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Doppelt so viele junge Menschen onlinesüchtig wie vor Pandemie

Eine Untersuchung der DAK zeigt, dass Millionen Kinder betroffen sind. Eltern können das an mehreren Anzeichen erkennen.

Von Susanne Plecher
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Komplett abgetaucht: Headset, Laptop oder Handy gehören zu den meisten Jugendlichen inzwischen dazu. Aber wenn es für sie gar nichts anderes mehr gibt, wird es problematisch.
Komplett abgetaucht: Headset, Laptop oder Handy gehören zu den meisten Jugendlichen inzwischen dazu. Aber wenn es für sie gar nichts anderes mehr gibt, wird es problematisch. ©  dpa (Symbolfoto)

Morgens ist das Handy das Erste, nach dem sie greifen, abends gleitet es beim Einschlafen aus der Hand. Dazwischen liegen Stunden voller Instagram-Posts, Youtube-Filmchen, Be Reals oder Daddelei, gern auch am Tablet: Eltern Jugendlicher können ein Lied davon singen, wie der Nachwuchs von der digitalen Medienwelt förmlich aufgesogen wird.

Das ist nicht nur gefühlt so, sondern wissenschaftlich belegt. Am Dienstag haben die DAK-Gesundheit und das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) eine Längsschnittstudie vorgestellt, für die eine repräsentative Gruppe von Zehn- bis 21-Jährigen aus rund 1.200 Familien zu ihrem Umgang mit digitalen Medien befragt wurden. Und zwar drei Jahre in Folge in insgesamt fünf Wellen. Dieser Vergleich sei weltweit einzigartig, so die DAK.

Von welchen Zahlen ist überhaupt die Rede?

Betrachtet wurde der Zeitraum von 2019 bis 2022. In der Zeit der Pandemie hat sich der Studie zufolge die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland verdoppelt. Inzwischen sind mehr als sechs Prozent der Minderjährigen abhängig von Computerspielen und sozialen Medien. Damit haben über 600.000 Jungen und Mädchen ein pathologisches Nutzungsverhalten. Allein die Zahl der Computerspiel-abhängigen Kids hat sich von 2,7 Prozent im Jahr 2019 auf 6,3 Prozent im Juni 2022 erhöht.

Wie lange nutzen Jugendliche täglich soziale Medien?

Die Studie belegt zudem, dass 2,2 Millionen Minderjährige kurz davor stehen, süchtig zu werden. Ihr Nutzungsverhalten von Gaming, Social Media und Streaming ist bereits problematisch.

Das zeigt sich konkret an der Dauer, die Kinder und Jugendliche pro Tag damit verbringen: Durchschnittlich 115 Minuten sind es mit Computerspielen, 164 Minuten mit den sozialen Medien. Vor der Pandemie war das jeweils etwa um ein gutes Drittel kürzer.

Besonders problematisch wird es, wenn sich beides überschneidet und sowohl gesurft als auch gedaddelt wird – was bei 5,1 Prozent der Befragten der Fall ist. Bei immerhin 1,1 Prozent und damit 58.000 Kindern und Jugendlichen gesellt sich dazu noch ausuferndes Streaming. Sie seien „von einem riskanten Dreiklang betroffen“, so die Studienautoren.

Wer ist besonders gefährdet?

Die Ergebnisse machten erneut deutlich, dass die Pandemie den Umgang mit digitalen Medien insbesondere dieser Altersgruppe nachhaltig verändert habe, sagte Professor Rainer Thomasius vom Uniklinikum Hamburg. Digitale Medien dienten nicht nur der Kommunikation, der Informationsbeschaffung und dem Bekämpfen der Langeweile, so Thomasius. „Sie können auch dazu dienen, Gefühle von Einsamkeit, sozialer Isolation und Kontrollverlust, aber auch Stress zu kompensieren.“ Wer die Medien mit diesem Hintergrund nutze, sei besonders suchtgefährdet.

Ist das Risiko einer Mediensucht geschlechtsabhängig?

Generell ist das Risiko für Jungen größer als für Mädchen. Das zeigt sich vor allem beim Gaming. 68 Prozent derjenigen, die zu oft und zu lange Zeit digital spielen, sind männlich. Bei der Nutzung der sozialen Medien ist die Verteilung nahezu ausgewogen.

Woran erkennt man eine Mediensucht?

Die Weltgesundheitsorganisation hat Kriterien für das pathologische Mediennutzungsverhalten definiert. Demnach ist süchtig, wer im vergangenen Jahr entweder episodenweise oder kontinuierlich die Kontrolle in Bezug auf Beginn, Frequenz, Intensität, Dauer und Kontext des Spielens verliert.

Weitere Anzeichen sind, dass Gaming oder Social Media gegenüber anderen Lebensinhalten und Alltagsaktivitäten zunehmend priorisiert werden und dass man nicht davon lassen kann, auch wenn negative Konsequenzen drohen. Suchtexperte Thomasius warnt: „Da persönliche, familiäre und schulische Ziele in den Hintergrund treten, werden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst.“

DAK-Vorstandschef Andreas Storm sagte, wenn jetzt nicht schnell gehandelt würde, könne der negative Trend nicht mehr gestoppt werden. Er fordert zusammen mit den Medizinern mehr Prävention und Hilfsangebote – zum Beispiel die vom Bundesfamilienministerium geplanten Mental Health Coaches in Schulen.

Hilfe und weiterführende Informationen hat die Fach-und Koordinierungsstelle Suchtprävention Sachsen hier zusammengestellt.