So kommen Eltern gelassen mit ihren Pubertierenden klar

Früher brauchte sie ihren Papa, hatte in ihn immer gern. „Das war urplötzlich vorbei“, sagt Heiko Tautz. Seine Tochter ist jetzt 13 Jahre alt und findet ihren Vater seit einiger Zeit öfter mal blöd, versteht Entscheidungen nicht, diskutiert. „Das war schwer auszuhalten für mich, auch diese Gefühlsausbrüche“, gesteht der Neschwitzer. „Dabei wusste ich ja, dass da was auf mich zukommt.“ Denn die Tochter ist nicht krank, sondern pubertär.
„Heranwachsende ab ungefähr elf Jahren müssen mit einer Menge neuer Dinge klarkommen, von körperlichen Veränderungen über bisher unbekannte Emotionen bis hin zur Findung der eigenen Identität“, sagt Claudia Leide. Sie leitet den Fachbereich Partnerschaft, Familie und Lebensformen des Bistums Dresden-Meißen und weiß, dass die Pubertät auch für Eltern eine Herausforderung darstellt. „Wir bieten daher in Kooperation mit einem deutschlandweit aktiven Pädagogik-Institut Beratungskurse für Väter und Mütter an, sowohl vor Ort als auch online.“
Das Ganze heißt „Kess erziehen – Abenteuer Pubertät“ und wird vom sächsischen Staatsministerium gefördert. „Kess“ steht für die Anfangsbuchstaben von „kooperativ“, „ermutigend“, „sozial“ und „situationsorientiert“. Kurzum: Es gehe um einen respektvollen Erziehungsstil, selbst in stürmischen Zeiten wie der Pubertät, sagt Claudia Leide. Die Kurse sind offen für alle, Religionszugehörigkeit spielt keine Rolle.
Für Heiko Tautz kamen die Onlinekurse genau richtig, sagt er. „Ich wollte meine Tochter einfach besser verstehen.“ Beate Köhler ging es genauso. Die 40-Jährige heißt eigentlich anders, möchte aber ihren oder den Namen der Tochter nicht in der Zeitung lesen. „Meine Zwölfjährige geht ohnehin manchmal aus dem Nichts ab wie eine Rakete, wird laut, läuft weinend aus dem Zimmer. Und wir diskutieren häufig über ein- und dieselben Dinge, was nicht immer leicht auszuhalten ist.“
Großbaustelle im Kopf
Viele Eltern würden in solchen Momenten gern ihren Nachwuchs ändern, das Kind von früher wiederhaben wollen, beobachtet Kursleiterin Nicole Puschmann. „Das geht natürlich nicht. Vielmehr können Eltern zuerst an sich selbst und ihren Reaktionen arbeiten. Damit lässt sich viel bewegen.“ Das fängt mit dem Verständnis dafür an, was im Kopf der Teenager vonstattengeht. „Der gleicht nämlich mehrere Jahre lang einer Großbaustelle“, so Puschmann. Mediziner gehen sogar davon aus, dass erst im Alter von rund 25 Jahren die Gehirnentwicklung abgeschlossen ist. Bei Teenagern sind besonders die emotionalen Zentren im Kopf bereits hochaktiv, nicht aber die Kontrollinstanzen. Heißt: Im Gehirn entstehen zwar viele Gefühle, doch mit ihnen umgehen können die Jugendlichen schwer. Gleiches gilt für die Impulskontrolle. „Allein das zu erfahren, hat mir geholfen, gelassener auf überschießende Emotionen meiner Tochter zu reagieren“, sagt Heiko Tautz.
Das sei eine gute Grundlage, meint Beraterin Nicole Puschmann, doch noch lange nicht alles. Denn wer im Ernstfall einen Draht zu seinem Pubertierenden haben möchte, sollte im Frieden täglich Beziehungsarbeit leisten und den Kontakt in die Lebenswelt des Jugendlichen halten – so befremdlich diese manchmal wirken mag. Das bedeutet unter anderem aufmerksam zuzuhören, wenn der Nachwuchs redet.
Vom Zuhören und Fragen stellen
„Das war früher eine meiner Schwächen“, sagt Beate Köhler. „Ich habe meine Tochter zwar oft etwas gefragt, war aber während der Antwort teils schon wieder in anderen Gedanken oder habe etwas nebenbei gemacht.“ Echte Aufmerksamkeit sehe anders aus, sagt Kursleiterin Nicole Puschmann. Das beginne schon bei der Fragestellung an sich. „Die sollte am besten konkret sein statt nur ‚Wie war‘s in der Schule‘. Eltern können zum Beispiel fragen, was das Schönste am Tag war, wo noch Hilfe gebraucht wird, wer besonders nett war oder ähnliches.“ Gelegenheiten für solche Gespräche ergeben sich oft ungezwungen am Abend oder beim Kaffee. Auch von sich und dem eigenen Alltag zu erzählen öffnet Türen.
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Wer so vorgebeugt hat, dem fällt das Zuhören leichter, wenn die Themen unangenehmer werden und verschiedene Meinungen aufeinanderprallen. In diesem Fall sollte der Ort des Gesprächs eher neutral sein, etwa die Küche. Bevor alle an die Decke gehen, kann Rückzug ins eigene Zimmer und Abkühlen der erste Schritt sein, um dann offener ins Gespräch gehen zu können“, so Nicole Puschmann. Der kann auch mal nötig werden. Denn in Konfliktsituationen raten die katholischen Familienexperten zur sogenannten Iris-Strategie. „Die Buchstaben stehen für innehalten, respektieren, ignorieren, selbst handeln“, erklärt Familienreferentin Leide. Innehalten meint dabei, nicht im Affekt zu reagieren, sondern den eigenen Ärger zwar wahrzunehmen, ihn aber nicht übernehmen lassen. Denn Ärger schaltet im Gehirn das rationale Denken aus, das für eine vernünftige Lösung des Konflikts nötig ist.
Mit Selbstreflektion zu mehr Ruhe
„Dieses erste Durchatmen fällt mir noch heute oft schwer“, sagt Beate Köhler. „Aber es hat bereits ein paar Mal geholfen, eine Eskalation und Geschrei zu vermeiden.“ Wer sich kurz selbst reflektiert, kann sehen, dass es nicht nur am Gegenüber liegt, dass man gleich ausflippt. „Viel Arbeit, schlecht geschlafen, Hunger – wenn die eigenen Bedürfnisse nicht befriedigt sind, ist es schwer, in ruhige, bestimmte Diskussionen zu gehen“, erklärt Claudia Leide. Und das Gegenüber zu respektieren. „Das bedeutet nicht, dass Eltern unpassendes Verhalten akzeptieren oder sogar gutheißen müssen.“ Es sei aber ein Weg, die Bedürfnisse dahinter zu erkennen – etwa Freiheitsdrang, Nähebedürfnis, der Wunsch nach Aufmerksamkeit. „Die Auslöser des Verhaltens unserer Kinder sind viel seltener gegen die Eltern gerichtet, als diese in ihrer ersten Wut oft glauben.“
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Das zweite I der Iris-Strategie steht für Ignorieren. „Dabei geht es darum, das Verhalten des Jugendlichen, das uns ärgert, so wenig wie möglich zu beachten“, sagt Kursleiterin Puschmann. „Denn sonst könnte der Jugendliche sich in seinem Benehmen bestätigt fühlen.“ Das Verhalten zu ignorieren meint umgekehrt, die Person in den Blick zunehmen. Erst wer das schafft, kann selbst handeln. Oft sei es ratsam, das erste Handeln auf kleine, zugewandte Dinge zu reduzieren, um der Sache den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wer etwa einem nachts betrunken nach Hause kommenden Jugendlichen nachts eine Standpauke zu seinem Verhalten halte, erreiche ihn sowieso nicht. Große Aussprachen sollten auf ruhigere Momente verschoben werden.
Die ruhigeren Momente sind auch Möglichkeiten, dem Nachwuchs im gemeinsamen Gespräch Grenzen zu setzen. Wichtig seien hier persönliche Argumente, in der Ich-Form geäußert, betont Nicole Puschmann. Protest darf geäußert und sollte aufmerksam angehört und auch gespiegelt werden. „Am besten aber auch erst nach einem Moment des Innehaltens, denn der gibt Kraft, um bei seinem Standpunkt zu bleiben“, rät Nicole Puschmann.
Eltern sind selten die besten Freunde
„Für mich war das Durchatmen leicht, aber das Mich unbeliebt machen mit Grenzen und Konsequenzen eher nicht so sehr“, gibt Heiko Tautz zu. „Dabei können Eltern besonders in diesem Alter kaum die besten Freunde ihrer Kinder sein“, hält Nicole Puschmann dagegen und ermutigt zu gelassenem Selbstbewusstsein. So dürfe man jugendlichem Gemecker durchaus antworten: „Es ist ok, dass Du mich blöd findest. Das ist halt mein Job.“ So respektiere man die Meinung des Teenagers, bleibe aber bei der eigenen Meinung.
Aber was ist, wenn der Teenie gar nicht reden will? „Es bei der nächsten Gelegenheit wieder zu versuchen“, sagt die Beraterin. Denn gute Beziehungen sind selbst den schlechtlaunigsten Teenagern wichtig, wie eine repräsentative Umfrage des Allensbach-Instituts aus dem vergangenen Jahr zeigt. Demnach gaben knapp 72 Prozent der Jugendlichen an, dass sie es für erstrebenswert halten, für die Familie da zu sein und sich für sie einzusetzen.
Think positive!
Mehr Glaube an das Positive hat sich auch Beate Köhler vorgenommen. „Ich schaue jetzt mehr darauf, was meine Tochter alles kann, wie gut sie sich verändert hat, statt mich auf Fehler zu konzentrieren.“ Erziehungsberaterin Inke Hummel rät in ihrem Buch „Miteinander durch die Pubertät“ sogar, schöne Momente und Eigenschaften aufzuschreiben. So könne man sie sich und anderen beim Lesen immer wieder bewusst machen. Eltern, die dagegen vor allem auf Makel schauen, erinnert Kursleiterin Nicole Puschmann gern an den dänischen Kinder- und Jugendpsychologen Jesper Juul, der einmal sagte: „Wenn Sie Perfektion suchen, dann stellen Sie sich doch ein paar Minuten vor den Spiegel und schauen sich selbst an. Das sollte eigentlich genug sein, um sich von der Wunschvorstellung ‚Perfektion‘ zu verabschieden.
Buchempfehlung: Inke Hummel „Miteinander durch die Pubertät“, humbold Verlag, 176 Seiten, 20 Euro