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Entscheiden Medikamente den Machtkampf in Venezuela?

Machthaber Maduro will verhindern, dass Hilfsgüter ins Land kommen und schließt die Grenzen. Wegen der Engpässe breiten sich nun Krankheiten im Land weiter aus.

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Eine Krankenschwester reicht einem Patient Medikamente im Krankenhaus San Juan de Dios. Das öffentliche Gesundheitswesen ist im krisengeplagten Venezuela weitgehend zusammengebrochen, zahlreiche Mediziner haben das Land verlassen, Präventionsprogramme wur
Eine Krankenschwester reicht einem Patient Medikamente im Krankenhaus San Juan de Dios. Das öffentliche Gesundheitswesen ist im krisengeplagten Venezuela weitgehend zusammengebrochen, zahlreiche Mediziner haben das Land verlassen, Präventionsprogramme wur © Dora Maier/dpa

Caracas. In den Supermärkten bleiben die Regale leer, die Regierung und die Opposition liefern sich einen erbitterten Machtkampf, wegen der extremen Kriminalität traut sich abends kaum noch jemand auf die Straße: Venezuela steckt in einer tiefen Krise. Nun schlagen Wissenschaftler Alarm, weil in dem südamerikanischen Land auch viele Infektionskrankheiten wieder auf dem Vormarsch sind.

Das öffentliche Gesundheitswesen ist weitgehend zusammengebrochen, zahlreiche Mediziner haben das Land verlassen, Präventionsprogramme wurden eingestellt. Das hat dazu geführt, dass sich in den vergangenen Jahren Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, schnell ausbreiten konnten, wie es in einer im Fachmagazin "The Lancet Infectious Diseases" veröffentlichten Studie heißt. Dazu gehören Malaria, Dengue-Fieber und das Zika-Virus.

So sei die Zahl der Malariainfektionen von knapp 30.000 im Jahr 2010 auf über 411.000 im Jahr 2017 angestiegen. "Die Zunahme der Malariafälle könnte bald unkontrollierbar werden", warnt einer der federführenden Autoren der Studie, Martin Llewellyn von der Universität in Glasgow. Sie nennen etwa die nachlassende Bekämpfung der Mückenpopulationen und den Mangel an Medikamenten als Gründe für den Anstieg der Infektionen. "Angesichts fehlender Überwachung, Diagnose und Präventionsmaßnahmen unterschätzen diese Zahlen sehr wahrscheinlich noch die wirkliche Situation."

Im Konflikt um die humanitäre Hilfe für Venezuela hat Machthaber Nicolas Maduro die Schließung der Grenze zum Nachbarland Brasilien angeordnet. 
Im Konflikt um die humanitäre Hilfe für Venezuela hat Machthaber Nicolas Maduro die Schließung der Grenze zum Nachbarland Brasilien angeordnet.  © Prensa Miraflores/dpa

Malaria ist eine der weltweit häufigsten Infektionskrankheiten. Der Erreger wird durch Mücken übertragen. Die Krankheit äußert sich zunächst durch Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen sowie Durchfall und kann unbehandelt tödlich enden. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkrankten 2017 etwa 219 Millionen Menschen in 90 Ländern der Welt an Malaria, 435.000 Menschen starben daran. Bei den meisten Todesopfern handelt es sich um Kinder unter fünf Jahren.

Auch die Zahl der Fälle von Dengue-Fieber und Ansteckungen mit dem Zika-Virus haben sich laut der Studie deutlich erhöht. "Das Wiederaufkommen zahlreicher Infektionskrankheiten führt zu einer Krise des öffentlichen Gesundheitswesens in Venezuela und könnte die regionalen Bemühungen zur Ausrottung von Krankheiten untergraben", schreiben die Autoren der Studie.

Dabei galt Venezuela als Vorreiter im Kampf gegen Infektionskrankheiten in der Region und verfügte lange über ein solides öffentliches Gesundheitswesen. 1961 wurde Venezuela von der WHO bescheinigt, in großen Teilen des Landes Malaria ausgemerzt zu haben. Seit einigen Jahren leidet das einst reiche Land allerdings unter einer schweren Versorgungskrise. Aus Mangel an Devisen kann Venezuela kaum noch Lebensmittel, Medizin und Hygieneartikel einführen.

"Die Lage ist kritisch: Wir haben keine Medikamente, wir haben kein Material", sagte die Internistin Ana Vielma vom Krankenhaus Algodonal in der vergangenen Woche bei Protesten in Caracas. Sie forderte, dass die Regierung des umstrittenen Präsidenten Nicolás Maduro die bereitgestellte humanitäre Hilfe in das Land lassen soll.

Die venezolanischen Opposition pocht auf die Verteilung der Hilfsgüter, während die Regierung von Maduro dies strikt ablehnt.
Die venezolanischen Opposition pocht auf die Verteilung der Hilfsgüter, während die Regierung von Maduro dies strikt ablehnt. © Sofia Toscano/dpa

An der Grenze zu Venezuela stehen Lebensmittel, Medikamente und Hygieneartikel für die notleidende Bevölkerung bereit. Allerdings lässt Maduro die Lieferungen nicht hinein, weil er sie für einen Vorwand für eine militärische Intervention hält. Der selbst ernannte Interimspräsident Juan Guaidó will die Hilfsgüter am Wochenende gemeinsam mit Tausenden Helfern ins Land holen.

"Wir haben noch nicht mal Chlor, um zu putzen", sagte Mauro Zambrano von der Krankenhausgewerkschaft. "Deshalb vermehren sich die Bakterien. Die Patienten kommen mit einer Krankheit in die Klinik hinein und gehen mit einer anderen wieder raus."

Die Gesundheitskrise in Venezuela könnte sich zu einem Problem für die ganze Region ausweiten. Rund drei Millionen Menschen sind bereits ins Ausland geflohen. Im vergangenen Jahr verließen pro Tag durchschnittlich rund 5.500 Venezolaner ihre Heimat - nicht selten dürften sie Krankheiten in die Nachbarländer mitgenommen haben. In der brasilianischen Grenzregion Roraima beispielsweise verdoppelte sich die Zahl der eingeschleppten Malariafälle zwischen 2014 und 2017.

"Wir rufen die Mitglieder der Organisation Amerikanischer Staaten und andere internationale Institutionen dazu auf, den Druck auf die venezolanische Regierung zu erhöhen, damit sie die angebotene humanitäre Hilfe annimmt", sagte Wissenschaftler Llewellyn. "Ohne die Bemühungen, könnten die in den vergangenen 18 Jahren erzielte Fortschritte im Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung bald zunichte gemacht werden."

Arbeiter bauen für das bevorstehende Konzert "Venezuela Aid Live" eine Bühne in der Nähe der Tienditas Brücke an der Grenze zu Venezuela auf. 
Arbeiter bauen für das bevorstehende Konzert "Venezuela Aid Live" eine Bühne in der Nähe der Tienditas Brücke an der Grenze zu Venezuela auf.  © Benjamin Rojas/dpa

Für Freitag war auf der kolumbianischen Seite der Grenze ein Benefizkonzert für Venezuela geplant. Unter anderen sollten bei dem Festival an der Grenzbrücke Tienditas der puerto-ricanische Sänger Luis Fonsi ("Despacito"), der kolumbianische Musiker Juanes und der Reggaeton-Star Maluma auftreten. Auf der anderen Seite der Grenze wollte Maduros Regierung unter dem Motto "Hände weg von Venezuela" ein Gegenkonzert veranstalten.

Die Grenze nach Kolumbien ist für Fahrzeuge schon seit Jahren weitgehend geschlossen. "Ich denke auch über die totale Schließung der Grenze nach Kolumbien nach", sagte Maduro nach seinem Treffen mit den Generälen. "Ich möchte eine offene Grenze ohne Provokationen und Aggressionen, aber als Staatschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte bin ich dazu verpflichtet, die Ruhe und den Frieden sicherzustellen."

Fußgänger können die Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien bislang noch passieren. Jeden Tag kommen Tausende Venezolaner über Fußgängerbrücken nach Kolumbien, um einzukaufen, zum Arzt zu gehen oder zu arbeiten. Zudem nutzen viele Venezolaner die Grenzübergänge nach Kolumbien, um dauerhaft das Land zu verlassen.

Maduro wirft der kolumbianischen Regierung von Präsident Iván Duque immer wieder vor, gemeinsam mit der venezolanischen Opposition und den USA eine Verschwörung gegen seine Regierung zu schmieden. "Ich mache Iván Duque für jede Art von Gewalt verantwortlich, die an der Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela ausbrechen könnte." (dpa)