Von Jürgen Müller
Das ist schon eine komische Truppe. Sowohl die beiden Angeklagten Sandy U. und Tony J. als auch die Zeugen haben schon eine kriminelle Karriere hinter sich, standen mehrfach vor Gericht, haben teilweise schon in Haft gesessen oder zumindest Gefängnisstrafen auf Bewährung abgefasst. Der 20-jährige U. sitzt gerade mal wieder in Regis-Breitingen eine Haftstrafe ab. Das droht auch J. Er stand zur Tatzeit unter Bewährung. Die beiden sollen an einem Maitag vorigen Jahres kurz nach Mitternacht einen Kumpel ausgeraubt haben. Sie sollen mit den Worten „Jetzt gibt es Stress“ auf den Geschädigten eingeschlagen und ihm dann einen Flachbild-Fernseher, ein altes Handy sowie Hanteln geklaut haben. Besonders perfide: Am Nachmittag des gleichen Tages hatten sie noch bei ihm in der Wohnung offenbar fröhlich Bier getrunken. Abends raubten sie ihn dann aus. Schöne Freunde.
Aber sie waren es natürlich nicht. Dass sie am Nachmittag bei dem späteren Geschädigten in der Wohnung waren, geben die beiden zu. Danach seien sie noch ins Kaufland gegangen und hätten weiter Bier getrunken, sagt U. Und dann seien sie brav nach Hause gegangen. Ein Überfall, ein Raub? Aber nicht doch! Ein einziges Missverständnis. Auch der glatzköpfige J. mit den auffälligen Tätowierungen an Hals und Kopf ist völlig überrascht, als plötzlich die Polizei bei ihm vor der Tür steht. Der Geschädigte habe sich später bei ihm entschuldigt und gesagt, es sei ein Missverständnis gewesen. Am nächsten Tag hätten die gestohlenen Gegenstände jedenfalls wie von Geisterhand wieder vor dessen Tür gestanden. Wie sie dort hingekommen sind? Keine Ahnung. Er jedenfalls hat nichts damit zu tun, sagt er der Richterin.
Drohung mit der Zelle hilft
Dann wird der Geschädigte vernommen. Er hatte die beiden angezeigt und bei der Polizei die Tat detailliert geschildert. Jetzt vor Gericht leidet er unter einer schweren Amnesie. Ja, dass sie Bier getrunken hätten, weiß er noch, dass er zusammengeschlagen wurde aber nicht.
Als ihm die Richterin anbietet, ihm Gelegenheit zu geben, in der Zelle seinen Denkprozess zu beschleunigen, fällt ihm doch noch etwas ein. Ja, zwei Männer, die so eine ähnliche Statur wie die Angeklagten hatten, hätten ihn zusammengeschlagen. Aber erkannt habe er sie nicht. „Die hatten nämlich Masken auf“, sagt er. Davon hatte er bis jetzt noch nie etwas erwähnt, auch bei der Polizei nicht. Richterin Ute Wehner lässt sich nicht für dumm verkaufen. Sie droht an, ihn zu vereidigen. Ein Meineid macht sich ziemlich schlecht, vor allem dann, wenn man wie der Zeuge selbst unter Bewährung steht. Ein Jahr Mindeststrafe ist dann fällig. Die Drohung frischt das Gedächtnis deutlich auf. „Beide haben auf mich eingeschlagen. Dann war ich mit dem Glatzkopf in der Wohnstube und habe aufgehört, mich zu wehren“, sagt er aus. Der andere habe in dieser Zeit die Gegenstände rausgeholt. Er solle sich ja überlegen, was er jetzt mache, soll ihm Glatze noch beim Gehen gedroht haben. Und gibt auch zu, dass er mit der Glatze vor ein paar Tagen gesprochen habe. Der habe ihn deutlich aufgefordert auszusagen, dass das alles ein Missverständis sei. „Ich sollte die beiden raushauen und habe das gemacht, weil ich meine Ruhe haben wollte“, sagt der Zeuge. Es ist spürbar, dass er Angst vor den beiden Angeklagten hat.
Nachdem die Verteidiger ihre Mandanten nochmal ins Gebet genommen haben, geben sie alles zu. „Ich dachte, das ist der einzige Weg, um hier ohne Haft rauszukommen“, sagt J. Auch U. gesteht, lügt dennoch weiter. „Hier, nehmt das mit, ich schenke euch das“, soll der Geschädigte ihm gesagt haben. Eine glatte Lüge.
U., der wegen gemeinschaftlichen Raubes und versuchter gemeinschaftlicher Erpressung gerade eine Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten absitzt, bekommt „Nachschlag“ von einem Jahr. Mit der Entlassung am 30. Mai ist es damit Pustekuchen. Möglicherweise wird sich sein Aufenthalt hinter schwedischen Gardinen noch weiter verlängern. Eine weitere Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung liegt jedenfalls vor.
Zwei Mal Glück gehabt
U. hat mehr Glück. Ein wird zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Nebenher bleibt eine weitere Haftstrafe von drei Monaten wegen Trunkenheit im Verkehr bestehen. U. hat Riesenglück gehabt, dass das Jugendschöffengericht das vorherige Urteil, das mit einbezogen wird, wieder aufstrippt und getrennte Strafen verhängt. Und er hat auch deshalb Glück, weil er die neue Tat in der Bewährungszeit beging. Da ist normalerweise keine erneute Bewährung drin. Die bekam er nur, weil das Gericht anerkannte, dass er jetzt sein Alkoholproblem in den Griff bekommen und eine Entziehung machen will.