Merken

Familienbäckerei feiert Geburtstag

Der Görlitzer Dirk Wittig hat ein kleines Back-Imperium geschaffen. Auch in Bernstadt gibt’s eine Filiale.

Teilen
Folgen
© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Von Susanne Sodan

Görlitz. Es ist geschafft. Der Backofen ist leer, die Maschinen sind still. Aber trotzdem sieht es nach Betrieb aus, der vor einigen Minuten noch geherrscht haben muss. Vom Backofen schlägt noch Hitze entgegen. Überall stehen Wagen mit Blechen, auf denen gerade noch Hunderte Brötchen lagen. In Metallschalen liegen Sesam und Kürbiskerne, zig Brotformen aus festem Leinen stapeln sich. Es ist früh um sieben Uhr. Für Dirk Wittig und seine Mitarbeiter ist der Arbeitstag zwar noch nicht ganz rum – im Konditoreibereich herrscht noch Betrieb – , aber das Wichtigste ist geschafft: „Um sieben machen unsere Filialen auf“, sagt er. „Da muss alles vor Ort sein.“ Sieben Filialen hat die Bäckerei Wittig, in Görlitz, Girbigsdorf und Bernstadt. Und sie hat Jubiläum: 60 Jahre gibt es die Bäckerei Wittig.

Jeden Sonntag hieß es früher für Dirk Wittig: Kohle schaufeln für den Backofen. Das Foto entstand 1995, der Ofen ist längst durch ein Gasmodell ersetzt.
Jeden Sonntag hieß es früher für Dirk Wittig: Kohle schaufeln für den Backofen. Das Foto entstand 1995, der Ofen ist längst durch ein Gasmodell ersetzt. © privat
Dirk Wittigs Oma Erika Werner war immer die gute Seele der Bäckerei. Auf dem Bild steht sie in der ehemaligen Bäckerei auf der Reichenbacher Straße hinter der Theke.
Dirk Wittigs Oma Erika Werner war immer die gute Seele der Bäckerei. Auf dem Bild steht sie in der ehemaligen Bäckerei auf der Reichenbacher Straße hinter der Theke. © privat
Kunden bis auf die Straße, die Zeiten waren irgendwann vorbei für die Ur-Filiale auf der Reichenbacher Straße. Leicht fiel es Wittigs nicht, als sie sie vor zwei Jahren schlossen.
Kunden bis auf die Straße, die Zeiten waren irgendwann vorbei für die Ur-Filiale auf der Reichenbacher Straße. Leicht fiel es Wittigs nicht, als sie sie vor zwei Jahren schlossen. © privat

Mit Dirk Wittigs Großvater, Lothar Wittig, fing alles an. Er gründete 1958 auf der Konsulstraße die Bäckerei. „Das Haus verfällt heute zunehmend“, sagt Dirk Wittig. Sein Vater Detlef übernahm die Bäckerei 1984, machte sich damit selbstständig und zog um auf die Reichenbacher Straße in Rauschwalde. Für Dirk Wittig gehörte das Bäckerhandwerk immer mit dazu. „Klar, vor der Schule bin ich immer erst Brötchen holen gegangen. Wir haben ja nur ein paar Hundert Meter von der Bäckerei entfernt gewohnt.“ Dass er selber auch Bäcker werden würde, war aber so klar nicht. „Es gab zwei Möglichkeiten: Bäcker oder zur See fahren.“ Letzteres hatte die Mutter geraten. Wer zur See fährt, sieht die Welt. Und findet vielleicht die Möglichkeit, die DDR zu verlassen, so der Gedanke dahinter. Tatsächlich war Dirk Wittig ein Jahr bei der Marine, „aber das war nichts für mich, das habe ich schnell gemerkt“. Also doch Bäcker. Die DDR gab es plötzlich ohnehin nicht mehr, es war die Wendezeit. Seine Ausbildung absolvierte Wittig in Düsseldorf. „Man dachte damals, der Westen würde zu uns schwappen.“ Mit neuen Produkten, mit einem neuen Wirtschaftssystem. „Ich dachte , dann kann ich mir auch gleich direkt dort ansehen, was sie im Westen machen.“

Damals, als er die Lehre begann, kannte er schon seine spätere Frau Anke. In der legendären Görlitzer Diskothek „Zwei Linden“ hatte er sie kennengelernt. Sie stammte aus Ostritz, war Verkäuferin – und folgte ihm für zwei Jahre nach Düsseldorf. Es sei aber klar gewesen, dass sie beide nach der Ausbildungszeit zurück in die Oberlausitz wollten, erzählen sie. Hier arbeitete Dirk Wittig zunächst in der Bäckerei seines Vaters auf der Reichenbacher Straße mit. Am Anfang war es nicht leicht, direkt nach dem politischen Umbruch sei es dem Geschäft nicht so gut gegangen. Die Aufbruchphase kam später in den 1990ern. „Das war wie eine Welle, nicht nur bei uns.“ 1999 übernahm Dirk Wittig die Bäckerei vom Vater. „Das war die Zeit, wo Großkunden kamen, wir haben zum Beispiel Siemens und Bombardier beliefert.“ Die Bäckerei auf der Reichenbacher Straße war zu klein geworden. Und noch ein Problem kam hinzu: Der neue private Eigentümer des Gebäudes soll nicht begeistert gewesen sein, als er feststellte, dass in einem Backbetrieb nachts auf Hochtouren gearbeitet wird. „Wir haben jedenfalls angefangen, etwas Neues zu suchen.“ Diverse Lagerhallen-Besichtigungen später entdeckten Wittigs die Rauschwalder Straße 42. Hier war auch früher schon eine Bäckerei und Selterei drin. Und hier ist bis heute die Backstube von Wittigs und der Back Drive, der nachts ab drei Uhr geöffnet hat.

Dirk Wittig steht jeden Morgen um ein Uhr auf. „Dann bin ich vormittags mit der Arbeit fertig. Ich will doch noch was haben vom Tag!“ Das Frühaufstehen kann er ganz gut verkraften. Aber ja, das Bäckerhandwerk sei kein leichtes, wenn auch deutlich leichter als früher. „Der Knochenjob, der es mal war, ist es nicht mehr.“ Er weiß noch, wie es ist, 50-Kilo-Mehlsäcke zu schleppen und Kohlen für den Backofen zu schaufeln. „Jeden Sonntag haben wir die Kohlen aus dem Keller raufgeholt, zwei Stunden bestimmt.“ Längst ist aus dem Kohleofen ein Gasofen geworden. Seit mehreren Jahren steht im hinteren Bereich eine Mehlsiloanlage, die das Säckeschleppen auf ein Minimum reduziert. Für diverse Arbeitsschritte braucht es weiter Handarbeit, aber die Kopfmaschine bringt Teig in Brötchenform. Fließband wollen Wittigs nicht. „Die Größe, die wir jetzt haben, ist gut.“ Der Markt in Görlitz sei auch einfach gesättigt. „Wenn ein tolles Angebot wegen einer weiteren Filiale kommt, überlegen wir natürlich. Aber ansonsten gilt es jetzt, das zu pflegen, was vorhanden ist.“

32 Mitarbeiter zählt die Bäckerei jetzt. Vergangenes Jahr haben Wittigs die jüngste Filiale, das Café auf dem Obermarkt, eröffnet. Spezialität: Torten. „Mein Hobby“, sagt Dirk Wittig. Für Torten habe er sich schon zur Ausbildung in Düsseldorf begeistern können. Eine Leidenschaft, die auf Tochter Nathalie übergesprungen ist. Vier Kinder haben Anke und Dirk Wittig. Der älteste Sohn, Dennis, ist Backstubenleiter. Tochter Nadine wollte nicht ins Backhandwerk gehen. „Sie ist Friseurin mit Leib und Seele“, sagt Dirk Wittig. Für ihre Zwillingsschwester Nathalie gab es ebenfalls zwei Möglichkeiten, Kunst oder Kuchen? Sie hat beides genommen, machte zunächst eine Ausbildung zur Grafikdesignerin und ist jetzt für das Marketing der Bäckerei zuständig. Und für die Verzierung der Torten, mit Schokolade oder Lebensmittelfarbe. Die künstlerische Hand hilft sogar, Porträts zu gestalten. Und der jüngste Sohn ist noch zu klein, um sich den Kopf über seinen Beruf zu zerbrechen.