Merken

Was wir Menschen alles von Vögeln lernen können

Nur lächeln können sie nicht: Der Autor und Landwirt Ernst Paul Dörfler erklärt bei seiner Lesung in Dresden, warum Vögel uns in mancher Hinsicht überlegen sind.

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
© momentphoto.de/bonss

Von Wolfgang David

Können Vögel irgendetwas nicht? Dem vorliegenden Buch zufolge: wenig. Unsereins ist bei Tempo 30 hellwach, Mauersegler schlafen dann – im Flug! Gerade flügge geworden, sind sie gut anderthalb Jahre ohne Zwischenlandung in der Luft. Vögel sehen weiter und schärfer als wir, selbst im für uns unsichtbaren UV-Bereich. Sie hören exzellent und schützen sich mit Bordmitteln sogar vor Alterstaubheit. Ihr Gedächtnis ist vorzüglich – manche Arten zählen neben Delfinen und Schimpansen zu den Intellektuellen unter den Tieren. Und was können sie nicht? Lächeln und Lachen, jedenfalls sieht man es ihnen nicht an.

Viel gelächelt und gelacht wurde hingegen, als der Autor sein Werk am Donnerstag im Hörsaalzentrum der TU Dresden vorstellte. Vögel, schwärmt er, seien die in mancher Hinsicht besseren Menschen. Sie flögen, da sie nur erneuerbare Energiequellen und nachwachsende Rohstoffe nutzten, klimaneutral, hätten die Wärmedämmung perfektioniert, seien manchen Zeitgenossen in puncto Körperpflege Vorbild und – etwa, indem sie beim Füttern fremder Küken aushelfen – solidarischen Verhaltens fähig. Australische Zebrafinken, erfuhren die zahlreich erschienenen Zuhörer, piepsen eine Art Wetterwarnung ins Ei. Ist es beispielsweise ungewöhnlich heiß, können sich die Embryos dank dieser Info so optimieren, dass sie nach dem Schlüpfen gegen die Hitze gewappnet sind.

Erpel, diese Unholde

Familienpolitisch stünden Vögel dem Menschen näher als dessen meist bindungsscheue Mitsäuger. Die Partnerschaftsmodelle reichen von einer Quartalsbeziehung, die dem Nachwuchs eine von Trennungsquerelen freie Kindheit ermöglicht, bis zur Fernehe der Mauersegler: Die ziehen, wenn die Kleinen aus dem Nest sind, jeder für sich nach Süden und kommen erst nach der Rückkehr wieder als Eltern zueinander. Als sei das nicht schon bemerkenswert genug, leben sie in diesem Dreivierteljahr auch noch enthaltsam.

Erzwungener Sex ist bei den meisten unserer gefiederten Freunde ausgeschlossen. Wegen ihres, mit Verlaub, kümmerlichen Fortpflanzungsorgans sind Männchen bei der Begattung auf die Mithilfe der Partnerin angewiesen. Ausgenommen Erpel, die – unklar, was sich Mutter Natur dabei gedacht hat – einen veritablen Penis besitzen und in der Paarungszeit zu wahren Unholden werden.

Die Hast, mit der Vögel kopulieren, ist im Tierreich nicht ungewöhnlich. Bei den von Fressfeinden bedrohten Spatzen dauert der Akt Bruchteile einer Sekunde, worauf er im Minutentakt wiederholt wird. Adler, die sich alle Zeit der Welt lassen könnten, kommen auch nur – oder immerhin – auf zehn Sekunden. Rätsel gibt da eine Rohrsängerart auf, die es eine Dreiviertelstunde lang treibt. Fragen wären auch an manche Spechtdamen zu richten, die nach einschlägigem Lebenswandel die Sorge für zwei (!) Gelege an die jeweiligen Väter delegieren.

Der promovierte Chemiker Ernst Paul Dörfler hatte in der DDR eine solide Karriere vor sich. Den Bauernsohn zog es jedoch in die Natur. Sein Einsatz für den Umweltschutz weckte den Argwohn des MfS, das ihn sogar abhörte. Bundesweit bekannt machte ihn seine informelle Patenschaft über den Fluss, der vor seiner Haustür fließt: die Elbe. Auch als Buchautor hat er längst einen Namen.

Es geschieht nicht oft, dass ein ausgewiesener Experte derart herausfordernd gegen die Mahnung der Wissenschaftspuristen anschreibt, Tiere nicht „zu vermenschlichen“. Was Dörfler daran ärgert, ist, dass auf diese Weise Grenzen verteidigt werden, die, obwohl sie seit Langem löchrig sind, Grausamkeiten an Tieren als Bagatelle erscheinen lassen. Denn in dem Maße, in dem wir ihnen Merkmale absprechen, die wir, wie Individualität, nur uns zubilligen, werden wir uns weiterhin guten Gewissens an ihnen versündigen können. Umgekehrt gilt, dass vernunftgeleitetes „Vermenschlichen“ von Tieren Voraussetzung einer neuen Ethik ist, die, heute noch belächelt, Kommenden einmal selbstverständlich sein wird.

Gefiederte Über-Menschen

Dafür wirbt der Autor, wobei er zuweilen übers Ziel hinausschießt. So, wenn es heißt, Menschen hätten die Moral erfunden, Vögel praktizierten sie – was diese zu Über-Menschen stilisiert. Oder ihnen ob ihrer ressourcenschonenden Lebensweise ökologische Kompetenz bescheinigt – wo sie zu Raubbau an der Natur doch gar nicht in der Lage wären. Nicht mal Heuschrecken sind es, und die tun ja, was sie können. Dass sie dem Wachstumswahn abhold sind, sich nicht mit fremden Federn schmücken oder Ehrenämter übernehmen: Dergleichen könnte zur Manier werden, nähme nicht der Wissenschaftler Dörfler sein vogelnärrisches Alter Ego immer wieder an die Hand. Aus dem Zusammenspiel dieser beiden bezieht das Buch seinen besonderen Reiz.

Im Plauderton Fakt auf Fakt schichtend, lässt der Autor kaum eine Frage ohne Antwort. So, warum Vögel trotz eines schwankenden Nahrungsangebotes nie vom Jo-Jo-Effekt betroffen sind, wie sie altern und träumen, warum Zugvögel, nachdem sie es schon mal bis „in den Süden“ geschafft haben, nicht gleich dort bleiben und inwiefern manche Arten Profiteure des Klimawandels sind. Wie lohnend die Begegnung mit Vögeln sein kann, vermittelt das Buch auf zuweilen überraschende Weise. Einmal glückte es Dörfler, einen Kuckuck 110-mal hintereinander rufen zu hören. Für eine derart günstige Prognose muss man bei einem ordentlichen Hellseher tief in die Tasche greifen.

Das Buch: Ernst Paul Dörfler: Nestwärme. Was wir von Vögeln lernen können. Hanser Verlag, 288 Seiten, 20 Euro