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Scotland Yard ermittelt wegen Johnsons Lockdown-Partys

Für Großbritanniens Premier Boris Johnson wird die Lage immer prekärer: Nun ermittelt die Londoner Polizei zu den Partys in der Downing Street.

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Die Polizei ermittelt zu mehreren Lockdown-Partys im Amtssitz von Boris Johnson
Die Polizei ermittelt zu mehreren Lockdown-Partys im Amtssitz von Boris Johnson © PA Wire

London. Kuchen, Gesang und immer wieder viel Alkohol: Die geselligen Zusammenkünfte in der Downing Street während des Corona-Lockdowns sind zum Fall für die Polizei geworden. Scotland Yard kündigte am Dienstag an, zu den Lockdown-Partys in Regierungsgebäuden zu ermitteln. Zuvor hatte der Fernsehsender ITV berichtet, Johnson habe im Juni 2020 in seinem Amtssitz 10 Downing Street in größerer Gesellschaft Geburtstag gefeiert. Private Treffen in Innenräumen waren damals nicht erlaubt. Die Regierung dementierte den Bericht im Grundsatz nicht.

"Ich kann bestätigen, dass die Metropolitan Police zu einer Reihe von Veranstaltungen im Zusammenhang mit potenziellen Verstößen gegen die Corona-Auflagen ermittelt", sagte Scotland-Yard-Chefin Cressida Dick am Dienstag in einem Ausschuss des Londoner Stadtrats.

Für den seit Wochen wegen Berichten über mutmaßlich illegale Lockdown-Partys in der Kritik stehenden Premier Johnson ist das eine neue Eskalationsstufe. Die kritischen Stimmen in seiner konservativen Partei werden immer lauter. In den vergangenen Tagen kamen Vorwürfe wegen Diskriminierung von Muslimen im Regierungsapparat und laschen Vorgehens gegen Betrug bei Corona-Hilfen hinzu.

Johnson begrüßt Ermittlungen

Fraglich ist, ob die neueste Zuspitzung Johnson nun mehr Luft zum Atmen verschafft. Zunächst hieß es, der mit Spannung erwartete interne Untersuchungsbericht zu Lockdown-Partys in der Downing Street werde sich durch die angekündigten polizeilichen Ermittlungen wohl deutlich verzögern. Dann aber berichteten mehrere Medien, er könnte doch schon in dieser Woche veröffentlicht werden - möglicherweise sogar schon am Mittwoch. Die Untersuchung der Spitzenbeamtin Sue Gray gilt als entscheidend für die politische Zukunft des Regierungschefs.

Johnson begrüßte die Ermittlungen der Polizei. "Ich glaube, das wird der Öffentlichkeit die Klarheit geben, die sie braucht und dabei helfen, einen Schlussstrich zu ziehen", sagte der Premier im Parlament. Ein Sprecher hatte zuvor betont, der Regierungschef werde vollumfänglich kooperieren.

Wie dieser Schlussstrich aussieht, hängt maßgeblich von Johnsons eigener Fraktion ab. Mehrere Abgeordnete haben bereits öffentlich bekannt, ihn stürzen zu wollen. Die neuen Enthüllungen dürften Wasser auf ihre Mühlen sein. Insider halten ein Misstrauensvotum inzwischen für unausweichlich. Als Nachfolger bringen sich bereits Außenministerin Liz Truss und Finanzminister Rishi Sunak sowie der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Jeremy Hunt, in Stellung.

Die Reaktionen in den Dienstagsausgaben der Zeitungen auf die jüngste enthüllte Party waren verheerend. Viele Zeitungen nahmen ein Foto Johnsons mit einer Geburtstagstorte auf die Titelseite. Die "Sun" titelte spöttisch "You can't have your birthday cake...and eat it, Boris" - eine Anspielung auf ein englisches Sprichwort, das ins Gegenteil verwandelt als Johnsons Lebensmotto gilt. Im Original bedeutet es: Man kann einen Kuchen nicht essen und gleichzeitig für später aufbewahren.

Freiwilliger Rücktritt? Eher nicht

Besonders während der Brexit-Verhandlungen war Johnson aber offenkundig der Meinung, er könne das sehr wohl - und wollte die Vorteile der EU-Mitgliedschaft trotz Austritts gerne behalten. In Brüssel wurde das als Rosinenpicken bezeichnet und abgeblockt. Für Spott sorgte auch, dass Johnson zu Beginn der Pandemie immer wieder betont hatte, man solle sich so lange die Hände waschen, bis man zweimal "Happy Birthday" gesungen habe.

Bei der angeblichen Feier am 19. Juni 2020 zu Johnsons 56. Geburtstag soll seine heutige Frau Carrie dem ITV-Bericht zufolge "Happy Birthday" als Ständchen angestimmt haben. Später seien mehrere Familienmitglieder zu einer privaten Feier in der Wohnung der Johnsons gewesen. Eine Regierungssprecherin bestritt den Bericht über die Zusammenkunft nicht, wertete sie aber trotz anhaltender Kritik daran nicht als Party, sondern als kurzes Treffen von Mitarbeitern im Anschluss an eine Besprechung, um dem Premier zu gratulieren. Den Bericht über Gäste in der Dienstwohnung wies die Sprecherin als "komplett unwahr" zurück. Johnson habe lediglich eine kleine Gruppe von Familienmitgliedern im Freien empfangen.

Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei kritisierte die Regierung als "chaotisch und steuerlos" und forderte zum wiederholten Mal Johnsons Rücktritt. "Er muss gehen", bekräftigte Starmer.

Mit einem freiwilligen Abgang Johnsons wird kaum gerechnet. Gefährlich werden könnte ihm aber der wachsende Unmut in der eigenen Partei. Als Chef der Tory-Partei sieht er sich einer unübersichtlichen Koalition aus verschiedenen Lagern gegenüber. Sollten sich 54 Mitglieder seiner Fraktion im Unterhaus schriftlich für einen Wechsel aussprechen, käme es zum Misstrauensvotum. (dpa)