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Endlich Hausärztin

Sylvana Kretschmar hat mit Mitte 35 ein Medizinstudium begonnen. Nun lässt sich die dreifache Mutter in Niesky nieder.

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© André Schulze

Von Alexander Kempf

Hinter Sylvana Kretschmar liegen entbehrungsreiche Jahre. Insbesondere während ihrer Studienzeit in Dresden. „Ich habe von der Stadt nicht viel gesehen“, sagt sie selbst. Denn während sich andere auf Studentenpartys amüsierten, hat die gebürtige Rothenburgerin ausdauernd gepaukt. „Im Alter“, sagt sie, „weiß man eben was man will. Die Ziele sind klarer und die Wünsche andere.“ Tatsächlich ist Sylvana Kretschmar zu Beginn ihres Studiums deutlich älter als viele ihrer Mitstudenten. Mit 35 Jahren wagt die Geschäftsstellenleiterin der Sparkasse in Rothenburg den Neuanfang in Dresden. Da ist sie bereits Mutter von drei Kindern.

Doch die bleiben während der Zeit in Rothenburg. Sylvana Kretschmars Ehemann Enrico hält ihr den Rücken frei. „Das Lernen für das Medizinstudium ist das eine“, sagt seine Frau, „dafür hatte ich aber alle Zeit der Welt.“ Sie zieht den Hut vor ihrem Mann und wie er Beruf und Familie trotz ihrer Abwesenheit unter einen Hut bekommen hat. Die Studienpläne sind damals bei vielen auf Skepsis gestoßen. Ihr Mann und ihr Großvater, erzählt die Ärztin, haben aber immer an sie geglaubt. Trotz der Entbehrungen. „Wir sind damals auf die Schmalspur umgestiegen“, erzählt Sylvana Kretschmar. Das Paar verkauft ein Auto. Eine eigene Wohnung in Dresden ist bald zu teuer und sie zieht erst ins Studentenwohnheim und lebt später zur Untermiete bei älteren Leuten.

Vierzehn Jahre später hat es Sylvana Kretschmar endlich geschafft und macht sich in Niesky als Hausärztin selbstständig. Viele in der Großen Kreisstadt werden diese positive Nachricht erleichtert zur Kenntnis nehmen. Denn die Kassenärztliche Vereinigung hat Niesky in der Vergangenheit bereits attestiert, dass es im Bereich der Hausärzte reichlich Nachwuchssorgen gibt. Nachfolger für Praxen werden gesucht. Trotzdem hat sich die 48-Jährige entschieden, eine eigene Praxis zu eröffnen. „Ein Neustart ist am Anfang sicher nicht einfach“, erklärt Sylvana Kretschmar, „wenn ich mich langfristig niederlasse, will ich die Praxis aber auch so gestalten, wie ich es mir vorstelle.“

In der Görlitzer Straße in Niesky ist die Medizinerin fündig geworden. Die ehemaligen Praxisräumen des Zahnarztes Andreas Jurenz werden gerade nach ihren Vorstellungen hergerichtet. Unter anderem soll die Anmeldung in ein geschlossenes Zimmer verlegt werden. „Denn eine Arztpraxis lebt Diskretion“, sagt Sylvana Kretschmar. Auch ein behindertengerechter Zugang für die Praxis im Erdgeschoss soll noch entstehen. Schon im Oktober will Sylvana Kretschmar die ersten Patienten behandeln. Sie führt bereits Bewerbungsgespräche. Zunächst will sie mit einer Schwester beginnen. Wenn sich die Patientenzahlen gut entwickeln, dann soll eine weitere hinzukommen.

Dass sich eine neue Hausärztin in Niesky niederlassen wird, das hat sich in der Kleinstadt schnell herumgesprochen. Zum Ärger von Sylvana Kretschmar hat aber auch ein böses Gerücht die Runde gemacht. Während ihres zweiwöchigen Urlaubs ist in Niesky und Umgebung behauptet worden, sie habe sich das Leben genommen. Es ging sogar soweit, dass ihren ältesten Sohn schon Beileidsbekundungen erreicht haben. „Das hat nichts mit einem Spaß zu tun“, sagt die Ärztin. Für sie ist eine Grenze überschritten worden. Darum hat sie auf Anraten der Polizei auch eine Strafanzeige gegen unbekannt gestellt. Ob ihr jemand mit der Behauptung schaden wollte ist unklar. Sylvana Kretschmar hofft, dass ihr Fall die Menschen sensibilisiert, nicht alles unüberlegt weiterzuerzählen. Auch Patienten hätten sie erschrocken angerufen und sich nach ihr erkundigt.

Es geht ihr gut. Den Wunsch, Zahnmedizin zu studieren, erzählt Sylvana Kretschmar, hatte sie schon als Abiturientin. Damals haben aber andere für sie die Weichen gestellt. Losgelassen hat sie die Faszination für Medizin nie. Auch weil sie selbst nach Arztbesuchen oft noch offene Fragen gehabt hat. Nun behandelt sie selbst. Wenn auch nicht als Zahnärztin, sondern als Allgemeinärztin. Und darüber ist sie nicht unglücklich. Denn so könne sie ganzheitlicher arbeiten.