhaus. 

Hauswalds Hilfe und ein positiver Bescheid vom Stadtrat über eine Fristverlängerung bis Januar 2017 retteten das Projekt schließlich vor dem Scheitern. Täglich schaute Bettina Freydank bei der nahegelegenen Baustelle vorbei, wenn ihr Mann arbeitete, schöpfte Kraft während der Chemotherapie – und griff selbst ein.

„Wochenlang hab ich die alte Leimfarbe mit einem Schwamm von den Wänden runtergeschrubbt, eine Sauarbeit“, sagt sie. Auch den Kalk hat sie selbst aufgetragen. Die Mühe und der Stress zahlten sich aus. Das Haus ist heute nicht wiederzuerkennen, strahlt mit roter Farbe von außen, hat mit versetzten Dachgiebeln ein Alleinstellungsmerkmal auf dem Porzellanweg. 

Innen überzeugt ein Arbeitszimmer mit Fußheizung im Erdgeschoss, die Holzbalken an der Decke wurden in Kleinstarbeit restauriert. Ganz oben im Dachgeschoss lockt die Domaussicht, hier wohnen die beiden Söhne, die Farbe der Wand durften sie selbst wählen. .Und weil am Ende alles gut ist, erhielten die Freydanks Anfang Februar auch den Meißner Bauherrenpreis. Dass sie gewinnen würden, hatten sie gar nicht mehr geglaubt. Aber das passt zur Geschichte.

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