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Er baute das Pirnaer Zellstoffwerk auf und riss es ab

Rolf Schumann geht die Zeit um 1990 noch immer nah. Jetzt wurde er 80, macht seinen Frieden und kämpft doch noch weiter.

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© Norbert Millauer

Von Heike Sabel

Heidenau. Nach Pirna? Nein. Rolf Schumann wollte in seinem Hainsberg bleiben. Dort war er technischer Direktor in der Papierfabrik, alles überschaubar, hatte er seine Frau gefunden und eine Familie gegründet. Trotzdem konnte er sich gegen den Ruf nach Pirna nicht wehren. 1977 begann er hier als Direktor des Zellstoffwerkes. Er blieb bis zum letzten Tag 2000.

Das Pirnaer Elbtal wurde nach dem Muldental, in dem er geboren wurde, und dem Weißeritztal bei Hainsberg sein drittes Tal. In jedem sind die Menschen anders, sagt er. In jedem machte er andere Erfahrungen. In Penig lernte er Papiermacher, in Hainsberg stieg er auf, in Pirna noch weiter und musste seine größte Enttäuschung erleben. Das Elbtal wurde für ihn und viele zu einem Tal der Tränen. Auch Schumann weint noch einmal. Als er von den Mitarbeitern des Zellstoffwerkes spricht, für die er damals nach der Schließung 1990 irgendwie Lösungen finden musste, stockt er plötzlich. Er hält sich die Hand vor die Augen. Als er sie wieder wegnimmt, sind die Augen etwas gerötet. Er entschuldigt sich.

Als Schumann 1977 nach Pirna kam, blieb er in Hainsberg wohnen. Nach Heidenau zog die Familie erst 1989. Pirna war ihm zuerst eine Nummer zu groß erschienen, dann packte es ihn. Einen dreistelligen Millionenbetrag habe die DDR in das Pirnaer Zellstoffwerk investieren wollen. „Wir hatten sehr hochwertigen Zellstoff.“ Es war eine Ehre, da zu arbeiten und das machte ihn stolz. „Doch damit begann auch das Dilemma“, sagt er. „Uns fehlte der Umweltschutz.“ 1990 diskutierte er mit Greenpeace. Am Ende wurde die Produktion gestoppt – und lief nie wieder an.

Bis 2000 haben Schumann und die letzten 120 Leute gekämpft. Zehn Jahre, in denen nichts produziert wurde. „Wir haben umgebaut und abgebaut und gehofft.“ Bis 1995 war ein Russe der große Hoffnungsträger. Der hatte das Werk von der Treuhand für eine Mark gekauft, doch seine Verpflichtungen zur Investition nicht erfüllt. Schumann ist überzeugt: Unser Zellstoff wäre auf der Welt verkaufbar gewesen. „Zum Schluss haben wir das abgerissen, was wir bis 1989 aufgebaut haben.“ Schumann trauert dem nicht nach, ist nicht verbittert. „Das ist Geschichte.“ Auch der Vaterländische Verdienstorden. Er lebt im Hier und Heute. Nur bei einem wird ungehalten. Wenn ihm nach der Wende Geborene erzählen, was zu DDR-Zeiten alles schief gelaufen ist. „Das wissen wir nämlich selbst.“ Das ist Schumanns Kampf mit der Vergangenheit.

Heute freut er sich über seine Familie, seine Enkel. Einer hat Papiertechnik studiert, eine Tochter Papiermacher mit Abitur gelernt. Zweimal jährlich trifft er sich mit anderen Mitgliedern des Verbandes ostdeutscher Papierfabriken. Fährt er nach Pirna, fährt er bewusst über die Pirnaer Straße. Immer am Kahrenweg an seinem ehemaligen Büro fragt ihn seine Frau: „Na, wo sind deine Gedanken?“ Wo sollen sie schon sein, denkt er dann. „Es lässt mich nicht los.“

Mit 80 liegt sein Arbeitsleben einige Jahre hinter ihm und ist doch immer wieder gegenwärtig. Verbittert ist Schumann nicht. Dafür hat er zu viel erlebt und noch zu viel zu erleben.

Er ist neugierig auf das, was passiert, diskutiert, argumentiert, freut sich, wenn er Leute von damals trifft. Das Zellstoffwerk Pirna war einer der großen Betriebe mit 800 Beschäftigten.

Nachdem Schumann 2000 das Licht ausgemacht hatte, fiel er in das berühmte Loch. Sein langjähriger Hausarzt und seine Familie halfen ihm. „Sonst würde ich wohl heute nicht hier sitzen“, sagt Schumann. Zu seinem 80. Geburtstag geht die ganze Familie essen und feiert dann zu Hause.Später feiert „der alte Opa“ weiter. Mit Freunden und Kollegen aus Zellstoffwerk-Zeiten – im einstigen Kulturhaus von Zellstoffwerk und Papierfabrik, dem heutigen Heidenauer Sachsen-Eck, in dem sich nun eine asiatische Gaststätte befindet…