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Erbitterter Streit am Gartenzaun

Ein endloser Zoff unter Nachbarn landet vor Gericht. Die Parteien sind unversöhnlich. Der Justiz sind hier Grenzen gesetzt.

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Von Jürgen Müller

Wer solche Nachbarn hat, braucht keine Feinde mehr. Was sich hier im Meißner Gerichtssaal abspielt, ist erschreckend und ungewöhnlich. Es zeigt, wohin jahrelange Aversionen unter Nachbarn führen können. Nachbarschaftsstreitigkeiten gehören zu den erbittertsten und unversöhnlichsten.

Ein Boxdorfer ist angeklagt, weil er seine Nachbarn auf das Übelste beleidigt haben soll. Auf die konkreten Beleidigungen soll hier aus Gründen des guten Geschmacks verzichtet werden. Sie sind schlicht nicht zitierfähig. Der Mann streitet die Beleidigungen auch nicht ab. „Kann sein, dass ich das gesagt habe“, räumt der 49-Jährige ein. Nur bedroht haben will er seine Nachbarn nicht. Gerade das aber wirft ihm die Staatsanwältin vor. Er wolle sie abstechen, das ginge ganz schnell, soll er einer seiner Nachbarinnen gedroht haben. Einer anderen habe er gesagt, man müsse ihr und ihrem Köter einen Knüppel über den „Nischel“ ziehen.

Über 30 Anzeigen

Die Feindseligkeiten und Aggressionen am Gartenzaun gibt es schon seit vielen Jahren. Nicht nur der Angeklagte teilt aus, ganz offenbar auch seine Nachbarn. Mehr als 30 Anzeigen hat er schon gegen sie gestellt. Alle wurden von der Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit eingestellt. Der Mann fühlt sich nicht nur ständig beobachtet, verfolgt und bedroht, sondern auch von den Behörden im Stich gelassen. „Ich bin verzweifelt, bekomme von niemandem Recht“, sagt er. Die Nachbarn würden ihn ständig beobachten. Ihr Hund sei auf ihn „abgerichtet“ worden.

Als eine Nachbarin, die den Mann angezeigt hatte, als Zeugin vernommen wird, zeigt sich, dass auch sie mehr als nur ein Scherflein zu dem Dauerstreit beträgt. Sie ist voller Belastungseifer, hat alle Beleidigungen akribisch notiert. Uralte Klamotten graben sowohl Zeugin als auch Angeklagter heraus, schaukeln sich gegenseitig hoch, machen sich Vorwürfe. Richterin Ute Wehner zeigt Engelsgeduld, versucht sich als Mediatorin. Der Versuch muss scheitern. Beide Seiten sind unversöhnlich. Das zeigt sich auch daran, dass die Zeugin nicht bereit ist, eine Entschuldigung des Angeklagten anzunehmen, keinen Schritt auf ihn zugeht. „Sie sind nicht besser als er“, wirft ihr Verteidiger Dr. Andreas Maier vor. Und auch die Richterin sieht, dass der Justiz hier Grenzen gesetzt sind. „Das ist krank, von beiden Seiten. Sie haben so große Grundstücke, dass sie sich aus dem Wege gehen könnten. Aber sie gehen immer aufeinander zu, um zu streiten.“

Die Unfähigkeit der beiden Parteien, sich wie normale Menschen zu verhalten, soll nun der Staat richten. Deshalb zeigt man sich gegenseitig und regelmäßig an. Beleidigung ist ein so genanntes Antragsdelikt. Die Staatsanwaltschaft klagt es nicht von Amts wegen an, sondern nur, wenn eine konkrete Anzeige vorliegt.

Ein Unbekannter ist der Angeklagte für das Gericht nicht. Sechsmal wurde er schon bestraft, immer wegen Beleidigung. Zwei andere Verfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Doch dass er schuldunfähig ist, dass sieht der Sachverständige Dr.Stephan Sutarski anders. Er stellt bei dem Angeklagten keine Nervenerkrankung, die behandlungsbedürftig wäre, keine Geistesstörung, keine Paranoia fest. „Das Problem ist nicht er, sondern die gesamte Situation, die vergiftete Atmosphäre“, sagt er.

Er bekommt kein Geld

Sicher, leicht hat es der Angeklagte nicht, er wurde vom Leben nicht gerade verwöhnt. Nach dem Tod der Mutter lebt er mit seinem Bruder in einem großen Haus mit Grundstück. Weil das zu groß ist für die beiden, bekommt er kein Arbeitslosengeld II. Seit Jahren ist der gelernte Postfacharbeiter arbeitslos. Nach eigenen Angaben lebt er vom Sammeln leerer Flaschen. Auch sein Bruder unterstütze ihn.

Staatsanwältin Yvonne Birke ist nicht nur überzeugt, dass der Angeklagte die Nachbarn beleidigt, sondern auch bedroht hat. Wegen fünf Fällen von Beleidigung, einmal in Tateinheit mit Bedrohung, plädiert sie für eine Geldstrafe von 600 Euro. Der Verteidiger hingegen sieht keine Bedrohung. Sein Mandant habe die Beleidigungen lediglich „vertiefen“ wollen. Er sei nie gewalttätig geworden. Grund für die Auseinandersetzungen seien beidseitige Aggressionen und Ausfälle über Jahre.

Das Gericht verurteilt den Mann zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je zehn Euro, also zu 600 Euro. Dafür muss er eine Menge leerer Flaschen sammeln. Gelöst ist das Problem aber mit dem Urteil noch lange nicht. Ein Außenstehender wie die Justiz kann es auch nicht lösen. Das müssen die Streithähne schon selbst tun. Indem sie sich zum Beispiel einfach aus dem Weg gehen. „Es geht alles, wenn man nur will“, sagt die Richterin. In diesem Fall wohl nicht.