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Es knallt selten im Revier

Fernsehkrimis täuschen: Polizeibeamte greifen kaum zur Pistole. Wenn doch, wird meist auf Wildtiere geschossen.

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© Friso Gentsch/dpa

Von Ralph Schermann

Görlitz/Niesky. Ist da wer? Zwei Görlitzer Polizisten haben einen Verdächtigen in einen dunklen Hausflur verfolgt. Die Uhr zeigt Mitternacht, das Hauslicht ist defekt, und irgendwo raschelt es. Die Beamten legen die Hand an die Waffe. Das könnte der Beginn eines Krimis sein und ist doch nur Routine. Denn mehr als der Griff an die Pistolentasche, diese vorbeugende Form der Eigensicherung, passiert kaum. Eigentlich fast nie. „Dass die Bürger das manchmal anders vermuten, liegt am Fernsehen“, überlegt Dirk Linczmajer, der Leiter des Polizeireviers in Görlitz, das auch für Niesky zuständig ist.

Wahrlich: Im sonntäglichen „Tatort“ wird geschossen und gestorben wie nirgends. Die tatsächliche Polizeiarbeit rückt so in ein völlig falsches Bild: Weniger als ein Prozent aller Schüsse aus Polizeipistolen richten sich gegen Menschen, hat Marcel Müller von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) publiziert. Pro Jahr schießen Bundes- und Landespolizeibeamte bundesweit etwa 10 000 mal. Die meisten Schüsse, so Müller, gelten Tieren. „Das ist auch in Görlitz und Niesky so“, bestätigt Dirk Linczmajer: „Jährlich etwa 40 bei Unfällen schwer verletzte Wildtiere erlösen wir mit einem Fangschuss, wenn der zuständige Jagdpächter nicht schnell genug dazukommen kann.“ Die Schüsse gelten Rehen und Kleinwild, seltener Wildschweinen. Gegen Kühe oder Pferde dagegen wäre eine Pistole nicht das Mittel der Wahl, schon gar nicht gegen solche Exoten wie den vor einigen Jahren auf dem Görlitzer Zirkusplatz ausgebüxten Tiger.

Um auf Menschen zu schießen, sind von den Polizeibeamten zahlreiche Bestimmungen einzuhalten. Deshalb werden alle Polizisten nicht nur mindestens einmal im Quartal in einer Übungsanlage, meist in Bautzen, in der Handhabung ihrer 9-mm-Pistole P7 (Heckler & Koch) geschult, sondern auch immer wieder über die Voraussetzungen des erlaubten Schusswaffengebrauchs unterrichtet. Grundsatz ist dabei, dass erst dann auf Personen geschossen werden darf, wenn die Waffenwirkung gegen Sachen keinen Erfolg hat und auch andere Hilfsmittel wie Schlagstöcke nicht zum Ziel führen. „Das sind freilich alles Einzelfallentscheidungen, die der Beamte vor Ort allein treffen muss“, gibt Polizeioberrat Linczmajer zu bedenken. Reicht noch die Zeit für einen Warnschuss vorab? Ist eine Bedrohung des Lebens anderer so unmittelbar, dass sofort geschossen werden muss? Alles Fragen, die im Krimi jeden Sonntag vorkommen. „Bei uns zum Glück kaum, denn kein noch so gut geschulter Polizist wird gern auf Menschen schießen“, ergänzt der Revierleiter. Mehr noch: Nach Schusswaffengebrauch wird in der Regel auch gegen den Beamten ermittelt, bis dessen richtiges Handeln durch Zeugenaussagen und Rekonstruktionen belegt ist.

Zum Schusswaffenrecht

Gegen Personen dürfen Polizisten Schusswaffen nur richten, um die direkt bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer Tat zu verhindern, die den Umständen nach ein Verbrechen ist oder ein Vergehen mit Schusswaffen oder Sprengmitteln.

In diesen Fällen darf auch geschossen werden, um entsprechende Personen an der Flucht zu hindern.

Ein tödlicher Schuss ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel ist, eine akute Lebensgefahr abzuwenden.

Schießen verboten ist immer dann, wenn Unbeteiligte gefährdet würden.

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Schusswaffenanwendung findet sich nicht nur äußerst selten in den regionalen Polizeimeldungen, „es gibt auch die Tendenz, dass selbst die wenigen Fälle bei uns zurückgehen“, informiert Linczmajer. Zwar gäbe es für besondere Lagen auch die Möglichkeit, mit Maschinenpistolen vom Typ MP5 auszurücken, doch tatsächliche Fälle sind selten. Solche Waffen hatten einige Revierbeamte letztmals bei einer Geiselnahme im Görlitzer Gefängnis 2010 dabei. Spektakuläre Pistolenschüsse fielen zuletzt 2014 bei Hagenwerder auf das Auto eines flüchtigen Räubers. Das reicht für den wöchentlichen Tatort noch lange nicht. Auch der Verfolgte im Hausflur entpuppt sich harmlos als Mieter. Der Griff ans Holster war dennoch richtig: Eigensicherung geht vor, denn man weiß ja nie...