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75 Jahre Defa: Von Thälmann bis Hollywood

Hunderte Spielfilme, eine Oscar-Nominierung – und Zensur: Die DDR-Filmgesellschaft Defa hat auf eigene Weise Geschichte geschrieben.

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Hunderte Spielfilme und mehr als 2.000 Kurz- und Dokumentarfilme hat die DEFA hervorgebracht.
Hunderte Spielfilme und mehr als 2.000 Kurz- und Dokumentarfilme hat die DEFA hervorgebracht. © Nestor Bachmann/dpa-Zentralbild

Potsdam. "Die Mörder sind unter uns" – 1946 entsteht in der Kriegstrümmerlandschaft von Berlin der erste deutsche Nachkriegsfilm. Die Schwarzweiß-Produktion von Regisseur Wolfgang Staudte, in dem Hildegard Knef die Rolle einer KZ-Überlebenden spielt, ist zugleich der erste Spielfilm der späteren DDR-Filmgesellschaft Defa. Die Dreharbeiten laufen bereits, als am 17. Mai vor 75 Jahren in Potsdam-Babelsberg die "Deutsche Film-AG" Defa gegründet wird – mehr als drei Jahre vor Gründung der DDR im Herbst 1949.

Bereits Ende April 1945 hat der sowjetische Stadtkommandant von Berlin, Generaloberst Nikolai Bersarin, die Erlaubnis zur Eröffnung von Theatern und Kinos erteilt. Einige Monate später, Stalin hat zuvor grünes Licht gegeben, beraten Filmemacher, Schriftsteller und Kulturfunktionäre über den Aufbau einer neuen Filmproduktion in der SBZ, der sowjetischen Besatzungszone. Mit dabei: die Schriftsteller Hans Fallada und Friedrich Wolf und die Regisseure Wolfgang Staudte und Boleslaw Barlog.

Tausende Filme sind entstanden

In den nächsten Jahrzehnten entstehen mehrere Tausend Produktionen. Rund 700 Spielfilme sind darunter, 950 Trickfilme und rund 2.000 Dokumentarfilme. Die Defa dreht Kinder- und Indianerfilme, Literaturverfilmungen und Märchen wie die Geschichte vom kleinen Muck, Politisches wie eine zweiteilige Biografie des Kommunisten Ernst Thälmann und auch ein paar Science-Fiction-Filme. Corinna Harfouch und Renate Krößner, Manfred Krug und Michael Gwisdek, Katrin Sass und Uwe Kockisch stehen bei der Defa vor der Kamera.

"Die Legende von Paul und Paula", "Solo Sunny", "Spur der Steine" und "Der Untertan" gehören zu den bis heute bekannten Produktionen. 1961 startet die Langzeitdokumentation "Die Kinder von Golzow", die auch nach dem Ende der DDR weitergeführt wird und später als weltweit längste Dokumentation in die Filmgeschichte eingeht. "Jakob der Lügner" von 1974 nach dem Roman von Jurek Becker wird der einzige DDR-Spielfilm, der in Hollywood für einen Oscar nominiert wird: Ein Mann macht im jüdischen Ghetto den Menschen Hoffnung, indem er Lügen über den Vormarsch der Roten Armee 1944 erzählt.

SED stülpt kommunistische Ideologie über die Defa

Die Politik nimmt in all der Zeit Einfluss auf das Filmschaffen der Defa. "Wir werden in Zukunft keine Kompromisse in ideologischen Fragen mehr zulassen", wird in einer Sitzung führender SED-Parteifunktionäre im Mai 1949 protokolliert: "Das bedeutet eine politische Umorientierung der Genossen der DEFA."

Als erster Defa-Film wird in der DDR 1951 die Arnold-Zweig-Verfilmung "Das Beil von Wandsbek" von Falk Harnack verboten. Der Regisseur, dritter künstlerischer Direktor der Defa und vor 1945 im NS-Widerstand aktiv, arbeitet bald danach nur noch im Westen. Auch andere wenden sich von der DDR und der Defa ab.

Der Autor Günter Kunert beklagt später, es sei "unmöglich geworden, eine simple Sentenz wie 'Der Winter ist kalt' zu äußern, ohne dass einem vorgeworfen wird, man negiere drei andere wesentliche Jahreszeiten". Defa-Regisseure greifen trotzdem weiter auch kritische Themen auf.

Künstler immer mehr unter Druck

Dann kommt Ende 1965 der "Kahlschlag" des SED-Zentralkomitees gegen die Kultur, gegen Theater, Film, Literatur und Musik: Einige jüngst bei der Defa produzierte Filme zeigten "dem Sozialismus fremde, schädliche Tendenzen und Auffassungen", kritisiert der spätere DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker. Rund ein Dutzend Werke, fast die gesamte Jahresproduktion der Defa, werden verboten, darunter "Das Kaninchen bin ich" des Defa-Mitbegründers Kurt Maetzig. Auch der Arbeiterfilm "Spur der Steine" mit Manfred Krug in der Hauptrolle wird aus den Kinos verbannt.

"Wenn alle Gegenwartsfilme fehlerhaft – dann muss mit der Ideologie etwas nicht stimmen – zwingende Logik", notiert Defa-Regisseur Konrad Wolf einige Zeit nach der "Kahlschlag"-Tagung: "Wir stehen vor der größten Katastrophe unseres Spielfilmschaffens." Die Defa produziert weiter, die Politik nimmt weiter Einfluss, die Filmschaffenden gehen ihre Wege zwischen Anpassung und Eigenständigkeit. Einige geraten ins Abseits, andere gehen in den Westen, darunter 1977 Manfred Krug.

Filme nur mit staatlicher Genehmigung gedreht

Mit dem Mauerfall 1989 kommt ein neuer Aufbruch. Verbotene Defa-Filme werden jetzt vor Publikum gezeigt. Im Sommer 1990 wird dann in der DDR das Treuhandgesetz beschlossen, auch die Defa soll privatisiert werden. 1992 wird die einstige Filmproduktionsgesellschaft der DDR verkauft. Die Babelsberger Studios, 1912 gegründet, bleiben bestehen. Zur Bewahrung des Filmerbes der DDR wird 1998 die Defa-Stiftung gegründet.

"Man konnte nur mit staatlicher Genehmigung, mit der Unterschrift der Funktionäre einen Film machen und sonst gar nicht", resümierte Michael Gwisdek (1942-2020) nach dem Ende von DDR und Defa. Wenn er Kinosendungen im West-Fernsehen gesehen habe, habe er "sehnsuchtsvoll geschluchzt", weil dort habe experimentiert werden können. Er sei zugleich glücklich und stolz, dass er noch in den letzten Tagen der Defa Hauptrollen übernehmen konnte, betonte er damals: "Es war eine einmalige Zeit."

Corona: Jubiläum kann nicht gefeiert werden

Die Defa-Stiftung hat zum Jubiläum ein umfangreiches Programm vorbereitet, das jedoch wegen der Corona-Pandemie nicht so umgesetzt werden kann wie geplant. Die Fachtagung "Das Genrekino der Defa", die am 19. und 20 Mai in Berlin stattfinden sollte, wurde nach Stiftungsangaben auf 2022 verschoben. Anlässlich der Geburtstage der Schauspielerinnen und Schauspieler Jutta Hoffmann, Herbert Köfer und Jaecki Schwarz wurden DVD-Jubiläumseditionen herausgegeben. Im März wurde eine DVD-Edition zum 90. Geburtstag des Defa-Regisseurs Wolfgang Kohlhaase veröffentlicht. (epd)