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„Extrem aggressiv und gewaltbereit“

Bei Dynamos Gastspiel in Bielefeld hinterlassen etwa 250 Kriminelle eine Spur der Verwüstung. 17 Polizisten werden verletzt.

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Von Sven Geisler

Olaf Janßen ist geknickt, was nicht am Ergebnis liegt. Mit dem 1:1 bei Arminia Bielefeld hatte sich der Trainer des Fußball-Zweitligisten Dynamo Dresden schnell abgefunden, mit den schweren Ausschreitungen jedoch nicht. „Wenn man diese Meldungen hört von Polizisten, die ihren Dienst tun und dabei verletzt werden, macht mich das traurig, und dafür schäme ich mich auch“, sagt der 47-Jährige noch am Freitagabend.

Polizeipräsenz auch im Stadion. Insgesamt 880 Beamte sind bei Dynamos Premiere in Bielefeld im Einsatz, 17 von ihnen werden durch Gewalttäter verletzt. Eine traurige Bilanz.
Polizeipräsenz auch im Stadion. Insgesamt 880 Beamte sind bei Dynamos Premiere in Bielefeld im Einsatz, 17 von ihnen werden durch Gewalttäter verletzt. Eine traurige Bilanz. © dpa

Am Tag danach schließt sich der Verein mit einer Pressemitteilung „zutiefst beschämt“ dem Chefcoach an. „Das Ausmaß der Gewalt macht uns fassungslos“, erklärt Geschäftsführer Christian Müller. „Wieder haben in Schwarz-Gelb auftretende Gewalttäter dafür gesorgt, dass wir als Dynamo mit Krawallen, Ausschreitungen, Diebstahl und sogar schwerer Körperverletzung in Verbindung gebracht werden.“

Die traurigen Fakten aus der Polizeibilanz: Nach der Ankunft des vom Verein organisierten Sonderzuges aus Dresden mit rund 800 Anhängern versuchten 200 bis 250 von ihnen, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Die Beamten setzten Pfefferspray und Schlagstock ein. Eine Polizistin und drei Polizisten wurden dabei leicht verletzt. Polizeidirektor Dirk Butenuth, der den Einsatz leitete: „Die üblicherweise durch die Bielefelder Polizei angewandte freundliche Begrüßung am Bahnhof scheiterte aufgrund des von vornherein extrem aggressiven und gewaltbereiten Verhaltens Dresdner Fans.“ Deeskalierende Kommunikation habe nichts gebracht. Nach Informationen der SZ haben auch maßgebliche Vertreter der Ultras vergeblich versucht, auf den Mob einzuwirken.

Auf dem Weg zum Stadion wurden die Beamten der Bundes- und Landespolizei massiv angegriffen, die Täter unter den Dynamo-Fans entrissen ihnen vier Reizgassprühgeräte und setzten diese gegen die Polizei ein. Dabei wurden neun Beamte verletzt, zwei so schwer, dass sie in einer Bielefelder Augenklinik behandelt werden mussten. Ein Polizist wurde von einem Stein am Kopf getroffen, einer trug bei einem Handgemenge um einen von den Randalierern zuvor im Kino geklauten Feuerlöscher Blessuren davon. Insgesamt wurden 17 Polizisten verletzt. Ein Pferd erlitt eine Schnittwunde. Über die Zahl der verletzten Dynamo-Anhänger wurden keine Angaben gemacht. Wie es aus Fankreisen heißt, wurden vor allem durch den Einsatz von Pfefferspray auch Dresdner getroffen, von denen keine Gewalt ausgegangen war.

Die Chaoten randalierten und plünderten auch in einem Supermarkt, überfielen im Stadion zwei Catering-Stände und stahlen die Geldkassetten. Sie beschädigten drei Funkstreifenwagen, mehrere geparkte Autos und eine Haustür. Außerdem wurde massiv Pyrotechnik abgefeuert. Laut Polizeisprecher Achim Ridder wurden fünf Personen vorläufig festgenommen, aber nach Feststellung der Personalien wieder freigelassen. 22 Strafanzeigen wurden gestellt wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung und Abbrennen von Feuerwerkskörpern. Müller bittet alle Verletzten und Gewaltopfer „im Namen des Vereins um Entschuldigung“. Zudem sichert er den Behörden eine enge Zusammenarbeit bei der Ermittlung der Täter zu, „damit diese zur Verantwortung gezogen werden“.

Nach ähnlichen Ausschreitungen waren die Schuldigen oft ungestraft davongekommen; beispielsweise nach den Angriffen auf fünf Busse in Kaiserslautern im Februar. Danach wurden zwar bei sieben Verdächtigen aus dem Raum Dresden Wohnungen durchsucht, aber die Ermittlungen Ende Oktober „mangels eines für eine Anklageerhebung ausreichenden Tatverdachts eingestellt“, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Bleh erklärte.

Auch das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) stellte dieses sowie zwölf weitere Verfahren gegen Dynamo Ende November gegen Zahlung von 30.000 Euro ein. Zudem wurde das Vorstrafenregister zurückgedreht. Im Gegenzug hatte sich der Verein bereit erklärt, auf eine Zivilklage gegen den Ausschluss aus dem DFB-Pokal zu verzichten. Dieser maßgeblich von der aktiven Fanszene während der Mitgliederversammlung initiierte Kompromiss sollte die für Dynamo existenzbedrohende Spirale immer härterer Strafen stoppen und einen Neuanfang ermöglichen.

Dass die Gewalttäter das als Freibrief verstehen, um bei nächster Gelegenheit wieder zuzuschlagen, musste befürchtet werden. Die Polizei in Bielefeld sei darauf vorbereitet gewesen, sagte Pressesprecher Achim Ridder bei Radio Dresden, er räumte aber ein: „Trotz massiver Polizeipräsenz hatten wir Probleme.“ Insgesamt waren 880 Beamte an dem Einsatz beteiligt. Die in solchen Fällen meist aufgestellte Behauptung, die Polizei habe provoziert, wies er zurück. „Im Versuch, die Fangruppe geordnet, aber doch in lockerer Begleitung zum Stadion zu führen, kann ich keine Provokation sehen.“

In Zusammenarbeit mit den Behörden sei das Spiel auch von beiden Vereinen „sehr professionell, kooperativ und gewissenhaft vorbereitet worden“, erklärte Arminia-Geschäftsführer Marcus Uhlig nach der Partie. Dynamos Einsatz sei vorbildlich gewesen. „Mehr kann man nicht machen. Wenn man dann doch über so eine Bilanz des Schreckens sprechen muss, ist das einfach beschämend.“

Der DFB erwarte „erst einmal eine sofortige Reaktion und eindeutige Positionierung des Vereins, auch was die Pyro-Vorfälle im Stadion betrifft“, sagte der für Recht zuständige Vizepräsident Rainer Koch gestern Sport Bild Plus. „Es reicht nicht aus, wenn sich nur Geschäftsführer Christian Müller distanziert und entschuldigt. Da ist der Aufsichtsrat ebenso gefordert wie die Ultra-Gruppierungen.“ Auch Geschäftsführer Andreas Rettig von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) sprach Klartext: „Das Verhalten der sogenannten Fans von Dynamo Dresden ist mittlerweile untragbar geworden. Es kann nicht mehr reichen, sich nur davon zu distanzieren.“

Obwohl Dynamo nicht als Wiederholungstäter bewertet werden soll, droht eine empfindliche Geldstrafe. Der Verein habe bereits am Freitagabend begonnen, die Vorgänge zu analysieren, „um zeitnah Konsequenzen benennen zu können“, heißt es in der Pressemitteilung. Möglich wäre, Tickets für Auswärtsspiele nur noch an Mitglieder zu verkaufen.