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Rishi Sunak ist neuer britischer Premierminister

Binnen weniger Tage stieg Rishi Sunak wie Phönix aus der Asche. Nach seiner Niederlage vor einigen Wochen wird der Ex-Finanzminister nun doch noch britischer Premier. Vor ihm liegen Aufgaben, die herausfordernder kaum sein könnten.

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Rishi Sunak ist neuer Premierminister des Vereinigten Königreichs. Der 42-Jährige wurde am Dienstag formell von König Charles III. mit der Regierungsbildung beauftragt, wie die britische Nachrichtenagentur PA nach der Audienz meldete.
Rishi Sunak ist neuer Premierminister des Vereinigten Königreichs. Der 42-Jährige wurde am Dienstag formell von König Charles III. mit der Regierungsbildung beauftragt, wie die britische Nachrichtenagentur PA nach der Audienz meldete. © PA Wire

London. Es ist keine zwei Monate her, dass Rishi Sunak seine Hoffnung, britischer Premier zu werden, vorerst an den Nagel hängen musste. Nur rund sieben Wochen nach seiner Niederlage gegen Liz Truss zieht der 42-Jährige nun doch in die Downing Street ein - ein beispielloses Chaos in seiner Partei machte es möglich.

Am Dienstag wurde Sunak formell von König Charles III. mit der Regierungsbildung beauftragt, wie die britische Nachrichtenagentur PA nach der Audienz meldete. Zuvor hatte Charles in einer Audienz Truss formell aus dem Amt entlassen. Nur der Monarch hat das Recht, den Premier zu ernennen.

Im Vereinigten Königreich wird nun mit dem als Sohn indischer Einwanderer in England geborenen Sunak erstmals ein Angehöriger einer ethnischen Minderheit an der Spitze der Regierung stehen. Kann dieser Mann die tief gespaltene Partei einen und sein Land in ruhigeres Fahrwasser führen?

Zumindest müssen ihm sogar seine Kritiker zugute halten: Sunak hatte Recht. Immer wieder warnte er im parteiinternen Wahlkampf um die Johnson-Nachfolge vor genau jenem Chaos an den Finanzmärkten, das kurze Zeit später ausbrach, als die Visionen seiner damaligen Rivalin Liz Truss auf dem harten Boden der Realität aufprallten. Ihre radikalen, nicht gegenfinanzierten Steuersenkungen ließen die Zinsen in die Höhe schießen und das Pfund in den Keller rauschen, was den Anfang von ihrem Ende einleitete.

Sunak, selbst ehemaliger Investmentbanker, gilt Ökonomen als sichere Bank. Zwar träumt auch er auch von niedrigen Steuern und einem möglichst freien, deregulierten Markt, warnt aber mit klaren Worten vor "Fantasie-Ökonomie". Sunak habe als Finanzminister seine Wirtschaftskompetenz bewiesen, sagt der britisch-deutsche Wirtschaftswissenschaftler Andrew Lee im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. In der Corona-Pandemie brachte Sunak das der deutschen Kurzarbeit ähnelnde "Furlough"-Programm auf den Weg, mit dem in Großbritannien Millionen Jobs gerettet wurden.

"Sunak wird kurzfristig mehr Stabilität bedeuten, einfach, weil er nicht Liz Truss oder Boris Johnson ist", sagt Experte Lee, der an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg lehrt und von Karlsruhe aus oft staunend das Chaos in seinem Heimatland verfolgt.

Harte Einwanderungspolitik

Zugute kommt Sunak auch, dass er mehr als die Hälfte der 357 Köpfe starken Tory-Fraktion hinter sich hat. Schon im Sommer-Wahlkampf war er der Favorit der eigenen Parlamentsfraktion, verlor aber in der geschätzt rund 180.000 Mitglieder starken Partei gegen Truss. Besonders bezeichnend ist diesmal, dass sich mit Ex-Innenministerin Suella Braverman und Handelsministerin Kemi Badenoch auch Vertreterinnen des rechten Parteiflügels hinter Sunak stellen.

Das dürfte auch daran liegen, dass dieser - trotz seines eigenen Migrationshintergrunds - wie Braverman und Badenoch in der Einwanderungspolitik einen harten Kurs verfolgt. Seine Familie sei vor 60 Jahren nach Southampton gekommen. "Aber es war Großbritannien, unser Land, das ihnen und Millionen anderen die Chance auf eine bessere Zukunft gegeben hat", betont er. Als Premier will der Konservative solche Chancen allerdings nur noch sehr beschränkt vergeben: Priorität der Tories ist es, die Tausenden, auf Schlauchbooten über den Ärmelkanal kommenden Migranten zu stoppen und sobald wie möglich nach Ruanda auszufliegen. Sunak will an dem umstrittenen Pakt seiner Vorgänger mit dem ostafrikanischen Land festhalten, der aktuell von Gerichten geprüft wird.

Die Kontrolle über die eigenen Grenzen zu gewinnen und Migration deutlich zu begrenzen war eines der zentralen Versprechen des Brexits. Sunak ist ein Brexiteer der ersten Stunde. Im Sommer versprach er im Wahlkampf um die Johnson-Nachfolge, innerhalb der ersten 100 Tage als Premier jedes aus EU-Zeiten übernommene Gesetz auf den Prüfstand zu stellen. Welches Ergebnis ihm dabei vorschwebt, zeigte ein aufwendig produziertes Twitter-Video, in dem Sunak stapelweise EU-Gesetze in den Papierschredder steckt.

Ob Sunak auch Wahlen gewinnen kann, muss sich zeigen. Zum Verhängnis werden könnte ihm der enorme Reichtum seiner Familie: Seine Frau Akshata Murty hält einen Hunderte Millionen Pfund schweren Anteil am indischen IT-Giganten Infosys, den ihr Vater N.R. Narayana Murty mitgegründet hat. Die "Times" erwähnte das Paar Sunak/Murty, das zwei gemeinsame Töchter hat, in diesem Jahr auf ihrer Liste der reichsten Menschen in Großbritannien. Viele können sich nicht vorstellen, dass Sunak sich ernsthaft in die Sorgen und Nöte ärmerer Leute hineinversetzen kann. Dass ausgerechnet seine vermögende Frau zeitweise mit einem speziellen Steuerstatus keine Steuern auf Einkünfte im Ausland zahlte, machte den Eindruck nicht besser.

Insbesondere in verarmten Gegenden im Norden Englands - oft traditionellen Labour-Hochburgen - könnte es der stets top gekleidet auftretende Ex-Banker als Wahlkämpfer schwer haben. In etlichen Wahlkreisen der sogenannten Red Wall schaffte es bisher nur Boris Johnson mit seinem zerstreut-kumpelhaften Charme, Sitze für die Konservativen zu holen. Die Tories liegen in Umfragen weit abgeschlagen hinter der oppositionellen Labour-Partei. Den Abwärtstrend zu stoppen, wird wohl eine der größten Herausforderungen für Sunak sein - neben der schwersten ökonomischen und geopolitischen Krise seit Jahrzehnten und zahlreichen anderen Aufgaben.

Auch wenn es erst einmal mit dem neuen Amt und Diwali - einem wichtigen hinduistischen Fest in der Hindu-Community - im Hause Sunak einiges zu feiern gibt: Die Zeiten der ausschweifenden Partys in der Downing Street dürften vorerst der Vergangenheit angehören. Der bekennende Hindu lebt Berichten zufolge abstinent. Als seine größten Laster gelten Cola und Twix - und selbst bei deren Verzehr soll er sich zuletzt gemäßigt haben. (dpa)