Von Andreas Körner
Um auf Nummer sicher zu gehen, dass alles wirklich so passiert ist, hätte aus „One Night In Miami“ ein Dokumentarfilm werden müssen. Dafür wiederum hätten sich zur kleinen Vier-Männer-Party am 25. Februar 1964 wenigstens eine Kamera oder ein Aufnahmegerät im Raum befinden müssen. So aber ist im Grunde nur verbrieft, dass sich Cassius Clay, Sam Cooke, Jim Brown und Malcom X in dieser Nacht im Hampton House Motel getroffen und ein wenig gefeiert haben. Der Rest ist Fiktion. Die aber ist keinesfalls an den Haaren herbeigezogen.
Der Boxer und der Sänger, der Footballstar und der Bürgerrechtler; schwarze Helden für die Geschichtsbücher durch ihre Zeit und ihre Professionen. Sport, Soul, Politik waren ihnen Fundamente für Respekt und Anerkennung, Streit und Missverständnisse. Clay, Cooke, Brown und X erlebten Projektionen von anderen Menschen, die sie in Zugzwang brachten, ihre Popularität über die eigentlichen Tätigkeitsfelder hinaus zu nutzen. Nur einer des Quartetts, Jim Brown, ist heute noch am Leben, Sam Cooke wurde im Dezember 1964, Malcom X Wochen später erschossen.
Ein Boxer wird Muslim
Es ist die Nacht, in der Cassius Clay einen Kampf zu bestreiten hatte. Es ging für den 22-Jährigen um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht, und das ist durchaus im erweiterten Sinne zu verstehen. Denn kurz nach dem Sieg ist für Clay nicht mehr viel, wie es war. Sein Freund Malcom X wird ihn endgültig dazu bringen, zum Islam zu konvertieren und als Muhammad Ali nächste Titel zu holen. Auch Sam Cooke wird erst in den kommenden Monaten mit „A Change Is Gonna Come“ seinen wichtigsten, weil inhaltlich substanziellsten Song veröffentlichen. Brown wiederum legt den Ball beiseite und versucht sich als Schauspieler. Was alle vier Männer eint, ist die Tatsache, dass sie in ihrer Heimat offenen Rassismus erlebt haben und ihm nicht mit Schulterzucken begegnet sind.
Die Idee, den ikonischen Protagonisten diese seltsam innige Feier ohne Frauen und wilde Tänze, dafür mit Vanilleeis und aufbauschenden Gesprächen anzudichten, stammt von Theaterautor Kemp Powers für dessen 2013 in Los Angeles uraufgeführten Einakter „One Night In Miami“.
Für den Film, der sich zwar auf die Gespräche im Motelzimmer konzentriert, aber effizient und stimmig Nebenepisoden und Ortswechsel einstreut, schrieb der Dramatiker auch das Drehbuch. Regie führte die Schauspielerin Regina King, es ist ihr Kinodebüt, mit dem sie, da sich die 2021er-Oscars (einmalig?) auch Streamingplattformen öffnen wollen, dem Goldjungen gleich heftig das Köpfchen tätschelt.
Cassius Clay (Eli Goree) ist der Jüngste der Runde und für seine flotte Lippe bekannt. Die Wolke sieben, auf der er nach seinem Triumph schwebt, gönnen ihm die anderen sehr wohl. Sam Cooke (Leslie Odom Jr.) hat gerade noch auf einem Konzert die beleidigenden Ressentiments der Weißen erfahren, Jim Brown (Aldis Hodge) die Weigerung eines älteren, gleichsam weißen Bewunderers, ihn in sein Haus zu lassen. Malcom X (Kingsley Ben-Adir) ist am weitesten mit sich selbst: als Familienvater, Streiter und Missionar für die nötige neue Kraft der Schwarzen in den USA.
Treffer mit „Blowin‘ In The Wind“
„Gute Nachrichten für die Schafe sind schlechte Nachrichten für die Wölfe“, tönt es in Archivbildern aus dem TV, während sich Bruder Sam, Bruder Jim, Bruder Cass und Bruder Mal übers reine Parlieren und Frotzeln ins bissfeste Argumentieren steigern, gipfelnd in leichten Handgreiflichkeiten auf dem Moteldach. Cooke hat ein paar Gags übers Schwarzsein auf Lager, was X in Rage bringt, Browns Bemerkung, er liebe auch weiße Frauen, wird von Cookes Bekenntnis unterfüttert, seine Mutter habe beim Tod von John F. Kennedy geweint.
„One Night In Miami“ überzeugt mit einer äußerst geglückten Balance. Die auf der Hand liegende Zeitlosigkeit und unverminderte Brisanz in heutigen „Black Lives Matter“-Zeiten kommt gottlob nicht mit der geschwungenen Keule. Vieles ist fein ziseliert, alles feinfühlig gespielt, das Licht in den Räumen wurde den Männern exzellent gesetzt.
Und es gibt magische Momente, etwa als Malcom X aus seinem Köfferchen eine Bob-Dylan-Langspielplatte zieht und bei Sam Cooke mit „Blowin‘ In The Wind“ einen platzierten Wirkungstreffer setzt und ihn zum Kontern animiert: „Die ganze Welt auf deinen Schultern zu tragen, ist schlecht für deine Gesundheit, Malcom!“
Es ist kein Sprechfilm mit Bildern, kein Agit Prop mit Helden. „One Night In Miami“ ist relevantes Unterhaltungskino, das sich dieser Tage mit dem Rezipieren in Wohnzimmern begnügen muss. Das kommt fast schon tröstlich daher, denn der Film hätte für unsere Breiten durchaus auch ungesehen bleiben können.
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