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Erinnerung an die Opfer der NS-Krankenmorde

Im Zuchthaus wurden Patienten gezielt getötet. Fünf Stolpersteine dienen als Mahnung an dieses dunkle Kapitel Stadtgeschichte.

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© Dietmar Thomas

Von Tina Soltysiak

Waldheim. Sally Jacobs verstarb an einer offenen Lungentuberkulose. So lautet zumindest die offizielle Todesursache, für den am 22. Mai 1942 im Zuchthaus Waldheim umgekommenen jüdischen Kaufmann. „Tatsächlich war er ein Opfer der sogenannten Medikamenten-Euthanasie“, sagt der Chemnitzer Historiker Dr. Jürgen Nitsche am Dienstagmittag bei der Verlegung von fünf Stolpersteinen auf dem Augustinerplatz in der Zschopaustadt. Er hat einige Schicksale von Menschen recherchiert, die zwischen 1940 und 1942 im Zuchthaus sowie in der Heilanstalt – der heutigen Justizvollzuganstalt (JVA) – ermordet wurden. „Die Ärzte haben die Todesumstände meist beschönigt“, sagt Nitsche. Das habe zu Zeiten des Nationalsozialismus Methode gehabt.

Patienten der Zucht- und Heilanstalten wurden häufig zu Opfern der „Medikamenten-Euthanasie“. Die Nationalsozialisten ließen von 1939 bis 1945 zwischen 100 000 und 150 000 geistig und körperlich Erkrankte töten. „In Sachsen wurden 30 000 Behinderte getötet, 13 000 davon mit Gas, die restlichen mit Medikamenten“, so Jürgen Nitsche. Zumeist starben die Menschen durch die überdosierte Verabreichung von Beruhigungs- und Schlafmitteln und durch gezieltes Verhungernlassen.

Viele dieser „lebensunwerten Leben“ – so die Bezeichnung der Nationalsozialisten – endeten erst nach einer Odyssee von Anstalt zu Anstalt. „Sally Jacobs wurde 1939 wegen des Verdachts der Rassenschande verhaftet, kam zunächst in ein Gefängnis in Leipzig, dann für einige Monate nach Waldheim. 1941 wurde er ins Zuchthaus in Zwickau verlegt, kehrte dann aber wieder nach Waldheim zurück, wo er schließlich wenige Wochen nach seiner Ankunft verstarb“, erzählt Nitsche in Anwesenheit von Ober- und Förderschülern sowie Stadträten und Gästen.

Seit 20 Jahren erforscht Jürgen Nitsche das Schicksal von Juden, die durch das Nazi-Regime in den Tod getrieben wurden – sei es in Konzentrationslagern, auf den sogenannten Todesmärschen oder eben durch die NS-Krankenmorde. Dabei interessieren ihn vor allem die eher unbekannten Opfer, die stellvertretend für eine größere Gruppe an Ermordeten stehen. Zwischen einem und drei Jahre Arbeit hat er investiert, um das Schicksal von Sally Jacobs, Eugen Becker, Bernhard Rubinstein, Marie Heller und Hermann Aussenberg zu erforschen. Dies tat er im Auftrag der Initiative für Demokratie Mittelsachsen. In Gedenken und als Mahnmal an das Leid, das die Fünf ertragen mussten, sind am Dienstag fünf Stolpersteine verlegt worden. Es sind die ersten, die an die Opfer der Morde in der heutigen JVA erinnern.

„Stolpersteine haben eine große Bekanntheit, durch ihre starke Präsenz wird uns bewusst, dass es überall Verbrechen gab – nicht nur in den Großstädten“, so der Vorsitzende der Initiative, Steffen Blech. Waldheims Bürgermeister Steffen Ernst (FDP) ergänzt: „Es ist wichtig, gerade bei solch sensiblen Themen und dunklen Kapiteln einer Stadt Geschichtsaufarbeitung zu betreiben und aufzuklären.“ Auch die JVA verschließt die Augen nicht davor. „Im Rahmen des 300-jährigen Jubiläums wurde natürlich auch dieser Teil der Geschichte der Anstalt beleuchtet. Wir leben heute aber Gott sei Dank in einem anderen Rechtsstaat“, sagt die stellvertretende JVA-Leiterin Simone Königs.

Gestaltet hat die Steine der Künstler Gunter Demnig. „Pro Stück Fallen Kosten von 120 Euro an“, so Steffen Blech.