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Kleine Pippa: Leben oder sterben lassen?

Erneut streiten Ärzte und Eltern vor einem britischen Gericht um das Schicksal eines Kindes. Welche Folgen die Klinik zieht, erschüttert deutsche Mediziner.

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Paula Parfitt, die Mutter der fünfjährigen Pippa Knight, steht vor dem Royal Courts of Justice nach einer öffentlichen Anhörung im Streit um die lebenserhaltende Behandlung für ihre Tochter.
Paula Parfitt, die Mutter der fünfjährigen Pippa Knight, steht vor dem Royal Courts of Justice nach einer öffentlichen Anhörung im Streit um die lebenserhaltende Behandlung für ihre Tochter. © Kirsty O'Connor/PA Wire/dpa

Von Benedikt von Imhoff

London. Zwei Zöpfe, ein Krönchen aus Papier auf dem Haupt und ein gepunktetes Oberteil. Pippa Knight sieht aus wie eine ganz gewöhnliche Fünfjährige - wären da nicht der ausdruckslose Blick und vor allem ein langer Beatmungsschlauch in der Nase. Das Mädchen ist schwer krank, sein Gehirn stark beschädigt, Maschinen halten die Kleine am Leben. Doch nun will die Klinik, in der das Kind seit fast zwei Jahren behandelt wird, die Geräte abstellen - vor Gericht wehrt sich Pippas Mutter vehement dagegen. Im Raum steht die Frage: Wer entscheidet letztendlich über das Leben eines Kindes?

Der Fall Pippa Knight erinnert an ähnliche tragische Prozesse in Großbritannien: An Charlie Gard, der im Alter von elf Monaten starb, und an Alfie Evans, der nur 23 Monate alt wurde. Beide Jungen hatten einen seltenen Gendefekt, in beiden Fällen schaltete sich sogar der Papst ein, um die britische Justiz dazu zu bringen, einer Behandlung im Ausland zuzustimmen. Vergebens.

Die fünfjährige Pippa Knight liegt in ihrem Krankenhausbett. Ein Gericht soll klären, ob britische Ärzte das todkranke Mädchen sterben lassen dürfen.
Die fünfjährige Pippa Knight liegt in ihrem Krankenhausbett. Ein Gericht soll klären, ob britische Ärzte das todkranke Mädchen sterben lassen dürfen. © Sinclairslaw/PA Media/dpa

Ähnlich wie die Klinik damals argumentiert nun auch das Krankenhaus, in dem Pippa liegt. "Die Entscheidung, diesen Antrag zu stellen, wird erst nach sorgfältiger Prüfung und Überprüfung aller verfügbaren Beweise getroffen", versichert Anwalt Michael Mylonas vor Gericht. Pippa sei unfähig, Vergnügen zu spüren, kurz: Es gebe keine Hoffnung für das Kind.

"Auch Alfie war medizinisch gesehen ein hoffnungsloser Fall; man konnte ihn damals durch keine Medizin der Welt retten", sagt Nikolaus Haas, Leiter der Abteilung für Kinderkardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin am Universitätsklinikum München, der Deutschen Presse-Agentur. Haas war 2018 im Fall Alfie als Gutachter vor Gericht dabei - und verfolgt auch den Streit um Pippa. "Das Muster der Bewertung durch die Kollegen und die Gerichte ist hier leider wieder dasselbe", sagt er.

Aus seiner Erfahrung im Fall Alfie rechnet Haas Pippas alleinerziehender Mutter wenig Chancen aus. "Die Ärzte - und auch die Richter - in Großbritannien nehmen für sich in Anspruch, dass sie besser entscheiden können, was für das Wohl des Kindes am besten ist", sagt er. Hierzulande ist das anders: "Dieses Denkmuster ist für uns in Deutschland nicht vorstellbar. Wir haben gelernt, mit schwer behinderten Patienten anders umzugehen."

"Es geht dabei auch um Macht"

Falls ein Richter alleine entscheidet, bestehe die Gefahr eines "Allmachtgefühls", mahnt der Strafrechtler Hans Lilie von der Universität Halle (Saale). In Deutschland wäre die Lage anders. "Die Entscheidung treffen die Sorgeberechtigten, gegen ihren Willen kann die Behandlung nicht abgebrochen werden", sagt Lilie. Eltern erhalten eine Beratung von interdisziplinär zusammengesetzten Ethik-Konsilen, die eine Empfehlung nach langer Abwägung treffen. "Familienrichter müssen an der Entscheidung mitwirken, wenn das Kindeswohl gefährdet sein könnte", betont Lilie.

Dass ein Gericht in Deutschland gegen den Willen der Eltern entschieden hat, ist dem Experten nicht bekannt - im Gegenteil. So hob das Oberlandesgericht Hamm 2007 eine Entscheidung des Amtsgerichts auf, das den Eltern die Gesundheitsfürsorge für ihre vierjährige Tochter entzogen hatte - nachdem die Eltern die Behandlung beenden lassen wollten (Az.: 1 UF 78/07). Entmündigt werden Eltern nur, wenn sie ihrem Kind absichtlich schaden wollen.

Vielmehr würde, wie Experte Haas erklärt, schon frühzeitig ein Luftröhrenschnitt gemacht und eine Magensonde eingesetzt, danach wäre eine Pflege außerhalb eines Krankenhauses möglich - genau das will Pippas Mutter erreichen. "Das ist aber aufwendig und teuer, und das will das britische System nicht bezahlen", sagt Haas. "Es geht dabei auch um Macht. Mein Eindruck ist leider, dass sich da überhaupt nichts ändern wird oder geändert hat."

Mutter will weiter kämpfen

Doch Pippas Mutter Paula Parfitt will kämpfen, britische Medien berichten von einem emotionalen Auftritt vor Gericht. "Ich werde sie nicht aufgeben", sagte die 41-Jährige bei einer Anhörung. Niemand könne absehen, ob es in der Zukunft nicht neue medizinische Möglichkeiten gibt, die Pippas Zustand deutlich verbessern können. "Sie braucht diese Möglichkeit, weil es niemand weiß. Niemand weiß, ob es funktioniert, solange, bis man es versucht."

Die Familie hat schon einen Schicksalsschlag erlitten: Pippas Vater starb 2017, im Januar 2019 erkrankte dann das Mädchen schwer - eine Grippeerkrankung führte zu schweren Schäden im Gehirn, einer sogenannten akuten nekrotisierenden Enzephalopathie. Die Entscheidung fällt also vor Gericht. Am Dienstag machte sich der Richter im Krankenhaus ein Bild von der kleinen Patientin. (dpa)