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Er war doch wie ein Großvater

Am Mittwoch fiel am Landgericht Dresden das Urteil gegen einen Kinderschänder – zweieinhalb Jahre nach der Tat.

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© dpa

Von Yvonne Popp

Sächsische Schweiz. Das Opfer ist ein ruhiges Kind. Das Mädchen wirkt jünger, als es ist, hat Respekt vor Erwachsenen und tut, was man ihr aufträgt, sagen die Eltern. Und so stieg sie auch im Herbst 2013 zu ihrem Nachbarn aufs Quad, als er anbot, mit ihr eine Runde um den Wohnort zu drehen. Die Ausfahrten wiederholten sich und wurden größer. Die letzte Tour, am Ostersonnabend 2014, dauerte schließlich so lange, dass sich die Eltern zu sorgen begannen. Als das Kind nach einer Dreiviertelstunde mit dem betagten Mann, der seit vielen Jahren ein enger Freund der Familie war, zurückkam, verschwand es sofort in seinem Zimmer. Später, beim Mittagessen rührte das Mädchen keinen Bissen an. Auf Nachfrage der besorgten Eltern beginnt sie zu weinen und sagt, dass sie nicht erzählen dürfe, was passiert ist. Was danach kommt, ist ein Schock für die Familie. Stück für Stück offenbart das Mädchen, was auf den Quadausflügen vorgefallen war.

Bereits im November 2014 musste sich der Nachbar vor dem Amtsgericht in Pirna wegen schweren sexuellen Missbrauchs verantworten. Der Anklage zufolge, soll der Mann von Herbst 2013 bist Frühjahr 2014 auf den Ausfahrten in den nahe gelegenen Wald das damals zehn-, später elf-jährige Mädchen mehrfach unsittlich berührt, ihr einen Zungenkuss aufgezwungen und sie dazu aufgefordert haben, seinen Penis in den Mund zu nehmen.

Geständnis kommt spät

In Pirna hatte der Senior aus der Sächsischen Schweiz die Vorwürfe vehement bestritten und behauptet, das Kind hätte ihn „angemacht“, hätte sich freiwillig vor ihm entkleidet und seinen Schenkel gestreichelt. Diese Annäherungen will er sogar zurückgewiesen haben. Das hatte ihm das Jugendschöffengericht aber nicht geglaubt, da die Ermittlungen der Polizei und auch ein psychologisches Gutachten die Glaubwürdigkeit des Opfers bestätigt hatten.

Ohne Geständnis drohte dem Angeklagten damals im Falle eines Schuldspruchs eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren. Da das über dem maximalen Strafmaß liegt, was von einem Amtsgericht verhängt werden darf, musste das Pirnaer Jugendschöffengericht die Verhandlung aussetzen und an die Jugendschutzkammer des Dresdner Landgerichts verweisen. Entgegen seinen Schilderungen vor dem Pirnaer Gericht leugnete der Rentner am Montag zum Prozessauftakt in Dresden entschieden, dass es überhaupt zu sexuell motivierten Vorfällen gekommen war. „Das alles ist erfunden“, schimpfte der alte Mann. Weiter sprach er von zerrütteten Verhältnissen in der Familie des Opfers und davon, dass das Kind sehr liebebedürftig war und es sich mit den Anschuldigungen gegen ihn nur habe in den Mittelpunkt rücken wollen. Die Aussagen verschiedener Zeugen, darunter die der Eltern, einer engen Freundin und einer Lehrerin des Opfers, widerlegten das.

Am Mittwoch, dem zweiten von ursprünglich vier Prozesstagen, kam die Wende. Nachdem das Gericht, nach einer Verständigung zwischen allen Prozessbeteiligten, dem Angeklagten im Falle eines Geständnisses eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt hatte, gab der Angeklagte, wenn auch sehr zögerlich, die Taten zu. Damit ersparte er seinem Opfer eine Aussage vor Gericht, von der man annehmen musste, dass sie sich erneut traumatisierend auf das Kind auswirken könnte.

Bewährung und Schmerzensgeld

Die Jugendschutzkammer unter Vorsitz von Richter Andreas Ziegel verurteilte den nicht vorbestraften Angeklagten schließlich zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zu drei Jahren Bewährung. Zusätzlich muss er 5 000 Euro Schmerzensgeld an das Mädchen zahlen. Dazu kommt noch eine Entschädigung in Höhe von 1500 Euro an die Familie des Opfers. Durch die regelmäßigen, weiten Fahrten an das Uniklinikum in Dresden, wo das Mädchen in 43 Sitzungen statt einer Traumatherapie bis zum Abschluss des Verfahrens nur psychologisch stabilisierend behandelt werden konnte, waren den Eltern erhebliche Kosten entstanden.

Die lange Prozessdauer habe man dem Angeklagten hier nicht, wie vom Vertreter der Nebenklage angeführt, zur Last legen können, sagte der Richter in seiner Urteilsbegründung. Neben der Zeit, die für die Erstellung der verschiedenen Gutachten benötigt wurde, sei es auch der Personalsituation am Landgericht geschuldet, dass man den Prozess nicht früher habe terminieren können.

So wirkte sich neben dem Geständnis und der sozialen Ächtung, die der Beschuldigte in seinem Heimatdorf seit Bekanntwerden der Vorfälle erfährt, auch die lange Verfahrensdauer strafmildernd für ihn aus. Ein Beschleunigungsgebot, das missbrauchten Kindern die Strapazen, die mit einer lange Verfahrensdauer einhergehen, ersparen würde, gibt es aber nicht.