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Bitte recht reaktionär: Münchens "Polizeiruf" arbeitete sich an der "Woken" ab

Der erste Münchner „Polizeiruf“ mit neuem Team macht auf Vielfalt und denunziert zugleich Anti-Diskriminierungs-Aktivisten und -innen.

Von Oliver Reinhard
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Die Ermittelnden Otto Ikwuakwuen (Bless Amada) und Cris Blohm (Johanna Wokalek) werden am Institut für Postkoloniale Studien von Kämpferinnen gegen Diskriminierung diskriminiert.
Die Ermittelnden Otto Ikwuakwuen (Bless Amada) und Cris Blohm (Johanna Wokalek) werden am Institut für Postkoloniale Studien von Kämpferinnen gegen Diskriminierung diskriminiert. © BR

Immer schon verstanden sich die großen Sonntagabend-Krimis als Spiegel der Gesellschaft und deren Entwicklungen. Entsprechend zollen „Tatort“ und „Polizeiruf“ schon seit Jahren auch in der Besetzung ihrer Ermittlerteams dem Umstand Rechnung, dass wir Deutsche eben nicht ausschließlich aus heterosexuellen weißen Männern mit mindestens bis in die Zeit der Fugger zurückreichenden Eingeborenen-stammbäumen bestehen.

Erst enterten Frauen die Kommissariate, dann Kolleginen und -gen mit nichtweißen migrantischen Hintergründen. Beim Berliner „Tatort“ folgten zwei Bi- und in der Schweiz eine Homosexuelle, beim Brandenburger „Polizeiruf“ ein genderfluider Ermittler und nun bei dessen Münchner Amtsbrüdern und -schwestern ein Schwarzer und zugleich schwuler Deutscher. Diverser geht’s nimmer.

Tod eines mutmaßlichen Vergewaltigers

Letztlich ist das auch alles gut und richtig und wichtig so. Und auch umstritten, denn viele sehr traditionelle Sonntagskrimifans fühlen sich irritiert bis ideologisiert. Und als wollten sie dem vorbeugen und sich auch bei reaktionärsten Vielfalt-Skeptikern anwanzen, zeichnet der Münchner „Polizeiruf: Little Boxes“ ein derart abstoßendes Bild der woken und politisch korrekten akademischen Szene, dass man meinen könnte, das Drehbuch stamme aus den Federn von Alice Weidel und Dieter Nuhr.

Doch der verantwortliche Autor heißt Stefan Weigl und lässt das neue Team aus Cris Blohm (Johanna Wokalek), Otto Ikwuakwuen (Bless Amada) und Dennis Eden (Stephan Zinner) den gewaltsamen Tod eines Dozenten am ultraprogressiven Institut für Postkolonialistische Studien untersuchen. Der war zuvor denunziert worden als Vergewaltiger, sodass ihm niemand eine Träne nachweint und auch niemand auf die Idee kommt, die Denunziation könne eine falsche Anschuldigung sein.

Vorsicht, wenn ein Hetero-Cis-Mann den Raum betritt

Denn: „Wir stellen das Empfinden einer Frau nicht infrage und machen sie dadurch zum zweiten Mal zum Opfer“, wie der Mitbewohner des Toten sagt. Was zum Geist am Institut passt, den dessen Dekanin so ausdrückt: „Grundsätzlich ist immer Vorsicht geboten, wenn ein Hetero-Cis-Mann den Raum betritt.“

Natürlich gibt es jede Menge Menschen, die ihre „Wokeness“ – also die Wachsamkeit gegenüber diskriminierendem Verhalten – ins Extrem treiben. Genauso selbstverständlich kommt es auch in der akademischen Realität zu Denunziationen, in Sachen sexueller Missbrauch oder bei mutmaßlich miesem Verhalten gegenüber Angehörigen von Minderheiten. Und höchstwahrscheinlich sind zwar viele, aber nicht alle diese Denunziationen auch berechtigt.

"Leck mich, Frau Blohm!"

Aber wie Autor Stefan Weigl und Regisseur Dror Zahavi, beide eigentlich extrem versierte Profis, das Milieu am Institut für Postkoloniale Studien zeichnen, schießt übers Ziel der beabsichtigten Satire weit hinaus und endet selbst in der Denunziation. Alle dort sind selbstgerecht, hasserfüllt, beleidigend, intrigant, verlogen. Ihr Tun zielt in letzter Konsequenz auch nicht auf Vielfalt und Freiheit. Vielmehr auf moralischen Rigorismus und eine Polizeistaatlichkeit, die weder Wahrheiten noch Beweise braucht, um zu verurteilen und zu richten; ganz die anti-woke Perspektive.

Hinzu kommen eine statische Handlung ohne Spannung und echtes Interesse für den eigentlichen Fall, eine dieser langweiligen Die-Neuen-finden-sich-erstmal-blöd-Figuren-Einführungen und Johanna Wokaleks bestürzend dilettantisches Theater-Spielen. Sodass man diesem gänzlich vermurksten „Polizeiruf“ mit den Worten von Kommissar Ikwuakwuen hinterherrufen möchte: „Leck mich, Frau Blohm!“