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Er hat den Farbfilm vergessen

Frank Dehlis lichtet mit dem Handy die Neustadt ab. Und er leidet an schwerer Inselsucht.

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© Maximilian Helm

Von Maximilian Helm

Ein gebrochener Schirm liegt neben einer weißen Rose auf dem schmutzigen Boden. Vier junge Leute haben eine Tischdecke über zwei Abfallcontainer gelegt und frühstücken darauf. Eine zerschlissene Matratze liegt vollgesogen mit Regenwasser auf dem Bordstein – typische Szenen aus der Neustadt, die Frank Dehlis mit seinem Handy einfängt. Der 44-Jährige beschreibt sich selbst als Sammler von Augenblicken. Es sind die Augenblicke, die seiner Meinung nach das Viertel ausmachen. Die hat er nun erstmals in einem „Schwarz-weiße Republik Neustadt“-Kalender gebündelt – mit einem Foto für jede Woche.

Normalerweise steht Frank Dehlis mit großer Fotoausrüstung am Spielfeldrand im DDV-Stadion und fotografiert Dynamospiele. Seit 2004 produziert er deren Wochenkalender und kümmert sich um den wohltätigen „dynamischen Adventskalender“. Nebenbei fotografiert er Hochzeiten, macht 360-Grad-Panoramen und lichtet Eishockeyspiele ab. Die Leidenschaft für Kalender war geweckt: 2014 gab er den ersten Kamikatzen-Kalender heraus, der die vierbeinigen Bewohner der Kamenzer Straße zeigt: fauchend, rennend, spielend, schlafend. Inzwischen hat sich eine kleine Fangemeinde gebildet.

Doch befriedigt hat ihn diese Arbeit nicht. Vor zehn Jahren hatte er ein Tief. Von seinen vielen Standbeinen, die sich Frank Dehlis aufgebaut hatte, wollte keines erfolgreich sein. Er fand keinen Platz, um sich auszuleben, verlor langsam die Lust an der Fotografie. Auch die Aufträge begannen, weniger zu werden. Der Dresdner suchte ein Herzensprojekt. 2009 hatte er eine ungewöhnliche Idee: Ein eigenes Magazin über seine Lieblingsinsel – Hiddensee, mit Bildern, Gedichten und Eindrücken. Zahllose Sommer hat er dort verbracht und eine Zeitschrift über die Ostseeinsel gab es noch nicht. Zwei Jahre versuchten Dehlis und ein Kollege das Heft herauszubringen, doch immer wieder gab es Schwierigkeiten. Sponsoren sprangen ab, der Druck verzögerte sich. Inzwischen hatte der Fotograf seine gesamten Ersparnisse in das Projekt investiert, sogar die Familienurlaube fielen aus, sehr zum Ärger seiner Frau. „In dieser Zeit habe ich viel einstecken müssen. Niemand dachte, dass das noch klappt“, sagt er.

Doch Weihnachten 2011 erschien die erste Ausgabe. Eigentlich eine wahnwitzige Idee, im Winter ein Urlaubsmagazin herauszugeben, doch es kam gut an. Inzwischen hat sich im Internet eine aktive Fangemeinde gebildet, welche das Heft mit Geschichten versorgt. Dass die Redaktion 400 Kilometer südlich der Insel liegt, stört dabei eher weniger. „Das Magazin ist ein Blick von außen. Für Hiddensee-Süchtige“, sagt Dehlis. Die meisten Abonnenten kommen aus Berlin, Dresden und Thüringen. Ironisch ist dabei, dass er selbst viel weniger Zeit auf der Insel verbringt als früher. Meistens fährt er Dienstagfrüh um vier los, um mittags an der Ostsee zu sein. Dann trifft er sich mit Bewohnern, sieht sich um und macht Fotos, nur um am Mittwoch mit der letzten Fähre wieder Richtung Dresden aufzubrechen. Für den Sommer ist die zehnte Ausgabe geplant. Davon verspricht sich der Herausgeber den Durchbruch.

Bis es so weit ist, wird Frank Dehlis weiter in der Neustadt unterwegs sein. Und wenn eine Katze über den Gehsteig huscht, ein Graffiti von der Sonne angestrahlt wird oder drei junge Männer auf einem Berg von Kohlen sitzen, wird er diese kleinen Momente festhalten.