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Explosive Dippoldiswalder Heide

Der Räumtrupp stößt noch immer auf Weltkriegsmunition und Waffen. Das meiste geht nach Zeithain.

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© Katja Frohberg

Von Annett Heyse

Die Tafeln, die an den Bäumen entlang des Forstweges hängen, sind unmissverständlich: „Betreten verboten“ ist darauf zu lesen. Und: „Munitionsbelastung“. Der Wald dahinter sieht aber alles andere als gefährlich aus. Fichten wiegen sich im Winterwind, dürres Gras vom vergangenen Sommer raschelt, ein paar Wildspuren sind in den abschmelzenden Schneeresten zu sehen. „Dem Wald geht es wirklich prima, die Bäume wachsen und es gibt hier auch viele Wildschweine“, witzelt Thomas Lange. Lange ist Polizist, genauer gesagt: Sachsens bekanntester Bombenexperte und Chef des Kampfmittelbeseitigungsdienstes. Und als solcher braucht er, wenn er an die Dippoldiswalder Heide denkt, besonders viel Humor. Der Forst zwischen Rabenau, Malter und Dippoldiswalde ist zu seinem Sorgenkind geworden.

Dicht unter der Grasnarbe liegt tonnenweise Munition, kreuz und quer verteilt über große Teile des Waldgebietes. Patronen, Granaten, Waffen lagern am Diebsgrundteich, auf den Flächen am Steinernen Messer, am Antonsweg zwischen Heidemühle und Bundesstraße. Zweieinhalb Jahre schon ist im Auftrag der sächsischen Polizei ein privater Räumdienst in der Heide damit beschäftigt, die Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs zu entsorgen.

Waffennarren suchten heimlich

60 Tonnen Munition – acht Lkw-Ladungen – hat man bisher aus dem Wald geholt: unter anderem 254 Waffen ausgebuddelt, 24 500 Patronen für Maschinengewehre und Pistolen gefunden sowie 140 Handgranaten geortet. „Und ein Ende ist nicht absehbar“, sagt Thomas Lange. Auch 2016 wird wohl weitergeräumt. „Ob wir dann durch sind, können wir erst in einigen Monaten sagen.“

Am Anfang, im Herbst 2013, sah es nach einer Routinearbeit aus. „Immer wieder hatte es Hinweise aus der Bevölkerung zu Munitionstourismus gegeben“, erinnert sich Lange. Zeugen hätten von zugeparkten Waldwegen an den Wochenenden erzählt, von Sondengängern und Männern mit Spaten. „Wir mussten etwas unternehmen.“ Schon bei der ersten Stippvisite vor Ort gruben Lange und seine Kollegen Maschinengewehre aus. Ab September wurde die Heide systematisch abgesucht. Bis Jahresende, so hieß es damals. Aus den drei bis vier Monaten sind zweieinhalb Jahre geworden. Lange: „Ich habe das auch unterschätzt. Mit solchen Mengen Munition haben wir nicht gerechnet.“

Warum nicht bereits vor Jahrzehnten das Problem angepackt wurde, kann sich Lange nicht erklären. Alles, was er in den Archiven dazu gefunden hat, sind alte Räumprotokolle aus der Nachkriegszeit. „Damals wurde in der Dippoldiswalder Heide Munition geborgen.“ Warum nicht alles abtransportiert, sondern ein Großteil einfach liegen gelassen wurde, ist unklar.

Belasteter Wald

Klar ist hingegen inzwischen, warum der Wald derart belastet ist. Kurz vor Kriegsende flohen Wehrmachts- und SS-Truppen Richtung Erzgebirge, lagerten dabei auch in der Heide. Als die Kapitulation am 8. Mai bekannt gegeben wurde, kippten die Soldaten ihre Ausrüstung kurzerhand in den Wald oder ließen die Kisten mit Patronen und Granaten an Ort und Stelle stehen. Einige Munition vergruben sie. Später kamen Einheimische und holten sich, was sie gebrauchen konnten. Die Kisten zum Beispiel. Der Inhalt wurde ausgekippt. „Ich habe bei einem Anwohner auf dem Dachboden die Munitionskisten noch stehen sehen“, erzählt Lange. Nach den Einheimischen kam die Rote Armee in das Waldgebiet. Die Russen schafften Ende der Vierziger-, Anfang der Fünfzigerjahre Munition aus Wehrmachtsbeständen in die Heide und sprengten das Material. Warum nicht alles – auch das wird wohl nie geklärt werden. Fakt ist: Die Sprengungen haben die Situation eher verschlechtert. „Wir haben mehrere Sprengplätze gefunden, dort liegen die Splitter in großen Umkreis verstreut“, berichtet Thomas Lange. Dies sammle man nun mühevoll ein – alle kleinen Überreste aber wird man nicht finden.

Pilzsammler nicht in Gefahr

Das ist auch nicht das Ziel der Arbeit. Der Räumdienst soll den Wald so absuchen, dass keine Sprengkörper oder Waffen mehr im Boden liegen. Ohnehin gehe von der Munition keine Gefahr aus, so Lange. „Erst wenn man in den Boden eingreift und mit dem Zeug hantiert, könnte eine Detonation ausgelöst werden.“ Wer nur in der Heide spazieren gehe oder Pilze sammle, sei niemals gefährdet.

Allerdings ist da immer noch die Sache mit den Bomben. Es war im November 2013, als die Suchgeräte des Räumdienstes plötzlich heftig anschlugen. Den Männern war sofort klar, dass sie auf etwas Großes gestoßen sein mussten. Vorsichtig gruben sie die Stelle an. Im Boden steckte eine amerikanische Fliegerbombe, bestückt mit 250 Kilogramm Sprengstoff. Es blieb nicht die Einzige. Denn am 17. April 1945 waren beim Angriff auf Dresden über der Heide zwei Flugzeuge zusammengestoßen und abgestürzt. Historiker gehen davon aus, dass jede Maschine 14 Bomben geladen hatte. 23 sind inzwischen gefunden und entschärft. Und der Rest? Thomas Lange runzelt die Stirn. „Wir haben zwei Bombentrichter gefunden und gehen davon aus, dass sie in Zusammenhang mit den Flugzeugabstürzen stehen.“ Fehlen noch drei Bomben. Die Suche geht weiter.