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Familienstreit an Duligs Küchentisch

Beim SPD-Wahlkampf im Bergkeller nahmen die Bürger kein Blatt vor den Mund.

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© Kristin Richter

Von Manfred Müller

Großenhain. Zweimal musste Moderatorin Eileen Mägel am Montagabend die Rote Karte ziehen. Da ging es – Überraschung – um die Asylproblematik, und einige Besucher wollten aus dem Auditorium heraus lautstark ihren Unmut kundtun. Damit hatten sie gegen die Küchentisch-Regel Nummer zwei von Sachsens SPD-Chef Martin Dulig verstoßen und wurden zur Ordnung gerufen. Die Idee ist gar nicht so schlecht: Wer etwas zu sagen hat, nimmt an dem klobigen Holztisch in der Saalmitte Platz und zieht alle Blicke auf sich.

Das bringt selbst hartgesottene Versammlungs-Trolle dazu, sich einigermaßen kultiviert zu äußern. Der Tisch stammt tatsächlich aus Duligs Küche und acht Leute können sich rundherum setzen. Um die familiäre Atmosphäre komplett zu machen, hatte die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Susann Rüthrich ihr jüngstes Kind mitgebracht, das sich hin und wieder bemerkbar machte.

Obwohl nur etwa 30 Besucher in den Bergkeller gekommen waren, ging Duligs Polit-Konzept auf. Die vier Disputanten-Stühle waren ständig besetzt, und die Gäste nahmen auch kein Blatt vor den Mund. Jürgen Rakelmann zum Beispiel, der die Abwasserpolitik des Freistaates im Allgemeinen und den Kalkreuther Zweckverband im Besonderen kritisierte.

In den 1990er Jahren seien völlig überdimensionierte Abwasseranlagen gebaut worden, und die Bürger müssten das jetzt über hohe Gebühren ausbaden. Jürgen Rakelmann spielte damit vor allem auf die Grundgebühr an, die der AZV „Gemeinschaftskläranlage Kalkreuth“ im vorigen Jahr beschlossen hat.

Dagegen hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, deren Ziel es ist, die Verbandsfinanzen transparenter zu machen. „Wir haben einen Anspruch darauf, dass die Politik uns hilft“, insistierte der Schönfelder. Martin Dulig, der auch Sachsens Wirtschaftsministerium leitet, wirkte angesichts der gut vorbereiteten Abwasser-Streiter ein wenig überfordert. Warum er nicht deren Mail geantwortet habe? Dulig wich aus, erklärte aber immerhin, dass er sich der Problematik annehmen werde. Als Gedächtnisstütze bekam er gleich noch eine Petition der Abwasser-BI überreicht.

Als nächster schüttete Jürgen Scholz sein Herz aus. Der Großvater des kleinen Julius, dessen Familie um einen Schulbegleiter kämpft, empörte sich über die Hartleibigkeit der Sozialbehörden. Sein achtjähriger Enkel leidet unter einer seltenen Bluterkrankung, aber das Meißner Sozialamt erklärte sich im Sommer 2016 einfach für nicht mehr zuständig (die SZ berichtete mehrfach).

Schließlich setzte die Kreisbehörde im Juni dem Ganzen die Krone auf, indem sie den Fall im Amtsblatt auf herzlose Weise von sich schob. Sie habe den Artikel gelesen und sei fassungslos gewesen, sagt Susann Rüthrich. Die Politikverdrossenheit, die sich unter den Bürgern breitmacht, sei zu einem großen Teil auch Verwaltungsverdrossenheit.

Ganz so leicht wollten es die Großenhainer der SPD, die seit Jahren im Bund und im Land mitregiert, dann aber doch nicht machen. Die Ex-Bürgermeisterin von Folbern, Hannelore Sommer, kritisierte, dass sich die Politik mit der Gemeindegebietsreform ja selbst von den Bürgern entfernt habe. Und wenn sie jetzt noch schrittweise die Rentenbesteuerung heraufsetze, treffe das besonders die älteren Menschen auf dem Lande, die ohnehin infrastrukturell benachteiligt seien. Und dann fiel er noch, der Satz, dass es an Geldern für Migranten ja nicht mangele.

Das war das Stichwort für den Baudaer Peter Grünberg, der deutsche Asylpolitik generell kritisierte und die Aufnahme von Hunderttausenden Flüchtlingen im Jahr 2015 als gesetzeswidrig brandmarkte. Dass sich Susann Rüthrich bundespolitisch für den Nachzug von Migrantenfamilien einsetzt, kam in diesem Zusammenhang gar nicht gut an und provozierte die Roten Karten. Immerhin zeigten die beiden SPD-Politiker beim Thema Asyl Statur. Er werde keine Schicksale gegeneinander ausspielen und die Diskussion auf dem Rücken einer bestimmten Gruppe austragen, hielt Martin Dulig gegen.

Dass Angela Merkel vor zwei Jahren die Grenzen geöffnet habe, verdiene seinen Respekt. Ob die Sozialdemokraten im konservativen Großenhain damit allerdings Stimmen für die Bundestagswahl gewinnen können, bleibt abzuwarten. Vielleicht hoffen sie ja auf jenes Quäntchen CDU-Verdrossenheit, das der Stadt vor zwei Jahren einen parteilosen Bürgermeister bescherte.