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Er hat die verrücktesten Kartoffeln

128 Sorten baut Klaus Blüthgen auch dieses Jahr wieder an. Aus Wissensdurst und für den Schäfermarkt in Reichenbach.

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© Photo: Matthias Schumann

Von Ina Förster

Reichenbach. Der Sommer war heiß und trocken. Die meisten Bauern leiden unter den Witterungsbedingungen. Mit der Ernte sieht es allerorts nicht rosig aus. Aber Klaus Blüthgen hat eigentlich noch gut lachen. Seine Kartoffeln sind gut gediehen. Die meisten jedenfalls. Immerhin kann der Reichenbacher ja auch aus 128 Sorten auf seinem Acker wählen. Da fällt es nicht auf, wenn ein paar Mickrige dabei sind. Diese Vielfalt verdankt er seinem besonderem Hobby, seinem ehemaligen Beruf im Amt für Landwirtschaft und nicht zuletzt seiner Neugier auf alles, was die tolle Knolle zu bieten hat. Er sei in der Kartoffelzeile aufgewachsen, behauptet er von sich. Und das stimmt sogar. Der heute 66-Jährige saß schon als Kind auf dem Anfahrhaken des väterlichen Traktors und besah sich die Welt im wahrsten Sinne des Wortes aus der Furche heraus. Damals galt sein Interesse zwar eher dem anschließenden leckeren Mahl. Doch seit vielen Jahren hat sich das geändert.

Bei der Ernte geht es noch mit der guten alten Hacke per Hand zur Sache.
Bei der Ernte geht es noch mit der guten alten Hacke per Hand zur Sache. © Photo: Matthias Schumann
128 Sorten zeigt der Reichenbacher zum 16. Schäfer- und Wollmarkt.
128 Sorten zeigt der Reichenbacher zum 16. Schäfer- und Wollmarkt. © Photo: Matthias Schumann

Letzte Schau in diesem Umfang

Denn der Landwirt aus Leidenschaft baut mittlerweile mit viel Enthusiasmus und Fachwissen seltene und vor allem auch alte Sorten an. Um sie dem Vergessen zu entreißen. Um den nachfolgenden Generationen zu zeigen: Schaut mal – da gibt es noch mehr als EU-genormte runde, saubere, helle Kartoffeln. Und um zu beweisen, dass hier in der Haselbachtaler Erde auch Saatgut aus fernen Ländern gedeiht.

Die Namen der Kartoffeln klingen oft exotisch, manche verrückt, andere wiederum wie die schönsten Frauennamen dieser Welt: Anuschka, Annalena, Birte, Desireé, Freya, Heiderot und Gunda, Ivetta, Natascha, Lilly oder Monalisa – um nur einige zu nennen. Im krassen Gegensatz dazu steht die Sorte „Reichskanzler“ oder „Hindenburg“. Nun ja, irgendjemand wird sich früher etwas dabei gedacht haben …

Der Wollmarkt in Reichenbach

Zum 16. Schäfer- und Wollmarkt in Reichenbach laden die Gemeinde Haselbachtal und das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft & Geologie Kamenz ein. Und zwar am Sonntag von 9 bis 18 Uhr rund um die Festscheune.

Der Tag beginnt 9Uhr mit dem Hähnewettkrähen. Gegen 10 Uhr wird der Markt offizielle eröffnet. Von 10 bis 12 Uhr unterhalten die „Sächsischen Harmonikafreunde“ das Publikum. „De Hutzenbossen“ sorgen ab 14.45 Uhr für Stimmung.

Außerdem locken ganztags Pferdereiten, Strohburg, Bastelstand, Kartoffelsortenschau, Wettsägen, Dampfeisenbahn zum Mitfahren, Schafscheren, Schafrassenschau sowie Produkte vom Schaf. Man kann zusehen beim Schafwolle stricken und spinnen, Seilern sowie Sensedengeln.

Auch verschiedene Händler wie Imker, ein Fellhandel, Keramiker und Holzgestaltung, Pfefferküchler, die Alpaka-Farm, der Naturpark Lausitz und Imbisshändler locken mit ihren Angeboten.

www.haselbachtal.com

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Wenn Klaus Blüthgen mit seinen Lieblingen auf Ausstellungen unterwegs ist , gibt es viele Gespräche rund ums Thema. „Viele Leute sind erstaunt , dass solche ausgefallene Sorten überhaupt bei uns wachsen. Dabei behandle ich alle Sorten gleich. Keine bekommt eine Extrawurst, wird mehr oder weniger gegossen beispielsweise. Das ist ja gerade das Spannende an der Sache, was sich daraus ergibt“, meint er. Die letzten 14 Tage ist er wieder fast täglich stundenlang „in den Kartoffeln unterwegs gewesen“. An seiner Seite sehr oft Enkelin Maira. Die Vierjährige begleitet den Opa gern und liest mit Freude die Kartoffeln aus der Erde. „Sie kennt die Grundlagen schon alle, und weiß genau Bescheid“, lacht der 66-Jährige. Vor allem vor der großen Sortenschau zum Schäfer- und Wollmarkt in Reichenbach gab es viel zu tun. „Extra auch für den Wollmarkt baue ich seit fast 20 Jahren so viele Sorten an. Im Laufe der Zeit sind es immer mehr geworden. Das kam sehr gut an“, erzählt der Senior. Trotzdem wird es 2018 zum letzten Mal so eine Schau in so einem Umfang geben. Klaus Blüthgen will kürzer treten, aber selbst die Hälfte des Saatgutes würde noch immer ausreichen. Der Aufwand wächst ihm sonst über den Kopf. Außerdem hätte man als Rentner ohnehin weniger Zeit und es gäbe noch vieles andere, was er tun möchte.

Das Saatgut bekommt er übrigens aus aller Welt. Für manche Sorte musste der Fachmann schon mal länger recherchieren im Internet oder seine Beziehungen spielen lassen. Das ist es ihm aber wert. Die Kartoffel, die ursprünglich aus Südamerika kommt, hat es ihm halt angetan. „Mich faszinieren vor allem die alten Sorten. Weil sie gut schmecken und meistens robust sind.“ Einige ältere Menschen erinnern sich noch immer an den „Ackersegen“, der in den 50er und 60er-Jahren angebaut wurde. Dessen Züchter siedelte später aber in den Westen. Damit verschwand die Sorte von ostdeutschen Tischen. Oder an die „Capella“. Die hat Klaus Blüthgen als Kind selber vom Acker geholt. Seine Kollegen besorgten ihm das Saatgut davon zum Abschied im Amt aus der Gen-Bank.

Eine Spitzensorte ist ebenfalls immer noch das „Bamburger Hörnchen“. Super im Geschmack sei diese Speisekartoffel. Überhaupt weiß der Reichenbacher, welche Knolle für welche Speise gut ist. Nicht jede kann in einen Kartoffelsalat, nicht jede eignet sich für den Brei. „Da braucht es eben eine Mehligkochende. Sonst wird es am Ende wirklich Kitt“, schmunzelt er. Nur aller vier Jahre kann das Saatgut übrigens auf den gleichen Acker. Da braucht es Platz und man muss flexibel sein. Die Kartoffelkäfer würden im Frühjahr sofort wittern, wenn man das nächste Saatgut gleich nebenan in die Furche bringt. „Mir ist natürlich auch klar, dass ein Bauer, der von der Landwirtschaft leben muss, sich nicht solche Spielereien mit dieser Vielfalt leisten kann. Von manchen Sorten bringe ich ja auch nur zehn bis 15 Pflanzen aus.“

Faszinierende Farbvielfalt

Seine Stammkundschaft freut sich nun wieder bereits auf die finale Ernte. Nach der Ausstellung beim Schäfermarkt am Sonntag macht sich der Bauer an die Arbeit. Da ist mitunter „Anstellen“ angesagt. Die Bestellliste wird immer länger. Kein Wunder – in diesem Fall haben die fleißigsten Bauern wirklich die besten Kartoffeln. Rot können sie sein, gelb und haarig, gescheckt wie ein Clownsfisch. Deshalb nennt man die Sorte auch Nemo. „Der Farbstoff in einer lila Kartoffel ist übrigens der gleiche wie in einer Heidelbeere“, so Blüthgen. Die Natur bringt eben Faszinierendes hervor. Wenn man sich darauf einlässt, wird man nicht dümmer.