Feuilleton
Merken

Ulrich Wickert fordert mehr Mut zum Risiko bei ARD und ZDF

Der einstige TV-Moderator Ulrich Wickert spricht über notwendige Veränderungen beim Fernsehen, die Delikte französischer Präsidenten und Wörter, die bewahrt werden sollten.

Von Karin Großmann
 7 Min.
Teilen
Folgen
Ulrich Wickert wird 80
Ulrich Wickert wird 80 © kairospress

Gut 15 Jahre lang war er das Gesicht der Fernsehnachrichten. Der frühere „Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert wird am 2. Dezember 80 und hat gerade seinen siebenten Kriminalroman herausgebracht. Ein Gespräch über Sendeanstalten und andere Krimis.

Ihr Nachfolger bei den „Tagesthemen“, Tom Buhrow, hat gerade als ARD-Vorsitzender eine Debatte über die öffentlich-rechtlichen Sender angezettelt. Wundert Sie das?

Vorschläge zur Veränderung gab es auch vorher schon. Sie waren nur nicht mutig genug. Offensichtlich musste es erst einen Skandal wie den beim RBB geben.

Die brisanteste Frage ist sicher, ob man beide Sender braucht, ARD und ZDF.

Das ist für mich keine Frage. Natürlich braucht man beide. Die Frage ist vielmehr: Ist die Struktur noch richtig? Brauchen wir andere Gremien? In den Rundfunkräten sitzen Menschen, die von der Kirche, der Gewerkschaft und allen möglichen Vereinen entsandt werden. Aber das sind nicht unbedingt Fachleute, die geübt sind in der Kontrolle eines Senders mit Milliardenumsatz. Dort braucht man Leute mit Mut, und man braucht Intendanten mit Mut, die nicht erst abwarten, bis zwischen den Landessendern der ARD jedes Detail besprochen ist. Das ständige Abwägen und vorsichtig sein bringt nicht weiter.

Fürsprecher von ARD und ZDF verweisen auf den publizistischen Wettbewerb zwischen beiden Anstalten.

Das ZDF wurde Anfang der Sechzigerjahre als konservatives Gegengewicht zum sogenannten Rotfunk der ARD gegründet. Die Politik bestimmte, wer ZDF-Intendant wird. Da machte sich vor allem die CDU stark. Das kulminierte 2009 in einer Verfassungsklage, als der Vertrag von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender vom unionsdominierten Verwaltungsrat des Senders nicht verlängert wurde. Das Gericht entschied, dass Teile des ZDF-Staatsvertrags verfassungswidrig waren. Der Einfluss der Politik war zu groß. Diese Zeit ist ebenso vorbei wie jene, als sich SPD und CDU spinnefeind waren. Sie haben sich in vielen Großen Koalitionen einander angenähert.

Kritik gibt es an den Gehältern der Intendanten. Ist ein Jahreseinkommen von über 400.000 Euro gerechtfertigt?

Der Chefredakteur des Spiegel verdient sehr viel mehr. Solche Gehälter muss man zahlen, wenn man gute Leute für Führungsposten von außerhalb holen will, aus der freien Wirtschaft. Aber sicher muss man sich das ganze Gefüge noch mal angucken. Es darf nicht sein, dass an der Spitze gekungelt wird. Auch die Ruhegehälter mancher Chefs sind eine merkwürdige Sache. Man kann auch fragen, ob 16 Orchester von den ARD-Anstalten bezahlt werden müssen. Ich nenne als Beispiel gern das Orchester der Elbphilharmonie, das vom NDR finanziert wird. Es spielt im Hamburger Konzerthaus, sollte also von der Hansestadt bezahlt werden. Oder: Wie viele Funkhäuser braucht man in den Bundesländern wirklich?

Meinen Sie, dass Landesregierungen auf ihre Einflusssphären verzichten?

Sicher muss sich die Politik bewegen. Und vielleicht müssen sich einige mutige Intendanten auch mal gegen die Politik stellen.

Weil es auch dort zu viel Abwägen und Vorsicht gibt?

Leider. Andererseits haben wir einen Bundeskanzler, der sehr mutig war, als er eine Wende in der Sicherheitspolitik ausrief. Immerhin ist er Kanzler einer Partei, die ihren Helmut Schmidt aus dem Amt wippte im Zusammenhang mit der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland in den Achtzigerjahren. Und er ist Chef einer Regierung mit den Grünen, die aus der Friedensbewegung entstanden. Sie haben seine Vorgaben geschluckt. Manchmal muss man ein Risiko eingehen, wenn man von einer Sache überzeugt ist. Auch Robert Habeck ist meines Erachtens ein mutiger Politiker. Er macht eine Wirtschaftspolitik, die von vielen seiner Anhänger kritisiert wird. Aber er versteht sich als Arbeiter für unser Land, nicht für seine Partei. Deshalb hat er die Entscheidung des Bundeskanzlers für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke akzeptiert – obwohl es der Parteitag der Grünen kurz zuvor anderes beschlossen hatte.

Bei Mut und Risikofreude kann Jacques Ricou mithalten, Hauptfigur in Ihren Krimis. Seine Geliebte Margaux bringt viele Opfer für ihren Beruf als Journalistin. Würden Sie das auch für Ihre Arbeit bei der ARD in Anspruch nehmen?

Aber ja! Ich würde es nur nicht Opfer nennen. Als Auslandskorrespondent bekommt man zwar Aufträge, aber die meisten Themen sucht man sich selbst. Da kann es sein, dass man Sonntagfrüh drehen muss oder sich die Nächte um die Ohren schlägt. Man muss sich den Gegebenheiten anpassen, das gehört dazu. Ich habe mal eine Arbeitsbiografie veröffentlicht mit dem Titel: „Nie die Lust aus den Augen verlieren“. So ist es tatsächlich. Ich hatte immer Lust zu arbeiten.

In Ihrem neuen Krimi muss man lange annehmen, dass der französische Präsident auf dem Dienstweg einen Mord in Auftrag gibt. Ist das nicht sehr unwahrscheinlich?

In meinem Buch stehen viele Fakten, die der Wahrheit entsprechen und von denen der Leser meint, sie seien erfunden. Ich zitiere aus einem Interview von zwei Journalisten mit dem französischen Präsidenten Hollande. Sie fragten, wie viele Mordaufträge er denn genehmigt habe, und er antwortete: vier. Das ist ein echtes Zitat aus einem echten Interview. Danach stand natürlich ganz Frankreich Kopf: Wie kann man nur so tollpatschig sein, das zuzugeben! Der Präsident darf also morden lassen? Wenn er klug ist, spricht er nicht darüber.

Sie sagten mal, auch im Verbrechen sei Deutschland nur Mittelmaß im Vergleich zu Frankreich. Wie kommen Sie darauf?

Der ehemalige Präsident Nikolas Sarkozy läuft mit einer elektronischen Fußfessel herum, sein letzter Innenminister sitzt im Gefängnis, und gegen Ex-Premier Balladur läuft ein Ermittlungsverfahren. Jacques Chirac wurde nach seiner zweiten Amtszeit zu zweieinhalb Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt und zu einer saftigen Geldstrafe, die seine Partei für ihn bezahlte. Stellen Sie sich vor, Christian Wulff würde mit einer elektronischen Fußfessel herumlaufen. Undenkbar!

Vielleicht sind deutsche Politiker nur geschickter?

Das glaube ich nicht. Ich erinnere mich noch, wie 1999 gegen Helmut Kohl in der Schwarzgeld-Affäre der CDU ermittelt wurde. Ein französischer Kollege wollte darüber berichten. Seine Redaktion fragte: Ja und, was hat Kohl mit dem Geld gemacht? Er hat es für seine Partei ausgegeben? Dann ist es doch keine Story! Wenn er es für sich selbst in angenehmer Gesellschaft ausgegeben hätte …

Helmut Kohls Rolle beim Verkauf von Minol und Leuna ist ein Thema in Ihrem dritten Krimi „Der nützliche Freund“. Jetzt erinnern Sie daran, dass der Geheimdienst auf Weisung von Charles de Gaulle die Ölfirma Elf gründete, die zur Schmiergeldmaschine wurde. Warum sind Ihnen solche Verweise wichtig?

Weil ich politischer Journalist bin. Deshalb baue ich viel Wirklichkeit in meine Krimis ein. Allein die Idee, dass ein Staatspräsident eine Ölfirma gründen lässt, um unabhängig zu sein in der Energieversorgung, ist bei uns nicht vorstellbar. Kein Bundeskanzler würde dem BND, unserem Geheimdienst, selbst in Krisenzeiten wie heute, die Gründung einer Ölfirma aufgeben.

Mit der Erbin von L´Oréal holen Sie die angeblich reichste Frau Frankreichs in Ihren Roman und schreiben ihr ein Konto bei einer anrüchigen Bank zu. Hat sich der Anwalt von Francois Bettencourt schon gemeldet?

Ich glaube nicht, dass er das tun wird. Jeder weiß, das ist ein Roman. Bei mir kommen immer wieder reale Figuren vor. Das Pariser Quartier Belleville, die Lokale, in denen sich Jacques Ricou mit seinem Freund trifft, der schöne Ort Honfleur, wo er mit Margaux manches Wochenende verbringt – alles ist genau so, wie ich es beschreibe. Das Schloss Milandes, das im Roman eine wichtige Rolle spielt, gibt es wirklich. Die Tänzerin Josephine Baker hat dort gelebt. Man kann mit diesem Buch ein bisschen verreisen.

Und sich an Wörter erinnern wie schnabulieren, vergackeiern, bekakeln.

Das sind schöne Wörter, die ich gern vor dem Vergessen bewahren will. Vielleicht fallen sie manchen Lesern auf und werden auch von denen weiterbelebt.

  • Buchtipp: Ulrich Wickert. Die Schatten von Paris. Piper, 319 Seiten, 22 Euro