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Erster Schritt zur Integration

Bis zu 24 Ausländer können in einem Kurs die deutsche Sprache lernen. Dabei gibt es aber ein großes Problem.

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© Dietmar Thomas

Von Maria Fricke

Döbeln. Helena Kolesnikov ist eigentlich Theologin. Im September 2016 kam sie als Spätaussiedlerin aus Russland nach Deutschland. „Ich muss jetzt erstmal Deutsch lernen, damit ich mit den Leuten hier zurechtkomme, dem Kinderarzt, den Lehrern in der Schule“, sagt die zweifache Mutter. Das klappe schon recht gut. Aber natürlich wolle sie auch einmal arbeiten. „Die Frage ist nur, wo.“ Ihr Mann sei Deutscher. Auch die Kinder, ein elfjähriger Sohn sowie eine dreijährige Tochter, sprechen die Sprache gut. Aber: „Zu Hause reden wir Russisch“, gibt 35-Jährige zu.

„Genau das ist das große Problem“, sagen Gisela und Dietrich Schilder. Die beiden 74-Jährigen sind Lehrer im Ruhestand und leiten seit April einen Integrationskurs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) für Asylbewerber und Spätaussiedler an der Volkshochschule (VHS) Döbeln. „Den Teilnehmern muss klar werden, dass Deutsch jetzt ihre Muttersprache ist, wenn sie hierbleiben wollen“, betont Dietrich Schilder.

Das muss auch Mojtaba Kazemian lernen. Der 29-jährige Iraner lebt seit 18 Monaten in Deutschland, bewohnt mit drei anderen ein Zimmer in der Döbelner Gemeinschaftsunterkunft an der Friedrichstraße. Das Leben dort sei schwer, er komme kaum zum Schlafen, weil es immer so laut sei. Die vielen Kulturen, die in dem Haus zusammenkommen, führten oft zu Problemen. Bevor Kazemian nach Deutschland kam, habe er nur ein bisschen Deutsch gesprochen. Er will nach dem Kurs sein Studium fortsetzen. Doch auch er spricht, wie die anderen Teilnehmer, mit Landsleuten in seiner Muttersprache.

Trotzdem haben die jungen Männer und wenigen Frauen in dem Kurs schon viel gelernt. Eine von den Leitern durchgeführte Zwischenprüfung zum Sprachniveau A1 hätten alle bestanden. Das freut auch Irina Hesse, die für die VHS in Döbeln zuständig und für die Integrationskurse verantwortlich ist. Bis Dezember sollen die 24 Teilnehmer, überwiegend aus Döbeln, vereinzelt aus Waldheim und Roßwein, die Fähigkeiten erreicht haben, um eine Prüfung zum Sprachniveau B1 abzulegen. Diese nehmen vom Prüfungszentrum TELC zertifizierte Dozenten ab. „Die Prüfung wird nicht leicht. Es werden nicht alle bestehen“, schätzt Gisela Schilder ein.

Die Kurse seien kein „Spaß“, betont die Lehrerin, die einst an der Grundschule in Knobelsdorf sowie am Schulzentrum „Am Holländer“ in Döbeln-Nord tätig gewesen ist. Einige würden auch immer wieder fehlen. „Wir sind verpflichtet, dem Jobcenter Unregelmäßigkeiten anzuzeigen“, sagt Irina Hesse. Als Leistungsbezieher verpflichtet das Jobcenter die Teilnehmer zu einem solchen Kurs. Kommen sie dem nicht nach, drohen Sanktionen. Aber wenn sich die Teilnehmer einen Krankenschein geben lassen, könne Hesse nichts machen. Doch manchmal ist es nicht nur die Unlust, die für leere Stühle in dem Kurs sorgt. „Einige haben ganz schlimme Hintergründe. Müssten eigentlich betreut werden. Aber da passiert zu wenig“, meint Gisela Schilder.

Für das Paar zusammen ist es der erste derartige Integrationskurs. Dietrich Schilder leitet bereits seinen 14. Kurs an der VHS. Er hat schon zu DDR-Zeiten Vietnamesen, später die Russlanddeutschen unterrichtet. Das Ehepaar, das sich die Honorierung für die eine Dozentenstelle teile, ist für die Schüler oft mehr als nur Sprachvermittler. Vor allem er hilft oft beim Ausfüllen von Anträgen, Verstehen von amtlichen Schreiben und Formularen. „Darum müssten sich eigentlich Sozialarbeiter kümmern“, so Gisela Schilder. Dass sich ihre Arbeit trotzdem lohnt, zeigen einige Beispiele von Teilnehmern aus Einsteigerkursen der Vergangenheit. Schilders wissen von zwei Männern, die inzwischen studieren, einem, der bei einem Döbelner Tischler arbeitet.

Sechs Stunden pro Tag unterrichtet das Ehepaar von Montag bis Donnerstag. Hinzu kommt die Zeit für Vor- und Nachbereitung. „Das ist anstrengend. Wir müssen jetzt die Reißleine ziehen. Wir werden beide 75. Das ist unser letzter Kurs“, sagt Gisela Schilder. Die nachfolgenden Kurse stehen deswegen jedoch nicht auf der Kippe. „Wir haben ausgebildete Kursleiter da“, sagt Irina Hesse. Ein Kollege unterstützt Schilders schon jetzt einmal pro Woche.

Unter dem Dach der VHS wird in regelmäßigen Abständen ein Integrationskurs durchgeführt. Die VHS wechselt sich dabei mit anderen Bildungsträgern, wie zum Beispiel den Eckert-Schulen sowie dem Bildungswerk der Sächsischen Wirtschaft in Döbeln, ab. Der Hintergrund: „Wenn alle gleichzeitig einen Kurs anbieten, dann sind nicht genug Leute da, um jeden zu füllen“, schildert Hesse das Problem. In Großstädten wie Dresden oder Leipzig gebe es da keine Schwierigkeiten. In der ländlichen Region haben sich die Bildungsträger daher 2016 auf eine Kooperation geeinigt.

Für die Leiterin der Döbelner Volkshochschule bedeuten die Kurse vor allem viel zusätzliche Arbeit. „Sie sind sehr betreuungsintensiv“, meint Irina Hesse. Auch die Räumlichkeiten der VHS im Beruflichen Schulzentrum Döbeln-Mittweida seien nicht optimal. Für 24 Kursteilnehmer ist der Raum zu klein. Das sagen auch die Lehrer. Eine Alternative fehlt aber derzeit.