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Die richtige Reaktion bei pubertärem Ungehorsam

Wut und Brüllen helfen nicht. Therapeutin Melanie Hubermann empfiehlt das Konzept der „Neuen Autorität“.

Von Susanne Plecher
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„Der Versuch, durch Machtausübung die Kontrolle wiederzugewinnen, erzeugt noch mehr Widerstand beim Kind“.
„Der Versuch, durch Machtausübung die Kontrolle wiederzugewinnen, erzeugt noch mehr Widerstand beim Kind“. © Ian Allenden/ 123rf

Maya hat keinen Bock auf das Grillfest mit Oma und Opa. Die 13-Jährige will sich viel lieber mit ihrer Freundin treffen, als gelangweilt zwischen alten Leuten herumzusitzen, von denen sich wahrscheinlich ohnehin keiner für sie interessiert. Ihre Mutter Beate will das nicht gelten lassen. Nach hitziger Diskussion rennt Maya in ihr Zimmer und schmeißt die Tür zu. Beate wird wütend, rennt hinterher, brüllt, verhängt Stubenarrest. Die Situation eskaliert völlig, die Stimmung ist im Eimer.

„Der Versuch, durch Machtausübung die Kontrolle wiederzugewinnen, erzeugt noch mehr Widerstand beim Kind“, erklärt Melanie Hubermann. Die Familien- und Paartherapeutin erlebt in ihrer Berliner Praxis immer wieder kompetente und liebende Eltern, die sich in der Pubertät ihrer Kinder als völlige Versager fühlen. Sie schildert ihre Geschichten in ihrem neuen Buch „Leuchtturmeltern“.

Verweigern, schwänzen, schlagen

Ähnlich wie Beate nach ihrem Wutausbruch geht es vielen anderen auch. Sie sind verunsichert und ratlos, weil sie kaum noch Zugang zu ihren Kindern finden und immer wieder abgewiesen werden. Oder weil ihre Kinder nicht hören, wild sind und ständig streiten. Hubermann hat Familien begleitet, in denen die Probleme noch ernsthafter sind, etwa, weil der 17-jährige Sohn kurz vor dem Abi wochenlang die Schule schwänzt. Richtig ans Eingemachte geht es bei Gabi und Boris. Sie haben Angst vor ihrem eigenen Kind. Der 14-Jährige wird ausfällig, beschimpft vor allem die Mutter unflätig und scheut auch vor Schlägen und Tritten gegen das Schienbein nicht mehr zurück.

Hubermann schildert die Problemlagen. Der Leser ist dabei, wenn die Lösung erarbeitet wird, kann nachvollziehen, welche Ideen funktioniert haben. Aufgeben – das Kind oder die eigene Beziehung zu ihm – ist nie eine Option. Eltern werden nicht mit Vorwürfen überzogen, sondern mit Empathie wahrgenommen. Für manche, die große Probleme mit ihren Pubertierenden haben, bringen die Geschichten sicher auch Erleichterung: Denn anderen geht es ähnlich.

Konzept der neuen Autorität

Hubermann zeigt, wie Eltern ihren Kindern in der Pubertät Orientierung geben können. Wie das Familienleben trotz hormoneller Stürme und schmerzhafter, aber notwendiger Abnabelungsprozesse stabil und friedvoll verlaufen kann. Für die Therapeutin ist klar: Mit autoritärer Erziehung, wie Beate es versucht hat, klappt das nicht. Wer auf Distanz, Furcht und Gehorsam setzt, bekommt vielleicht seinen Willen, treibt sein Kind aber von sich weg. Offene, vertrauensvolle Gespräche – das familiäre Gold am Küchentisch – sind so nicht zu haben. Weil Kinder ganz ohne elterliche Regeln aber verloren sind, kann die antiautoritäre Erziehung auch nicht die Lösung sein. Wer sich nie anpassen oder Rücksicht nehmen muss, sich immer frei entwickeln darf, sei schnell frustriert und tendiere, je nach Temperament, zu Grenzüberschreitung oder zu ängstlich-depressivem Rückzug. Das sei seit den Achtzigerjahren wissenschaftlich gut belegt, so Hubermann.

Die althergebrachten Strategien taugen also nichts. Hubermann ist selbst Mutter dreier Töchter. Sie hat das Konzept der „New Authority“, der neuen Autorität, für sich entdeckt und arbeitet seit mehreren Jahren damit. Entwickelt hat es der israelische Psychologe Idan Amiel. Er leitet die psychologische Elternberatungsstelle im größten Kinderkrankenhaus des Nahen Ostens. Er geht davon aus, dass eine gute Beziehung durch Bindung entsteht, nicht durch Unterdrückung. Folglich setzt sein Konzept auf Stärke, nicht auf Macht.

Warum das Eltern-Ich wichtig ist

Beate geht es mit ihrer Ansage nicht gut. Sie hat Macht demonstriert, sich dabei aber schwach gezeigt, weil ihr nichts anderes eingefallen ist. Sie hat ihr Kind vor den Kopf gestoßen. Eigentlich kann sie Maya verstehen, aber auf der Nase will sie sich auch nicht herumtanzen lassen. Sie spürt, wie sich ihre Tochter von ihr entfernt, und fühlt sich hilflos. Früher hat ihr kleines Mädchen immer gemacht, was sie sagte. Nun wird vieles hinterfragt, etliches abgelehnt. „Wir Erwachsenen können nur unser eigenes Handeln, Denken und unsere Gefühle kontrollieren, nicht aber unsere Kinder“, erklärt die Autorin.

Deshalb setzt sie bei den Eltern an. Sie will wissen, wie es ihnen geht, um zu verstehen, warum es zu Gebrüll und Überforderung kommt. Wie sehr stehen sie unter Druck? Was belastet sie? „Eltern“, so schreibt sie, „brauchen an erster Stelle eine starke Bindung zu ihrem eigenen inneren Ich.“ Wollen sie ihre Kinder gut begleiten, müssen sie selbstbewusst, selbstsicher und reflektiert sein. Nur wer weiß, wo er steht, wie es ihm geht, was ihm wichtig ist, sei in der Lage, sein Kind liebevoll und gelassen durch das Leben zu navigieren wie ein Leuchtturm durch stürmische See. Gibt es also nachhaltigen Stress mit dem Kind, fängt die Arbeit bei sich selbst an.

Akzeptiert wird, wer interessiert ist

Die Kernkompetenz von Eltern ist ihre Präsenz, sowohl die leibhaftige, als auch die mentale. Wer da und aufmerksam ist, zeigt Interesse und kommt ins Gespräch, ist die Autorin überzeugt. Das klappt natürlich nicht, wenn man in Gedanken immer noch bei der Arbeit ist oder ständig aufs Handy schaut, wenn des Kind etwas berichtet. Und das klappt auch nur schwer, wenn der Rahmen dafür fehlt, zum Beispiel das gemeinsame Abendbrot oder der Familienspaziergang. Schwierig wird es auch, wenn die Fragen der Eltern eher einem Verhör ähneln und immer die gleichen sind. Welcher Teenager will nach einem langen, anstrengendem Tag schon erzählen, was es zum Mittagessen gab oder wie es in der Schule war?

Ins Gespräch kommt, wer von sich selbst erzählt, auch von seinen Sorgen oder seinen Träumen oder nach konkreten Sachverhalten fragt. Ganz wichtig sind klare Strukturen, also Regeln, Rituale oder festgelegte Abläufe, die für alle Familienmitglieder gelten. Sie helfen, Grenzen zu setzen, und geben Sicherheit, wenn alles drunter und drüber zu gehen droht. Genausowichtig sind eine klare Haltung und Werte. „Sie sind das Fundament, auf dem ich als Vater oder Mutter entscheide, was ich für mein Kind richtig oder falsch finde. Was ich neu verstehen und womöglich neu verhandeln muss“, so Hubermann.

Mitreden und Mitentscheiden

Im Gespräch bleiben, kuscheln, gemeinsame Erlebnisse wie Sport, kleine Ausflüge oder Shopping, selbst Hausaufgaben am Küchentisch, während Vater oder Mutter noch am Rechner sitzt und arbeitet, sind kontinuierliche Beziehungsangebote. Diese kleinen und großen Gesten signalisieren, dass die Familie einen gemeinsamen Weg geht, dass die Eltern Interesse am Kind haben, dass es mitreden und mitentscheiden darf. „Dann trauen sich die Kinder auch, sich mit schwierigen Fragen und kritischen Themen an die Eltern zu wenden“, schreibt Hubermann.

Warum will Beate, dass Maya bei dem Grillfest dabei zu sein hat? Vermutlich, weil sie denkt, dass ihre Eltern es erwarten würden und sie sie nicht enttäuschen möchte. Außerdem will sie bestimmen, was gemacht wird. Was würde denn passieren, wenn Maya nicht da wäre? Die Großeltern wären wahrscheinlich traurig, sie würde fehlen. Wenn Mutter und Tochter diese Fragen gemeinsam vorwurfsfrei und offen besprechen, ist der Weg zu einem Kompromiss geebnet. Ein bis zwei Stunden mit den Großeltern, in denen man sich intensiv miteinander beschäftigt, sollten drin sein. Und danach ist Zeit für die Freundin. So kämen alle Beteiligten zu ihrem Recht. Keiner müsste sich übergangen oder elterlicher Willkür ausgesetzt sehen.

Melanie Hubermann: „Leuchtturmeltern. Wie wir Kindern in der Pubertät Orientierung geben.“ dtv, 250 Seiten, 18 Euro.