Merken

Erst sitzen, dann hängen gelassen

Voreiliger Pilot, ignorante Airline: Wie es einem Dresdner Eurowings-Passagier ergeht, der um Entschädigung kämpft.

Teilen
Folgen
© Robert Michael

Von Michael Rothe

Man stelle sich vor: Die Fußballer von Borussia Dortmund müssten am 3. Juni 2017 zum Champions-League-Finale gegen den FC Barcelona ins walisische Cardiff. Als Zubringer soll der gerade eingeweihte schwarz-gelbe Mannschafts-Airbus von Eurowings abheben. Doch als der A320 mit Reus, Götze und Kagawa zum Start rollt, fehlt an Bord noch der komplette Sturm um Aubameyang. Und im gerade vorgefahrenen zweiten Bus gestikuliert Torwart Weidenfeller wie wild. Doch der Pilot lässt sich nicht beirren. Schließlich ist die Gangway weg. Und wenig später der Flieger, ohne das Gros der Elf. Wahnsinn!

Wahnsinn? Mitnichten. So ähnlich war es Thomas Rost und 71 anderen Passagieren ergangen, die am 17. Juni um 21:40 Uhr mit Eurowings von Düsseldorf nach Dresden fliegen wollten (die SZ berichtete). „Die Maschine rollte vor unserer Nase davon“, erinnert sich der Marketingchef der Wendt & Kühn KG in Grünhainichen, der berühmten erzgebirgischen Holzkunstmanufaktur mit 190 Mitarbeitern. Er sei dienstlich oft per Flieger unterwegs, aber so etwas sei ihm noch nie passiert. Die Maschine habe zuvor bereits zwei Stunden Verspätung gehabt. Am Gate habe es Wortgefechte gegeben, Medien berichteten von Handgreiflichkeiten. Schließlich seien vier Polizeibeamte angerückt, um die Lage zu beruhigen.

Thomas Rost hat sich auch nach acht Wochen nicht beruhigt. Mehr noch als der Vorfall empört ihn der Umgang der Airline mit den Gestrandeten. Dabei hatte Eurowings in den Medien versprochen, die Kosten für Hotel und Verpflegung zu erstatten, eine Entschädigung von 250 Euro zu leisten – und sogar noch einen Fluggutschein im Wert von 200 Euro draufzulegen.

Reiserechtler Ronald Schmid ist überrascht von so viel Kulanz. Der Schaden sei „fast überkompensiert“, so der Professor, der seit 1992 auch an der TU Dresden lehrt. Allerdings seien die vollmundigen Zusagen kein Geschenk, sondern gesetzliche Pflicht. Nur der Fluggutschein sei ein Extra.

Doch auf all das wartet Thomas Rost bis heute vergeblich. Vom Call-Center gab’s nur eine E-Mail-Adresse. Doch seine Zahlungsaufforderung sei ebenso unbeantwortet geblieben wie das Einschreiben an die Geschäftsführung. „Es ist, als ob du einen Stein in den Wald wirfst“, so der 55-Jährige.

„Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Airline erst mal auf Tauchstation geht, um zu testen, wie ernst es den Passagieren ist“, sagt Jurist Ronald Schmid. Manche Fluggesellschaft setze auf Zermürbungstaktik. Schon wenn nicht alle Betroffenen Ansprüche anmeldeten, habe sie Geld gespart.

Schmid kommt aus einer Fliegerfamilie, kennt als Ex-Chefjustiziar der früheren Aero Lloyd die Denke der Airlines und ihre oft hanebüchenen Ausreden. Aber die meisten Passagiere glaubten sie oder ließen sich durch Ablehnung abschrecken, sagt er. So entgehen Reisenden im Jahr 720 Millionen Euro, die ihnen zustünden – ein Konjunkturprogramm für Lufthansa & Co.

„Die Qualität einer Marke erkennt man auch und besonders daran, wie mit berechtigten Reklamationen umgegangen wird“, sagt Thomas Rost. Der Vertriebschef von Wendt & Kühn muss es wissen, zählt die Traditionsfirma mit den Elf-Punkte-Engeln als bekanntestem Produkt doch Kunden in 27 Ländern, auch in Asien und Amerika.

„Der Kunde ist König“ sei ein Märchen aus dem letzten Jahrtausend – nicht nur bei den Airlines, auch bei Versicherungen und in anderen Branchen, weiß Ronald Schmid. „Der Kunde ist so lange interessant, bis er gekauft und gezahlt hat“, sagt der Wiesbadener Anwalt, der freiberuflich als Sprecher des Verbraucherschutzportals Fairplane arbeitet. Danach werde er eher lästig – erst recht, wenn er auf zugesagte Dienstleistungen poche. Und bei einer Billig-Airline wäre das womöglich noch ausgeprägter. Jedoch sei die Eurowings zu jung, um sie grundsätzlich an den Pranger zu stellen.

Für Schmid ist das Düsseldorfer Drama kein Einzelfall. Er selbst habe schon Ähnliches erlebt. Mit Blick auf das Düsseldorfer und Dresdner Nachtflugverbot nennt er das Verhalten des Piloten „nachvollziehbar und betriebswirtschaftlich sogar vernünftig“. Die Maschine musste am nächsten Morgen am Startort sein, da habe er Nachteile abwägen müssen. „Das ändert aber nichts an den Ansprüchen der Passagiere, Eurowings kommt nicht aus der Nummer raus“, sagt Schmid. Er gilt als Vorreiter des Verbraucherschutzes und hat Urteile vor dem Europäischen Gerichtshof zugunsten von Passagieren erstritten. Nach seinen Angaben sind allein in Deutschland jährlich 1,5 Millionen Fluggäste mit Verspätung von drei Stunden und mehr, Überbuchung und Annullierung konfrontiert. Sein Rat an Betroffene: „Wehrt Euch, haltet durch!“

Und was sagt Eurowings selbst? Die SZ wollte von der Lufthansa-Tochter wissen, wie sie den Vorgang mit Abstand bewertet, wie es sich mit der versprochenen Entschädigung verhält, ob es für die Crew Konsequenzen gab und welche Schlussfolgerungen die Airline selbst gezogen hat. Ihre Antwort: Eurowings war es „in der Kürze der Zeit heute leider nicht möglich, Ihre Fragen ausreichend zu recherchieren“. Womöglich war ja der Pilot schon wieder weg. (SZ/mr)

Das Recht der Gestrandeten

Wer sein Ziel mindestens drei Stunden zu spät erreicht, kann je nach Entfernung 250 bis 600 Euro Entschädigung verlangen.

Das geht auch ohne Risiko und zum Nulltarif: über die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) oder kommerzielle Helfer wie Fairplane, EUclaim oder Flightright.

Wer sie einschaltet, gibt nur im Erfolgsfall etwa ein Drittel der Entschädigung an seine Helfer ab.

„Teilerstattung“ als Gutschein oder kostenfreie Sitzplatzreservierung spart der Airline Geld, entspricht aber nicht dem Recht.

Manche Gesellschaft beruft sich auf das verbraucherunfreundlichere Pauschalreiserecht – mit nur einem Bruchteil der zustehenden Beträge.