Herr Mansour, was haben die Gewalttaten von Würzburg und Ansbach mit dem Islam zu tun?

Meiner Meinung nach hat ein bestimmter Islam viel damit zu tun. Psychologische und soziale Faktoren spielen zwar ebenso eine Rolle. Wer jedoch Menschen mit einer Axt angreift oder sich während eines Konzerts in die Luft sprengt, tut dies im Namen einer Ideologie, die auf einem bestimmten Verständnis des Islam beruht.
Warum rebellieren muslimische Jugendliche nicht gegen althergebrachte Regeln ihrer Religion, die ihre persönliche Freiheit enorm einschränken?
Teile davon tun das, der andere Teil wird religiöser. Sie sind anders aufgewachsen und mit anderen Erziehungsmethoden groß geworden.
Aber auch die Jugendlichen, die hier zur Schule gehen, stellen die rigide Erziehung selten infrage.
Der westliche Lebensstil wird in manchen muslimischen Familien stark abgewertet. Deutsch zu sein ist ein Schimpfwort. Sexuelle Selbstbestimmung, Gleichberechtigung wird nicht als etwas Positives empfunden, sondern ist stark negativ belegt. Solche muslimische Eltern haben Angst, ausgeschlossen zu werden, wenn sie sich bei der Erziehung nicht nach den traditionellen Werten richten. Sie können nicht erwarten, dass Menschen Kritikfähigkeit gegenüber ihrer eigenen Kultur entwickeln, wenn sie in einem patriarchalisch geprägten System groß geworden sind, in dem Gehorsam an oberster Stelle steht.
Der Einfluss der Eltern und der religiösen Gemeinschaft ist sehr viel stärker als der Einfluss der Schule, der Medien und der nicht-muslimischen Freunde?
Wir dürfen nicht vergessen, dass es einem Teil der jungen Menschen durchaus gelingt, sich zu emanzipieren und einen eigenen Weg zu gehen. Es gibt aber eine große Gruppe von Jugendlichen, die im Stich gelassen wird. Die Lehrer sind mit deren Problemen häufig überfordert und können dem Druck der Eltern nichts entgegensetzen. Die Werte, die in der Schule vermittelt werden, stoßen zu Hause auf strikte Ablehnung. Die Eltern verbieten unter Berufung auf die Religionsfreiheit ihren Töchtern, am Schwimmunterricht oder an Klassenfahrten teilzunehmen, und niemand unternimmt etwas dagegen. Die Schulen erhalten bei diesen Auseinandersetzungen von der Politik nicht die nötige Unterstützung. Da kann man nicht erwarten, dass sie die Kinder in die Lage versetzen, sich zu Hause gegen Missstände aufzulehnen.
Was muss Ihrer Ansicht nach getan werden?
Die Schulen müssen in die Lage versetzt werden, sich auf diese Schüler einzustellen. Das erfordert mehr Zeit und mehr Personal. Wertevermittlung in den Klassenzimmern ist wichtiger als Deutsch und Englisch. Die Schulen müssen sich mit den Themen auseinandersetzen, die diese Schüler bewegen und kritisches Denken fördern. Es gibt keine Alternative, keinen anderen Weg, wir müssen das jetzt tun. Wenn muslimische Jugendliche sich für den Nahost-Konflikt oder den Krieg in Syrien interessieren, informieren sie sich nicht über die öffentlich-rechtlichen Medien, sondern nutzen das Internet und die sozialen Medien. Dies sind aber rechtsfreie Räume geworden. Wir müssen diese Räume zurückgewinnen und sie nicht den Radikalen überlassen. Ich will nicht den Eindruck erwecken, ich nehme nur die Schulen, die Behörden und die Politik in die Pflicht. Ich erwarte von Flüchtlingen, Migranten und Muslimen die Bereitschaft, ihren Teil beizutragen. Es muss auch klar sein, dass derjenige, der gegen diese Gesellschaft arbeitet und die Erwartungen nicht erfüllen will, mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen hat.
Welche Rolle spielen die muslimischen Verbände, wie zum Beispiel der Zentralrat der Muslime?
Ich predige seit Langem, dass die muslimischen Verbände und deren Lobbyisten nicht genug für die Integration tun. Es reicht mir nicht, wenn sie sich von den Anschlägen distanzieren oder ständig darauf verweisen, dass die Anschläge nichts mit dem Islam zu tun haben. Das ist Bullshit. Ich erwarte, dass sie für einen Islam eintreten, der ohne Wenn und Aber hinter der Demokratie und den Menschenrechten steht. Ich erwarte, dass sie klare Worte zur sexuellen Selbstbestimmung sagen. Ich erwarte, dass sie die westliche Lebensweise nicht abwerten. Die Verbände können nur dann Teil der Lösung sein, wenn sie es den Jugendlichen ermöglichen, deutsch und muslimisch zu leben.
Und die Eltern?
Mir hat eine Mutter in einem Gespräch gesagt, ich will mein Kind schlagen, das ist gut für die Erziehung. Wenn ich solchen Müttern erkläre, was Gewalt mit den Kindern macht, fangen sie oft an zu weinen. Dann wird ihnen klar, was ihre Eltern ihnen angetan haben und was sie ihren Kindern antun. Wir brauchen mehr Aufklärungskampagnen und Dialogplattformen. Wir müssen uns von der naiven Vorstellung verabschieden, dass die Integration funktioniert, wenn wir den muslimischen Verbänden möglichst viel Geld zur Verfügung stellen. Diese Akteure sind verantwortlich für die Entstehung von Parallelgesellschaften. Sie aufzuwerten, wäre fatal.
Die deutsche Sprache lernen, sich für einen Beruf qualifizieren, die Werte des Grundgesetzes akzeptieren – das sind die Grundpfeiler der Integrationsdebatte in Deutschland. Ist das ausreichend?
Ich stelle mir unter Integration etwas anderes vor. Sich zu integrieren heißt nicht nur, Sprache lernen, arbeiten und nicht kriminell werden. Integration heißt, die Werte, diese Gesellschaft zu verinnerlichen. Es genügt nicht, das Grundgesetz auf arabisch zu übersetzen. Der Jugendliche, der in Würzburg Touristen mit einer Axt schwer verletzt hat, lebte in einer Pflegefamilie und hatte einen Ausbildungsplatz in Aussicht. Woher kam bei ihm der Hass auf Nicht-Muslime? Wir erleben gerade in diesen Tagen, wie sich Tausende Türken, die die Türkei nur als Urlaubsland kennen, kritiklos hinter Präsident Erdogan stellen. Was ist das für ein Demokratieverständnis, das diese Menschen in sich tragen?
Was bedeutet vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte interkulturelle Kompetenz für Sie?
Interkulturelle Kompetenz heißt für mich, dass ein Lehrer versteht, was Ramadan, Islam und Zuckerfest für Schüler bedeutet, Sich für ihre Biografien zu interessieren und ein Wir-Gefühl zu vermitteln. Interkulturelle Kompetenz bedeutet für mich, dass die Menschen auf der Straße mich nicht als Ausländer wahrnehmen, sondern als Teil dieser Gesellschaft. Es wird aber vieles als interkulturelle Kompetenz verkauft, was in Wahrheit nur dazu dient, eine bestimmte Lebensweise in Deutschland zu installieren. Es hat mit interkultureller Kompetenz nichts zu tun, wenn wir Lehrerinnen erlauben, mit Kopftuch vor der Klasse zu stehen. Es ist auch nicht akzeptabel, wenn während des Ramadan reihenweise muslimische Schüler umkippen, weil sie tagsüber nicht trinken dürfen und die Schulbehörde es Lehrern untersagt, die Kinder zum Trinken anzuhalten – aus Rücksicht auf die Eltern. Wo bleibt der Respekt vor den Kindern?
Das Gespräch führte Karin Schlottmann