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Entscheidung in der Verlängerung

Wenn gar nichts Substanzielles über den Fortgang der Haushaltverhandlungen mehr zu vermelden ist, tendiert Jörg Müller, Sprecher von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD), gern ins Historische. Vergangene Woche bemühte er Freiherr Hardenberg, als es um das Wesen der Steuerreform ging.

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Von Sven Siebert, Berlin

Wenn gar nichts Substanzielles über den Fortgang der Haushaltverhandlungen mehr zu vermelden ist, tendiert Jörg Müller, Sprecher von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD), gern ins Historische. Vergangene Woche bemühte er Freiherr Hardenberg, als es um das Wesen der Steuerreform ging. Gestern nahm Müller Anleihen bei Sepp Herberger, Bundestrainer selig und Erfinder zahlloser zeitloser Weisheiten aus der Welt des Fußballs.

„Ein Spiel dauert 90 Minuten“, zitierte Müller. Und falls es dann immer noch unentschieden sei, müsse es eben in die Verlängerung gehen. Genau das sei in den so genannten Chefgesprächen von Eichel mit den Ministern geschehen. Eichel und Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) waren sich bis gestern Mittag nicht einig geworden. Und deshalb stand auch der Gesamthaushalt noch nicht. Müller ergänzte noch, bei der Entscheidung gehe es nicht darum, wer das „Golden Goal“, das entscheidende letzte Tor schieße. Vielmehr zähle die Leistung des Teams.

Ulla Schmidt hat das goldene Tor jedenfalls nicht geschossen, wie am Nachmittag aus dem Kabinengang der Regierung zu vernehmen war. Gerhard Schröder – unklar blieb, ob es sich beim Kanzler eher um einen Trainer oder einen Schiedrichter handelt –, Mannschaftskapitän Franz Müntefering, Ausputzer Olaf Scholz und Kanzleramtszeugwart Frank-Walter Steinmeier hatten Schmidt und Eichel zum klärenden Gespräch bestellt.

Nach dessen Ende wurde mitgeteilt, Ulla Schmidt werde „einen Beitrag leisten wie andere Kabinettskollegen auch“. Das heißt: Auch die Sozialministerin muss sparen. Sieben Milliarden Euro galten als umstritten. Einen wesentlichen Posten braucht die Ministerin zur Stabilisierung des Rentenbeitrags bei 19,5 Prozent. Ohne Extra-Mittel aus dem Bundesetat muss Schmidt nun an die Renten selbst herangehen.

Bundeskanzler

will entscheiden

Im Gespräch sind: eine Verschiebung der turnusmäßigen Rentenerhöhung im nächsten Jahr, eine Erhöhung des bisher 50-prozentigen Eigenanteils an den Krankenkassenbeiträgen der Rentner um wenige Prozentpunkte und eine Absenkung der milliardenschweren Schwankungsreserve der Rentenversicherung. Möglich ist, so raunt es aus dem Schmidt-Ministerium, dass an allen drei Stellschrauben herumjustiert wird.

Mit der dann vorliegenden Gesamtrechnung geht das Kabinett am Wochenende in seine Haushaltsklausur auf Schloss Neuhardenberg. Finanzminister Eichel hatte in Aussicht gestellt, bei Vorliegen eines verfassungsgemäßen Haushaltsentwurfs könne man über ein Vorziehen der für 2005 geplanten Steuerreform nachdenken. In Neuhardenberg soll das entschieden werden.

Der Kanzler hat gestern im Kabinett nochmals unterstrichen, dass es keinen Sinn habe, eine Entscheidung über die Steuerreform weiter zu verzögern. Allgemein wird angenommen, Schröder und Eichel werden das Vorziehen am Sonntag verkünden und zugleich Vorschläge zur Finanzierung der dann entstehenden Steuerausfälle machen.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass auch der Haushalt überarbeitet werden muss, um die 18 Milliarden Euro zu berücksichtigen, die dann bei Bund, Ländern und Kommunen fehlen. Dazu gebe es während des parlamentarischen Verfahrens noch genug Zeit, sagte Jörg Müller gestern. Der Ball ist rund.